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Letzte Generation und Bauern-Protest: Diese Doppelmoral schadet uns allen

Die Letzte Generation und die Bauern nutzen ähnliche Protestformen, die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Das schadet uns allen – ein Kommentar.

Letzte Generation
© Imago/Ralf Zöllner, Imago/Emmanuele Contini

Bauern-Demo in Essen: Das sagen Beteiligte zu den Protesten

Am 10. Januar 2024 fuhren im Rahmen der Bauern-Proteste wieder Traktoren durch Essen. DER WESTEN war vor Ort und hat mit Beteiligten gesprochen.

Sie haben Deutschland in den letzten Wochen und Monaten auf Trab gehalten: die Klima-Aktivisten der Letzten Generation und die Bauern-Proteste. Viel scheint sie auf den ersten Blick nicht zu einen. Und doch gibt es eine entscheidende Gemeinsamkeit – beide setzten auf Blockade als Protestform.

Dabei sind die Reaktionen, die die Aktionen der Letzten Generation auslösen, aber in der Regel ganz andere als aktuell bei den Bauern. Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich wieso – auf den zweiten Blick sieht es schwer nach Doppelmoral aus. Ein Kommentar.

Letzte Generation und Bauern-Proteste

Wer ganz neutral an die Sache herangeht, der muss anerkennen: in beiden Fällen geht es erstmal um durchaus verständliche Anliegen. Die Bauern wollen von ihrer Arbeit leben können – und weil sie offenbar nicht darauf bauen, dass die Lebensmittelindustrie geringere Margen akzeptieren würde, soll eben weiter Steuergeld fließen. Die Letzte Generation will die Klimakrise aufhalten, damit Menschen noch lange auf der Erde leben (und Landwirtschaft betreiben) können. Auch sie fordert die Politik zum Handeln auf, etwa zur Einführung eines 9-Euro-Tickets.

Doch während es bei der Letzten Generation oft heißt: Es seien berechtigte Anliegen, die auf dem falschen Weg erzwungen werden sollen, ist dieser Weg plötzlich für knapp 80 Prozent der Deutschen legitim, wenn die Bauern ihn beschreiten – oder besser gesagt befahren. Auf der anderen Seite lehnen rund 80 Prozent die Methoden der Letzten Generation ab. Diese Doppelmoral tut der Demokratie nicht gut.

Man kann beide Proteste kritisieren

Man kann den Protest der Letzten Generation kritisieren, genauso wie man den Protest der Bauern kritisieren kann. Doch derzeit wird viel mit zweierlei Maß gemessen. Wenn die Letzte Generation Autobahnauffahrten blockiert, ist es das Gleiche, wie wenn die Bauern das tun. Wenn die Letzte Generation Kartoffelbrei auf Plexiglasscheiben vor Kunstwerken wirft, ist es das Gleiche, wie wenn Bauern Gülle im Tiergarten ablassen. Und wenn eine kleine Gruppe von Bauern (oder deren Trittbrettfahrer) einen Bundesminister in seinem Urlaub in eine Situation bringen, in der er und andere sich eingeschüchtert fühlen, dann muss man konstatieren, dass von den Klimaaktivisten nichts Vergleichbares bekannt ist.

Trotzdem werden vor allem die Klima-Aktivisten als „Terroristen“, „Klima-Radikale“ oder „Klima-RAF“ bezeichnet. Für die Bauern wird eine solche Sprache nicht in der weiten Teilen von Medien und Politik verwendet – und das ist auch gut so. Zwar gibt es auf den Demos Reichsflaggen oder Umsturzphantasien auf Plakaten, doch die meisten Bauern sind keine Extremisten. Gleiches gilt aber eben auch für die Letzte Generation, die letztendlich auch nur die Umsetzung dessen fordert, was zahlreiche Wissenschaftler für geboten halten, und dafür ähnliche Methoden einsetzen wie die Bauern.



Wer die Protestform der Letzten Generation ablehnt, darf den Bauern nicht bei ihren Blockaden zujubeln. Wer es doch tut, misst mit zweierlei Maß.