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Wird der Iran jetzt Israel gefährlich? Experte: „Offene Konfrontation würde einen großen Krieg bedeuten“

Wird Israel bald vom Iran angegriffen? Experte Ali Fathollah-Nejad erklärt im Interview, wovon ein Eingreifen des iranischen Regimes abhängt.

Neue Front für Israel im Norden?
© IMAGO / Bihlmayerfotografie

Netanjahu: Jedes Hamas-Mitglied ist ein toter Mann

Nach dem Angriff der Hamas hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu damit gedroht, alle Mitglieder der radikalislamischen Palästinenserorganisation zu töten. Jedes "Mitglied der Hamas ist ein toter Mann", sagte er.

Der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel erschüttert die Welt. Nun drohen weitere Fronten. Der Iran hat Israel mit einem „Erdbeben“ der Hisbollah gedroht, sollte es die Hamas im Gazastreifen angreifen. Auch die USA befürchten nach Angaben des Weißen Hauses eine Eskalation im Nahen Osten und ein direktes Eingreifen des Iran.

Der Nahost-Experte Ali Fathollah-Nejad erklärt im Interview mit unserer Redaktion, warum die iranische Warnung ernstgenommen werden sollte und wie es im Gaza-Streifen weitergehen könnte. Der Politikwissenschaftler ist Direktor des „Center for Middle East and Global Order (CMEG)“ in Berlin.

Interview mit Nahost-Experte Fathollah-Nejad: Wie weit geht der Iran?

Herr Ali Fathollah-Nejad, der Iran hat Israel mit einem „Erdbeben“ gedroht, sollte das Land die Hamas im Gazastreifen angreifen. Wie ernst müssen wir diese Drohung nehmen?

Ali Fathollah-Nejad: Aus Medienberichten wissen wir, dass der Iran wahrscheinlich an den Angriffen der Hamas auf Israel beteiligt war. Auch wenn das Regime die Angriffe öffentlich begrüßt hat, bestreitet es eine Beteiligung. Ob Iran auch direkt militärisch eingreifen wird, hängt davon ab, ob die Hamas durch die israelischen Vergeltungsschläge in existenzielle Not gerät. Sollte dies der Fall sein, ist es durchaus denkbar, dass Iran und sein Verbündeter die libanesische Hisbollah eingreifen. 

In welcher Form könnte es dann zu Angriffen kommen?

Fathollah-Nejad: Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten wie der Iran vorgehen könnte. Zum einen könnte der Iran durch seine Stellvertreter über die sogenannte „Achse des Widerstands“ agieren. Dazu gehören die libanesische Hisbollah, iranische Einheiten in Syrien und palästinensische Organisationen wie der Islamische Dschihad und die Hamas. Auch schiitische Gruppen im Irak haben die USA davor gewarnt, ebenfalls gegen die Hamas vorzugehen. Irans Einmischung würde somit mithilfe dieses Netzwerks erfolgen, etwa durch Raketen, aber auch durch Terroranschläge. 

Regime in Sorge vor militärischer Überlegenheit Israels und der USA

Würden Sie sagen, dass der Iran eine offene Konfrontation mit Israel vermeiden will?

Fathollah-Nejad: Ja, denn eine offene Konfrontation würde einen großen Krieg bedeuten. Das birgt auch Gefahren für den Iran. Oberste Priorität für die Islamische Republik ist die Sicherheit des Regimes. Ein offener Krieg gegen Israel könnte diese gefährden, denn Israel ist militärisch überlegen – vor allem mit der Unterstützung der USA. Das erklärt auch, warum hochrangige iranische Offizielle in den letzten Tagen eine iranische Beteiligung an einem Angriff auf Israel dementiert haben. 

Im Iran wird Berichten zufolge bereits an die Bevölkerung appelliert, sich freiwillig für einen Krieg gegen Israel zu melden. Glauben Sie, dass sich viele Menschen anschließen werden?

Fathollah-Nejad: Die Rhetorik der Islamischen Republik gegenüber Israel ist bekanntlich sehr feindselig. Gleichzeitig beobachten wir einen gesellschaftlichen Widerstand gegen die Propaganda des Regimes. Die Israelfeindlichkeit wird von großen Teilen der Bevölkerung nicht geteilt. Wenn es dennoch Aufrufe dazu gibt, dann sprechen sie die soziale Basis des Regimes an, die heute nur noch etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung ausmacht – und nur ein Teil davon ist so sehr ideologisiert, dass sie solche Appelle ernstnehmen. Ob sich die Menschen im Iran anschließen oder nicht, spielt kaum eine Rolle, da der Iran über seine Stellvertreternetzwerke über genügend militärisch Erfahrene verfügt. 

USA-Militärmanöver sind „ein wichtiges Signal“

Wie wichtig ist diesbezüglich die Unterstützung der USA für Israel?

Fathollah-Nejad: Die USA sind als militärische Supermacht der entscheidende Faktor für Israel. Deshalb ist auch das Manöver der Amerikaner, die zwei Flugzeugträger und die dazugehörigen Kriegsschiffe zu verlegen, ein wichtiges Signal, das Eindruck schindet. Damit will Washington einen möglichen Kriegseintritt des Iran und der Hisbollah verhindern. 


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Was sind mögliche Optionen wie es im Gaza-Streifen weitergehen könnte?

Fathollah-Neja: Das hängt sehr von der Art und den Folgen der [geplanten] israelischen Bodenoffensive ab. In den letzten Tagen gab es bereits massive Bombardierungen. Wir müssen davon ausgehen, dass die Hamas und die Islamische Republik jedes Bild, etwa von getöteten Kindern im Gazastreifen, für ihre Propaganda nutzen werden, um auf ihrer Seite gegen Israel weiter zu mobilisieren. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wo trotz der Barbarei der Hamas die völkerrechtlichen Grenzen eines israelischen Vergeltungsschlages liegen. Es besteht zudem die Gefahr, dass Israel mit seiner Gaza-Offensive in eine von der Gegenseite mitkalkulierte Falle gerät – zumal der damit einhergehende Häuserkampf mit hohen Risiken verbunden ist