Mülheim.
Freitagabend 20.45 Uhr in Mülheim-Heißen: Noch herrscht auf dem Heißener Marktplatz reges Treiben. Autos fahren wie gewohnt durch die Straßen, hupen laut, Menschen laufen meist allein von A nach B. In der Dämmerung singt eine Amsel leise ihr melancholisches Lied…
In der kleinen, beschaulichen Revierstadt sollte an diesem besonderen Freitag nun bald aber wirklich tote Hose sein. Denn die Stadt Mülheim hat an diesem Wochenende Ausgangssperren wegen einer Inzidenz von über 200 (Stand Freitag: 227,4) verhängt. Von 21 bis 5 Uhr morgens dürfen die Bürger ohne triftigen Grund nicht mehr auf die Straße.
Mülheim: Ausgangssperre am Wochenende – nach 21 Uhr menschenleere Straßen?
Ist es also menschenleer? Wurde Mülheim kurzerhand zur Geisterstadt? Wir sind einmal quer durch die Stadt gefahren, um uns ein Bild vor Ort zu machen.
Ein Mann bringt einige Minuten vor 21 Uhr noch den Müll raus, eine Frau hetzt noch schnell zur Sparkasse, Jugendliche rennen zur letzten U-Bahn, um sie nicht zu verpassen. Alles ein gewohntes Bild im Lockdown.
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Zwei Frauen stehen an der Haltestelle und warten auf den Bus. Sie sind auf dem Weg nach Hause, erzählen sie mir. Haben noch Katzenfutter gekauft. „Sonst bin ich nie so spät unterwegs“, erklärt eine von ihnen. Die Ausgangssperren findet sie richtig. „Ganz ehrlich, sie müssten schon viel früher kommen. Abends ist hier doch kaum einer mehr unterwegs“, meint sie. Generell hätten die beiden einen härteren Lockdown schon vor Ostern präferiert. Da kommt auch schon der Bus, sie verabschieden sich und springen hinein.
Jetzt ist es kurz vor knapp. Die Uhr zeigt 20.58 Uhr. Eine Frau kommt mir mit Einkaufstüten entgegen. Sie wolle eben nur noch kurz zur Sparkasse. „Ausgangssperre?!“, fragt sie sichtlich verdutzt. Das habe sie nicht gewusst, bedankt sich für die Info und dreht auf der Stelle um, um schnellen Schrittes nach Hause zu gehen.
Ein anderer Mann verlässt die Sparkasse. „Ich hab halt was zu erledigen“, entgegnet er auf den Hinweis zur Ausgangssperre. Was er davon hält? „Wer findet das schon gut?“, fragt er lachend zurück.
Die Uhr schlägt 21 Uhr. Ein bisschen mulmig ist mir schon, als der Platz sich leert und ich plötzlich alleine da stehe. Ertönt jetzt eine Sirene, die alle auf die Ausgangssperre hinweist? Kommen jetzt gleich Streifenwagen und kontrollieren mich? Nichts dergleichen passiert. Der Springbrunnen kommt mir lauter vor als zuvor. Es wird stetig dunkler.
Ausgangssperre in Mülheim: Forum und Stadthafen wie ausgestorben
Weiter geht’s mit dem Auto durch die Stadt. In Wohngebieten ist es erstaunlich ruhig. Plätze sind leer, am Forum ist rein gar nichts los, am Stadthafen ebenfalls. An der Schlossbrücke wird die Stille vom Geschnatter der Kanadagänse an der Ruhr durchbrochen. Vor dem Hauptbahnhof laufen vereinzelt ein paar Menschen herum.
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Doch ab und an sehe ich Spaziergänger, Personen auf E-Scootern oder Fahrrädern oder – wie es im Ruhrgebiet typisch ist – Menschen, die mit ihren Hunden Gassi gehen.
Allerdings ist der Verkehr nicht unbedingt weniger. Es wirkt so, als würden die Autofahrer ihrem normalen Trott nachgehen. Ob sie einen triftigen Grund haben, um durch die City zu fahren – wie berufliche Zwecke, Besorgungen oder dergleichen? Ich weiß es nicht. Polizei oder Ordnungsamt, die das kontrollieren, sehe ich aber auch weit und breit nicht.
Verstohlen schauen einige Menschen zu meinem Auto, die vielleicht Angst vor einer Kontrolle haben und diese wittern. Immerhin: Wer bei der Ausgangssperre erwischt wird, muss mit einem Bußgeld von 150 bis hin zu 25.000 Euro rechnen, wie die Stadt Mülheim auf ihrer Homepage angibt. Übrigens: Die A40 ist von den Kontrollen ausgenommen. Diese finden nur auf Mülheimer Stadtgebiet statt.
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Die Friedrich-Ebert-Straße am Stadthafen wirkt um kurz vor 22 Uhr nicht direkt verlassen, aber weniger gut besucht. Auch hier laufen eine Handvoll junge Menschen durch die Gegend, machen sich gegenseitig lautstark auf die Ausgangssperre aufmerksam. Ein Junge auf einem E-Scooter erklärt, dass es ihm egal sei. Er trage schließlich seine FFP2-Maske und das müsse reichen.
In der Ferne höre ich das erste Mal Sirenen. Ich steige ins Auto und fahre weiter. Nun kommt mir gegen 22 Uhr das erste Mal ein Mannschaftswagen der Polizei entgegen. Doch er hält mich nicht an. Keine Minute später folgt der nächste. Auch er fährt unbeirrt weiter.
Am Rhein-Ruhr-Zentrum angekommen wirkt das Einkaufszentrum in der Nacht gespentisch, dunkel und verlassen. Wenige haben ihre Autos auf dem Parkplatz abgestellt. An der Tankstelle am Shopping-Center herrscht derweil noch viel Betrieb. „Jeder zweite Kunde fragt mich, ob wir tatsächlich eine Ausgangssperre haben“, sagt der Mitarbeiter. Autos kommen und gehen, weniger sei nicht los, stellt er fest.
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Nach 90 Minuten durch Mülheim endet mein Streifzug. Ich hätte komplett leer gefegte Straßen sowie an vielen Stellen Polizei und Ordnungsamt erwartet. Dem war nicht so. Tatsächlich waren einige Menschen unterwegs, Kontrollen konnte ich nicht beobachten. Vielleicht war dies aber auch die allererste Stunde des ersten Abends der Ausgangssperre und die Menschen hatten es noch nicht so auf dem Schirm. Vielleicht sieht das Bild am Samstag schon ganz anders aus…
+++ UPDATE +++
Auch laut Angaben der Polizei ging es in der ersten Nacht der Ausgangssperre in Mülheim eher unspektakulär zu. So hielten sich die meisten Bürger an die Beschränkungen. Personen, die sich nicht an die Ausgangssperre halten wollten, wurden zunächst nur mündlich verwarnt. Beamte in Streifenwagen, die auf dem Weg zu einem Einsatz waren, hielten nicht extra an, wenn sie nach 21 Uhr noch jemanden auf den Straßen gesehen haben.
Ob die Ausgangssperren nach diesem Wochenende auch in der Folgewoche weiter stattfinden werden, ist noch unklar. Der Krisenstab will am Montagmittag darüber beraten.