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Essen, Bochum, Duisburg: Was Deutsch-Türken von der Bundestagswahl erwarten – „Migranten sind hier benachteiligt“

Essen, Bochum, Duisburg: Was Deutsch-Türken von der Bundestagswahl erwarten – „Migranten sind hier benachteiligt“

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Foto: Metin Gülmen/DER WESTEN

Jetzt haben Deutsch-Türken das Wort!

Die Bundestagswahl steht an, rund 1,4 Millionen türkeistämmige Deutsche sind bei den Wahlen wahlberechtigt. Viele von ihnen sind in Essen, Bochum, Duisburg und Co. zuhause, leben seit Jahrzehnten im Ruhrgebiet.

Was bewegt die Menschen besonders? Was erhoffen und wünschen sie sich von einer neuen Bundesregierung? DER WESTEN hat mit Deutsch-Türken aus Essen, Bochum, Duisburg und Co. gesprochen!

Essen, Bochum, Duisburg und Co.: DAS erwarten Deutsch-Türken von der Bundestagswahl

Sinan Elbasi (40) ist Inhaber eines Handy-Reparatur-Ladens im Limbecker Platz in Essen. Er ist in der Türkei geboren worden, kam als Kind nach Deutschland, ist hier zur Schule gegangen, hat seine Lehre und sich später selbstständig gemacht. Elbasi lebt mit seiner Familie in Bochum, ist zufrieden. Der Technik-Spezialist zu DER WESTEN: „Ich habe keine großen Erwartungen für die Wahlen. Ich bin selbstständig und möchte, dass es in Deutschland für uns Unternehmer fair zugeht. Während des Corona-Lockdowns durfte ich im Gegensatz zu anderen trotz aller Hygiene- und Schutzvorkehrungen nicht öffnen, weil ich am Einkaufscenter festgehangen habe. Ich habe hier zwei Mitarbeiter, warte aber noch immer auf einen Teil der Corona-Hilfe.“

Und weiter: „Ich habe manchmal den Eindruck, dass ein Bürger mit Migrationshintergrund oft der ‚Schwarze Peter‘ ist. Wir werden beispielsweise von den Ämtern besonders gründlich kontrolliert, jede Entscheidung und Bewilligung dauert deshalb umso länger. Das ist schade. Von einer doppelten Staatsbürgerschaft halte ich übrigens nichts, das ist Unsinn. Ich finde es in Ordnung, dass man sich hier irgendwann entscheiden muss, ob man Deutscher werden oder Türke bleiben will.“

Essen, Bochum, Duisburg und Co.: Unternehmer wünscht sich doppelte Staatsbürgerschaft

Mesut Cetin (44) aus Herne ist Unternehmer, betreibt eine Eventhalle für Feiern und Hochzeiten und ist auch Verbandsvorsitzender seiner Branche. Cetin kritisiert vor allem den Umgang der Politik während der Corona-Pandemie. Der Ruhrpottler sagt: „Ich bin parteipolitisch neutral. Im Gegensatz zur Türkei ändert sich hier ja nicht viel nach den Wahlen, wir genießen hier eine positive politische Stabilität. Ich hoffe, dass wir alle gesund durch die Pandemie kommen und wir wirtschaftlich Hilfe erhalten. Die Wirtschaft und unsere Branche müssen wieder auf die Beine kommen. Es dauert lange, bis alle Hilfen ausgezahlt werden, die Bürokratie muss abgebaut werden.“

Sein Wunsch als deutscher Staatsbürger mit türkischen Wurzeln: die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Cetin: „Ich verstehe nicht, wieso beispielsweise Griechen oder Italiener ihre Heimatpässe behalten dürfen, wir Türken dagegen uns im jungen Erwachsenenalter für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. Wir sind nun mal in zwei Kulturen groß geworden, viele lieben Deutschland und die Türkei gleichermaßen. Man sollte die doppelte Staatsbürgerschaft an Voraussetzungen knüpfen, sodass man wieder eine Chance darauf hat. Das kann die unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder der Nachweis eines festen Wohnsitzes und eines Arbeitsplatzes sein.“

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Einwanderung aus der Türkei nach Deutschland:

  • Vermehrte Einwanderung aus der Türkei setzte Anfang der 1960er Jahre zunächst als Arbeitsmigration mit offenem Zeithorizont ein
  • Grund war die Unterzeichnung des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei am 30. Oktober 1961
  • 1960 hat es nicht mal 1.500 Türken in der Bundesrepublik gegeben
  • heute leben Einwanderer aus der Türkei bereits in vierter Generation in Deutschland

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Essen, Bochum, Duisburg und Co.: Mülheimer wünscht sich Wahlrecht für Ausländer

