Veröffentlicht inDuisburg

Duisburg: Mutter erst vergewaltigt – dann wird ihr das Kind weggenommen! Vorwürfe gegen Jugendamt

Janine S. aus Duisburg wurde vergewaltigt. Sie begann eine Therapie, gab ihr Kind dafür freiwillig in Pflege. Und bekommt es nicht zurück.

© IMAGO / McPHOTO

Warum heißt Duisburgs Stadtteil Marxloh eigentlich Marxloh?

Es müsste ein Abend im März 2018 gewesen sein. So genau weiß Janine S. aus Duisburg es nicht mehr. Will sie auch gar nicht. Zu groß ist der Schmerz. An diesem Abend änderte sich alles für die heute 31-Jährige. Sie wurde vergewaltigt, wie sie selbst berichtet. Für die Mutter ist es der Beginn einer echten Tortur.

März 2023: DER WESTEN trifft Janine S. etwa fünf Jahre nach dem schrecklichen Vorfall in ihrer Wohnung in Duisburg-Wanheimerort. Zusammen mit ihrem zweijährigem Sohn Tim* (*Name zum Schutz des Kindes geändert) wohnt sie hier in einem Mehrfamilienhaus. Die Wohnung ist aufgeräumt, an der Wand hängen Bilder von ihren Kindern. Vier von ihren fünf leben allerdings nicht mehr bei ihr.

Duisburg: Frau gibt Tochter freiwillig in Kurzzeitpflege

Ihre älteste Tochter (11) wohnt bei ihrer Oma, der Mutter von Janine S. Zwei weitere Kinder (10 und 9) sind in einer Pflegefamilie oder beim leiblichen Vater untergebracht. „Ich darf sie alle jederzeit sehen und wir stehen im engen Austausch miteinander“, berichtet Janine S.. Ihr sei noch nie ein Kind weggenommen worden. Alles geschah freiwillig von ihrer Seite aus, wie die Duisburgerin selbst sagt. Doch das sollte sich ändern.

Ein paar Wochen nach der Geburt von Tochter Lara* (*Name zum Schutz des Kindes geändert) am 5. Februar 2018 erlebte Janine S. den absoluten Horror. Sie wurde Opfer einer Vergewaltigung. Die Diagnose wenig später: posttraumatische Belastungsstörung. „Ich wollte mir Hilfe holen, eine Therapie machen, um das Geschehene aufzuarbeiten“, berichtet Janine S. unter Tränen. Deswegen gab sie die kleine Lara Ende April 2018 schweren Herzens in eine Kurzzeitpflege. Das Jugendamt Duisburg-Hamborn war damals für die Fünffach-Mutter zuständig.

Duisburg: Jugendamt schreitet ein

„Ich habe schon Ende 2017 eine Familien-Hilfe zur Unterstützung in Anspruch genommen, weil ich alles richtig machen wollte im Umgang mit Lara“, sagt Janine S.. Laut eigenen Aussagen sei ihr ein guter Umgang mit ihrer Tochter bescheinigt worden. Doch nach der Vergewaltigung war nichts mehr, wie es vorher mal war. Deswegen traf Janine S. am 20. April 2018 die Entscheidung, Lara kurzfristig wegzugeben, um eine Therapie zu machen. So wollte sie die Geschehnisse verarbeiten.

++Duisburg: Familien-Streit auf offener Straße eskaliert – Messer in den Rücken gerammt++

„Am 4. Juni 2019 wollte ich Lara dann wieder zu mir holen. Das war ja mein gutes Recht, ich hatte sie ja schließlich freiwillig abgegeben.“ Doch daraus wurde nichts. Stattdessen ordnete das Jugendamt Duisburg-Hamborn eine sofortige Inobhutnahme von Lara an. Eine Inobhutnahme dient dem kurzfristigen Schutz von Kindern und Jugendlichen. Sie kommt zum Einsatz, wenn Gefahr in Verzug ist und wenn es sich um einen dringenden Notfall handelt.

Duisburg: Inobhutnahme aus juristischer Sicht nicht korrekt

DER WESTEN liegt ein richterlicher Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom Januar 2023 vor. Dort steht: Die Inobhutnahme von Lara war rechtswidrig. Das bestätigt Rechtsanwalt Lukas Hugl, der Janine S. Rechtsbeistand leistet. Zum einen sei das Jugendamt Hamborn gar nicht zuständig gewesen, weil das Kind zu dem Zeitpunkt bereits in einem anderen Bezirk gewohnt habe. Neben dem Formfehler sieht Hugl allerdings noch einen weiteren Verstoß.

