Mülheim.
Nora ist Erzieherin in Mülheim. Auch sie will am 26. September bei der Bundestagswahl ihre Kreuze machen. Doch vorher hat sie noch einen dringenden Appell an die Politik.
Nicht erst seit der Corona-Pandemie sind Erzieher und Erzieherinnen systemrelevant. Nora aus Mülheim arbeitet seit 2015 in einer Kita. Kurz vor der Bundestagswahl ist der 27-Jährigen der Kragen geplatzt.
Mülheim: Erzieherin platzt vor Bundestagswahl der Kragen
Sie fühlt sich bezüglich ihres Berufs von der Politik nicht ernst genommen und sieht noch reichlich Verbesserungspotenzial: „Am wichtigsten ist, dass der Personalschlüssel angepasst wird. Es ist nicht tragbar, wie es ist. Viel zu viele Kinder auf eine Fachkraft. Dann gibt es auch noch Ausfälle aufgrund von Urlaub und Krankheit. Das wird nicht berücksichtigt“, sagt sie gegenüber DER WESTEN.
Würde der von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Personalschlüssel für alle Kitas in Deutschland verbindlich gelten, dann wären 120.000 zusätzliche Erzieher und Erzieherinnen erforderlich. Die Personalschlüssel für Kitas in Deutschland weichen teilweise sogar erheblich von einem pädagogisch sinnvollen Betreuungsverhältnis ab. Außerdem sind sie von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich.
Mülheim: Laut Studie gibt es zu wenig Erzieher und Erzieherinnen in Deutschland
Doch wird nach der Wahl alles besser? Nora selbst jedenfalls hat nicht das Empfinden, dass die Situation in Kitas gerade bei den Parteien ein großes Thema ist. „Den Wahlkampf nehme ich gar nicht so intensiv wahr. Es geht hauptsächlich um das Thema Klima und Wirtschaft. Beides natürlich sehr wichtig, aber zum Thema Soziales nehme ich irgendwie kaum Wahlplakate wahr“, schildert sie ihre persönlichen Eindrücke.
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Einige Fakten über die Stadt Mülheim an der Ruhr:
- wurde 1093 erstmals urkundlich erwähnt, 1808 wurden die Stadtrechte verliehen
- liegt zwischen Duisburg, Essen und Düsseldorf
- hat 170.632 Einwohner (Stand: Dezember 2019), besteht aus neun Stadtteilen in drei Stadtbezirken
- Oberbürgermeister ist Marc Buchholz (CDU)
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Die CDU hat in ihrem Wahlprogramm zwar drinstehen, dass sie den Kita-Ausbau fördern will. Woher die zusätzlichen Fachkräfte kommen sollen, wird dort aber nicht erwähnt.
Mülheim: Parteien gehen unterschiedlichen mit dem Fachkräfte-Mangel in Kitas um
Die Grünen wollen laut Programm Erziehern und Lehrern mehr Wertschätzung entgegenbringen, welche sich in ihrer Arbeit, der Bezahlung und der Ausstattung widerspiegeln soll. Genaueres wird jedoch nicht genannt.
Ziemlich konkret wird die Linke bezogen auf den Fachkräftemangel in Kitas: „Wir kämpfen für mehr Personal in Bildung und Erziehung“, heißt es da. Die Partei fordert 200.000 zusätzliche Erzieherinnen in Deutschland.
Mülheim: Linke fordert 200.000 mehr Erzieherinnen und Erzieher
Auch die SPD will „mit gezielten Impulsen zur Fachkräftesicherung“ den Ausbau von Kitas, Jugendeinrichtungen und der Ganztagsbetreuung an Schulen unterstützen. Die FDP fokussiert sich mehr auf die Förderung des Lehrer-Berufs. Man will aber auch Kitas finanziell fördern. Die AfD enthält sich in ihrem Wahlprogramm zu diesem Thema.
Vor allem während der Corona-Pandemie ist der Beruf der Erzieherin eine Herausforderung gewesen. Trotzdem fehlt die Wertschätzung, klagt Nora an. „Ich fühle mich von der Politik gar nicht wahrgenommen. Zwischendurch hieß es mal wir sind systemrelevant. Davon merke ich nichts mehr. Wir setzen unsere Gesundheit aufs Spiel. Kinder können eben keine Masken tragen.“ Während der Pandemie hat Nora ihre Familie und Freunde kaum gesehen – aus Eigenschutz und zum Schutz der Kinder.
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Mülheim: Kita-Job besonders während der Pandemie eine echte Herausforderung
Neben mehr Kita-Personal fordert die junge Erzieherin auch mehr Anerkennung – und eine bessere Bezahlung. „Ich würde sehr gerne mal die Kanzlerkandidaten für einen Tag in unsere Kita einladen. Damit sie wirklich mal einen Einblick davon bekommen, was wir alles leisten. Wir sind keine kaffeetrinkenden Tanten, sondern leisten quasi die Vorarbeit für die Schule“, stellt sie klar.
Doch ihren Job macht Nora trotz der manchmal schwierigen Umstände ziemlich gerne: „Die Kinder können ja nichts dafür und sie geben einem auch viel zurück“, betont sie. (cf)