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Ruhrgebiet: Der Traum eines jeden Kindes – ich durfte einen Tag Schaustellerin sein

Einmal eine Ansage beim Autoscooter durchs Mikro machen – davon hat doch jedes Kind schon mal geträumt Doch so einfach ist das gar nicht …

Ruhrgebiet Schaustellerin
© Chaleen Goehrke/ DER WESTEN

Ein Kindertraum wird wahr - Schaustellerin zeigt ihre Welt

Nina Oesselamm ist Schaustellerin und betreibt in Dortmund den Autoscooter "Diamond". Wir durften Sie in ihrem Alltag begleiten.

Wenn der Geruch von Popcorn und gerösteten Mandeln in deine Nase steigt, laute Musik von Usher oder Helene Fischer ertönt und kleine Kinder hinter einer großen Portion Zuckerwatte fast verschwinden, dann weißt du, dass du auf der Kirmes bist. Für Kinder sind die bunten Lichter und schnellen Fahrgeschäfte ein absoluter Traum – sie könnten jeden Tag ihres Lebens hier verbringen.

Die Cranger Kirmes ist das größte Volksfest in NRW. Sobald es losgeht, ist der Platz innerhalb kürzester Zeit mit tausenden von Menschen gefüllt. Als ich um 12 Uhr am Autoscooter Diamond ankomme, ist das Treiben noch überschaubar. Erst eine Stunde später macht die Cranger Kirmes in Herne (Ruhrgebiet) offiziell auf.

Ich treffe Nina Osselmann. Sie ist quasi von Kindesbeinen an Schaustellerin. Die 32-Jährige ist auf den Rummelplätzen dieser Welt groß geworden und ist Schaustellerin aus Leidenschaft. Im Sommer 2022 hat sie mir die Chance gegeben, hinter die Kulissen einer verborgenen Welt zu schauen.

Ruhrgebiet: Die Ruhe vor dem Sturm

Nina erledigt gerade die letzten Handgriffe. Sie schaut, ob alles an Ort und Stelle ist, checkt die Technik und weist ihre Mitarbeiter ein. Dann setzen wir uns hinter die Kasse und schon gehen die Lichter an. Die ersten Kunden trudeln ein, die erste Fahrt des Tages soll ihnen gehören. Nina drückt ein paar Knöpfe, Musik ertönt und zwischendurch heizt sie die Stimmung mit ihren Ansagen zusätzlich an.

Ruhrgebiet Schaustellerin Nina Oesselmann
Ruhrgebiet: Schaustellerin Nina Osselmann vor ihrem Autoscooter „Diamond“. Foto: Chaleen Goehrke/ DER WESTEN

Nachdem Ich ihr ein paar Minuten über die Schulter geschaut habe, darf ich endlich selbst ran. Ich kassiere Geld für meinen ersten Chip, den ich an diesem Tag ausgebe. Und schon stehe ich vor meiner ersten Herausforderung. Denn um Fragen zu beantworten, muss ich teilweise sehr laut reden. Sonst kann mich niemand hinter dem Glas hören.

Ein Tag im Leben von … ist der Titel unserer Reportage-Reihe bei DER WESTEN. Wir durften über einen bestimmten Zeitraum für einen Tag verschiedene Persönlichkeiten in ihrem (beruflichen) Alltag begleiten. Dabei haben wir erstaunliche Einblicke in den Job, die damit verbundenen Aufgaben, Schwierigkeiten und Chancen bekommen. Hier findest du alle Beiträge.

Ich bin erleichtert, denn ich merke: Kopfrechnen kann ich noch. Während viele nur eine Fahrt kaufen, zahlen andere direkt für zehn Runden mit dem Chaise, das ist der Fachbegriff für einen Autoscooter, wie mir die Schaustellerin erklärt.

Jetzt darf der Amateur ans Mikro – „Bitte einsteigen“

„Neue Runde, neues Glück. Bitte einsteigen“ – lautet meine erste Ansage. Irgendwie hört sich das ganz anders bei mir an als bei dem Profi. Doch nicht so einfach, wie man meint. Nina gibt mir einen Expertentipp: „Erstmal Einatmen und beim Ausatmen sprechen.“ Ich versuche es nochmal – schon besser.

Ruhrgebiet
Der Selbsttest – am Mikro vom Autoscooter „Diamond“. Foto: Chaleen Goehrke/ DER WESTEN

Einige Kinder steigen strahlend aus dem Auto aus, anderen laufen die Tränen nur so übers Gesicht. Sie haben wohl zu viele Seitenhiebe abbekommen. Wenn es voll auf der Bahn ist, kann es schonmal rumsen. Ich kriege Flashbacks und muss an meine Kindheit denken. Tatsächlich gehörte ich zu den seltenen Exemplaren, die Autoscooter lieber mieden. Zu groß die Angst vor einem Crash.

Und tatsächlich seien Unfälle nicht ausgeschlossen, doch die wären oft selbstverschuldet. Zum Beispiel weil Kunden einfach während der Fahrt aufstehen und rausspringen würden. Doch in solchen Fällen betätigt Nina Osselmann einen Not-Knopf und sofort steht alles still. Ich hoffe nur, dass es nicht zu dem Ernstfall kommt, denn dann ist blitzschnelle Reaktion gefragt. In dem Moment wird mir bewusst, dass der Job nicht nur Spaß und bunte Lichter, sondern auch viel Verantwortung bedeutet. Doch an diesem Tag gehen die Kirmes-Besucher höchstens mit ein paar blauen Flecken mehr nach Hause. 

Plötzlich sitzt kaum jemand im Autoscooter, ich komme ins Schwitzen und denke mir: „Oh nein, sag irgendwas, damit die Leute kommen.“ Aber was? „Wer hat noch nicht, wer will nochmal? Nutzt die Chance, hier bei mir gibt es die Fahrtchips“ – was Besseres fällt mir nicht ein. Im Laufe des Tages haue ich noch ein paar weitere dieser Klassiker raus.

Ein bunter Tag geht zu Ende

Mit der Zeit taue ich auf und finde Gefallen daran. Ich frage mich jedoch, ob mir heute Abend wohl die Ohren schlackern werden von der Musik. Auch wenn ich gedacht hätte, dass sie noch lauter wäre. Nina gesteht jedoch auch: „Sobald ich im Auto sitze, schalte ich immer direkt das Radio aus.“


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Zum Abschied darf ich selber nochmal eine Runde drehen – ich bekomme es von allen Seiten ab und werde nochmal ordentlich durchgeschüttelt. Aber genau so muss das beim Autoscooter ja auch sein. Die Chefin gibt mir nach acht Stunden getaner Arbeit Feierabend. Sie selber sitzt noch mindestens vier Stunden länger hinter der Kasse. Ein ereignisreicher Tag in einer bunten Welt geht zu Ende.

Auf dem Weg nach Hause dröhnen mir die Ohren, ich nehme viele tolle Eindrücke mit. Doch tauschen würde ich nicht wollen, denn in der Hochsaison geht es von einem Rummelplatz zum Nächsten, der Stressfaktor ist groß, doch sobald die Kundschaft vor dir steht, musst du wieder das freundliche Lächeln aufsetzten, selbst wenn dir nicht danach ist. Und ich komme zu der Erkenntnis: Diesen Job kannst du nur machen, wenn du mit ganzem Herzen dabei bist.