Janine S. hat einen zweijährigen Sohn, der bei ihr lebt. Foto: privat

„Der zweite Punkt, und der ist wesentlich gravierender, ist, dass die Eilbedürftigkeit nicht gegeben war. Im Grunde ist das Jugendamt nicht berechtigt, Eltern die Kinder wegzunehmen. Einzige Ausnahme ist, wenn Gefahr in Verzug ist und wenn eine Entscheidung des Familiengerichts nicht abgewartet werden kann.“ Das sei in der Praxis allerdings ziemlich selten der Fall. Wenn es wirklich ernst sei, bekäme man vom Familiengericht innerhalb der üblichen Geschäftszeiten binnen zwei Stunden einen Beschluss.

Duisburg: Janine S. spricht von „systematischer Entfremdung“

Im Fall von Janine S. lag sogar ein besonders grober Verstoß des Jugendamts vor, der es dem Verwaltungsgericht sehr einfach gemacht hatte, die Rechtswidrigkeit festzustellen. Denn Janine S. hatte dem Jugendamt Zeit bis zum folgenden Montag 15 Uhr gegeben. Die Sachbearbeiterin des Jugendamts hatte dann vor der Inobhutnahme sogar den Familienrichter angerufen, der sie ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines Antrags an das Gericht hingewiesen hatte. Diesen Hinweis hatte das Jugendamt dann einfach ignoriert und war stattdessen selbst tätig geworden – ein eklatanter Gesetzesverstoß aus Sicht des Rechtsanwalts.

Lara ist inzwischen fünf Jahre alt und lebt weiterhin bei der Pflegefamilie. Janine S. hat ihre Tochter seitdem kaum gesehen. Laut ihren Aussagen habe man „systematisch daran gearbeitet, sie von ihrer Tochter zu entfremden“. So sollen laut ihren Aussagen Besuchstermine erst ab 17 Uhr gemacht worden sein. „Aber da ist ein Kind doch schon müde. Ich wollte frühere Besuchstermine.“

Außerdem habe ihr das Jugendamt die Unterbringung in einem Mutter-Kind-Heim empfohlen. Dort wäre sie auch hingegangen, allerdings sei Janine S. lediglich eines in größerer Entfernung angeboten worden, so ihre Anschuldigung. Alternativen, die Janine S. verschlug, wurden laut ihren Schilderungen nicht angenommen. „Ich will aber nicht Jugendämter generell schlecht machen. Es liegt aber hier keine Einsicht vor“, klagt die Duisburgerin.

Das sagt die Stadt Duisburg

Auf Nachfrage von DER WESTEN äußerte sich die Stadt Duisburg zu dem Vorfall. Sie erklärt, dass sich die „rechtswidrige“ Inobhutnahme rein auf den formalen Verwaltungsakt berufe. „Der strittige Zeitrahmen umfasst drei Tage. In der Sache hat das Gericht das Jugendamt nicht korrigiert, sondern den Verbleiben des Kindes in der Pflegefamilie angeordnet. Das Sorgerecht liegt nicht mehr bei der Mutter. Dies war auch nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens.“ Man wolle allerdings seine Abläufe intern noch einmal überprüfen, damit auch formal der richtige Weg gegangen werde.


Mehr Themen und News:


Und wieso wurde Laras Inobhutnahme ohne einen Beschluss des Familiengerichts vollzogen? „Der zuständige Familienrichter des Amtsgerichts Wesel ist frühzeitig am besagten Freitag kontaktiert worden und er gab seine mündliche Zustimmung zum Verbleib von Lara bei den Pflegeeltern. Gleichzeitig bat er um Stellung des nötigen Antrags. Um den Verbleib von Lara über das Wochenende zu sichern, wurde die Inobhutnahme Freitagnachmittag ausgesprochen.“

Duisburgerin will um ihr Kind kämpfen

Der Antrag zum Verbleib von Lara bei den Pflegeeltern sei am darauffolgenden Montag gestellt worden. „Der Wechsel in den Haushalt der Mutter für die drei Tage wäre mit dem Kindeswohl nicht vereinbar gewesen und hätte die Bindungsfähigkeit von Lara massiv geschädigt. Diese Sichtweise des Jugendamtes teilte der zuständige Familienrichter übrigens genauso wie auch der eingesetzte Verfahrensbeistand“, heißt es weiterhin von einer Sprecherin der Stadt Duisburg.

Für Janine S. steht fest: Sie will Lara wieder zurück, sie allerdings nicht sofort aus ihrem gewohnten Umfeld herausreißen. „Ich will nur das Beste für meine Tochter“, betont sie felsenfest. Und das sei die schrittweise und behutsame Zurückführung zu ihr, der leiblichen Mutter. Mittlerweile gibt es auch positive Nachrichten: Nach rund vier Jahren wird sie ihre Tochter wohl bald endlich wiedersehen dürfen.