Hasan Tuncer (31) ist Mülheimer durch und durch, engagiert sich auch politisch auf Kommunalebene. Tuncer über seine Erwartungen an eine neue deutsche Bundesregierung: „Deutschland muss klare Kante in der Außenpolitik zeigen. Man verurteilt völlig zu recht Antidemokraten, wo es nur geht, verkauft dann aber selbst Waffen an diese Antidemokraten. Wir sind ein starkes Land, mischen weltweit mit. Doch wir sind nicht in der Haltung stark, siehe beispielsweise in der Türkei-Politik mit dubiosen Abkommen oder aktuell in Afghanistan.“

Er fordert auch mehr Unterstützung für die Kommunen durch den Bund. Tuncer, der auch Vorsitzender im Integrationsrat der Stadt ist, zu DER WESTEN: „Die Kommunen müssen viel selbst stemmen. Es kann auch nicht sein, dass Menschen, die das Land mitaufgebaut haben, jetzt an Altersarmut leiden. Sie müssen gewürdigt werden.“

Sein Wunsch aus Sicht eines Türkeistämmigen: „Ich finde, dass Menschen, die schon länger in Deutschland leben, auch hier wählen dürfen. Das muss natürlich an bestimmte Bedingungen geknüpft sein. Aber warum sollte beispielsweise ein Türke, der seit Jahrzehnten hier lebt, arbeitet und Steuern zahlt, nicht wählen und mitbestimmen dürfen?“

Essen, Bochum, Duisburg und Co.: Islamwissenschaftler besorgt über zunehmende Armut im Ruhrgebiet

Yilmaz Kahraman (41) aus Duisburg macht zurzeit seinen Doktor, ist angehender Islamwissenschaftler. Er sieht ein großes Problem darin, dass vor allem Migranten benachteiligt sind, wenn es um Bildungschancen geht. Kahraman zu DER WESTEN: „Ich bin selbst ein Arbeiterkind und kenne die Mühen und Hindernisse, die man als Migrant überstehen muss, um beruflich erfolgreich zu sein. Migranten sind in Deutschland benachteiligt, vor allem sind die Bildungschancen für sie kleiner als bei Einheimischen. Ich habe in mehreren Nachhilfeschulen gearbeitet und gesehen, wie groß die Mängel sind. Eine neue Bundesregierung muss da unbedingt ansetzen.“

Ein weiteres Problem sieht der 41-Jährige in der steigenden Armut im Ruhrgebiet: „Hier sind viele Menschen von Armut betroffen, die Tafeln sind überlaufen. Bei Migranten ist das noch extremer der Fall. Dazu kommt, dass der Rassismus gefühlt immer mehr zunimmt. Auch ich bin Opfer von Rassismus geworden, als ich mit der Bahn gefahren bin. Wir müssen aufpassen, dass der soziale Frieden nicht darunter leidet.“

Essen, Bochum, Duisburg und Co.: Studentin moniert Kinderfeindlichkeit

Feride Özkara (24) studiert an der Ruhr-Universität in Bochum Betriebswirtschaftslehre. Die 24-Jährige ist in Bochum geboren und aufgewachsen, will auch hier alt werden. Eine Sache aber treibt sie um: eine vermeintliche Kinderfeindlichkeit in Deutschland. Özkara zu DER WESTEN: „Wenn ich sehe, wie Menschen schief angeguckt werden, weil sie drei oder mehr Kinder haben, mache ich mir schon Gedanken. Geht man mal aus, gibt es kaum kindgerechte Möglichkeiten. Während der Corona-Pandemie wird auch nicht an erster Stelle an die Kinder gedacht.“

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Die junge Frau weiter: „Ich habe selber mehrere Geschwister und wünsche mir später auch mindestens drei Kinder. Sie sind das Wertvollste, was wir hinterlassen. Deutschland muss aber insgesamt kindgerechter werden, sowohl in der Berufswelt als auch in den Freizeit- und Fördermöglichkeiten. Da sollte die neue Regierung vorangehen und Möglichkeiten schaffen.“

Essen, Bochum, Duisburg und Co.: Thyssenkrupp-Arbeiter erwägt Parteiwechsel

Fatih (36) aus Duisburg arbeitet bei Thyssenkrupp, hat drei Töchter und in den letzten Jahren immer die CDU gewählt. Jetzt erwähnt er aber erstmals, die SPD zu wählen. Er zu DER WESTEN: „Von Armin Laschet halte ich nicht viel. Beim Hochwasser hat er sich nicht gut verhalten. Vorher mochte ich ihn.“ Auch von den Grünen hält er augenscheinlich nichts: „Sie haben zu wenige gute Argumente. Natürlich macht mir der Klimawandel Sorgen, auch wegen meiner Kinder. Das Leben ist aber jetzt schon teurer geworden, ich zahle jetzt schon so viele Steuern.“ Er werde sich wohl nach seinem Bauchgefühl entscheiden.

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Wie sich auch die vielen Deutsch-Türken aus dem Ruhrgebiet bei der Bundestagswahl verhalten – es bleibt so oder so spannend…