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Correctiv wegen AfD-Recherche vor Gericht – Urteil lässt keinen Zweifel

Ein Teilnehmer des von Correctiv aufgedeckten „Geheimtreffens“ ist vor Gericht gezogen – und hat in einem Punkt Recht bekommen.

© IMAGO/Metodi Popow

Tausende demonstrieren in Hamburg gegen Rechts

Nach den Enthüllungen über ein Geheimtreffen von Rechtsextremen und AfD-Politikern zur massenhaften Vertreibung von Menschen aus Deutschland steigt die Zahl der Protestaktionen gegen rechts weiter an. In Hamburg kamen nach Polizeiangaben 50.000 Menschen bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus zusammen.

Am 10. Januar erschütterte eine brisante Enthüllung Deutschland: Ein Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv deckte auf, dass bei einem Treffen in Potsdam ein „Masterplan zur Remigration“ diskutiert wurde! Beteiligt waren rechtsextreme Kreise, finanzstarke Unternehmer sowie Politiker von AfD, CDU und Werteunion. Die Recherchen ergaben, dass bei dem sogenannten „Geheimtreffen“ ein Plan entwickelt wurde, Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus rassistischen Gründen aus Deutschland abzuschieben.

Die Recherchen haben nicht nur bundesweit, sondern auch international für Empörung gesorgt. Nun steht Correctiv mit seinen Recherchen vor Gericht. In den sozialen Netzwerken nutzen Rechte dies nun, um das „Geheimtreffen“ herunterzuspielen. So heißt es, „Correctiv musste vor Gericht die Hosen runterlassen“ oder „von wegen Geheimtreffen“. Was ist an den Vorwürfen dran?

Landesweite Protestwelle

Nach der Veröffentlichung der Recherche meldeten sich deutsche Spitzenpolitiker schnell zu Wort. Bundeskanzler Olaf Scholz warnte vor „Fanatikern mit Assimilationsfantasien“, während Bundesinnenministerin Nancy Faeser den Teilnehmern des Treffens vorwarf, „bewusst NS-Ideologien“ zu verfolgen.

Die Recherchen lösten eine landesweite Protestwelle aus, bei der mehr als eine Million Menschen auf die Straße gingen. Die diskutierten Ideen verknüpften viele Menschen mit dem Nationalsozialismus. Insbesondere die Analogien zu den Deportationsplänen haben in der Öffentlichkeit für Empörung gesorgt und zu einer Polarisierung der Debatte beigetragen.

Korrektur spezifischer Passagen

Nun steht Correctiv vor Gericht. In dem Verfahren vor dem Landgericht Hamburg, das von Ulrich Vosgerau angeregt wurde (einem Teilnehmer des Treffens und als „Anwalt der AfD“ bekannt), geht es um die Unterlassung bestimmter Aussagen im Correctiv-Bericht. Konkret werden drei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung diskutiert.

Im Mittelpunkt steht Vosgerau, der sich durch den Artikel falsch dargestellt sieht und die Korrektur einzelner Passagen fordert. Es geht also nicht um die Überprüfung der gesamten Recherche, sondern um die rechtliche Bewertung einzelner Aussagen.

Die Vorwürfe gegen Correctiv

So wirft Vosgerau Correctiv vor, seine in Potsdam geäußerte Kritik an der Briefwahl in ein rassistisches Licht zu rücken. Außerdem beharrt er darauf, dass er bei dem Treffen NICHT von „Bedenken gegenüber jungen türkischstämmigen Wählern, die sich keine unabhängige Meinung bilden können“ gesprochen habe.

Auch der Vortrag des Rechtsradikalen Martin Sellner spielt eine Rolle im Prozess – beziehungsweise eher die Passagen, an die sich Vosgerau erinnert. Laut Correctiv hatte Sellner von mehreren Gruppen gesprochen, die aus dem Land gejagt werden müssten, darunter „nicht assimilierte Bürger“.

Auf Anfrage von Correctiv habe Vosgerau vor Erscheinen des Textes geantwortet, er könne „sich nicht an die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag erinnern.“

Beide Seiten legen eidesstaatliche Versicherungen vor

Um das zu belegen soll Vosgerau nach Informationen der „Berliner Zeitung“ mehrere eidesstattliche Versicherungen von Teilnehmern des Treffens vorgelegt haben, die den Aussagen des Correctiv-Berichts widersprechen.

Daraufhin legte auch Correctiv eidesstattliche Versicherungen seiner Journalisten vor und betonte, dass die Berichterstattung den nötigen journalistischen Standards entspreche.

Correctiv gewinnt bei 2 von 3 Anträgen

Inzwischen hat das Landgericht Hamburg über alle drei Anträge entschieden – in zwei Fällen hat das Recherchenetzwerk Recht bekommen.

Allerdings hat das Landgericht Hamburg am 26. Januar eine einstweilige Verfügung gegen eine Passage der Correctiv-Recherche erlassen. Dabei geht es um die Darstellung einer angeblichen Äußerung Vosgeraus auf dem „Geheimtreffen“ zu den Erfolgsaussichten massenhafter Wahlprüfungsbeschwerden.

Vosgerau bekommt bei einer Passage Recht

So erklärte das Landgericht Hamburg, Correctiv habe den Antragsteller in einer Passage falsch wiedergegeben. In der Recherche heißt es, Vosgerau habe bei dem Geheimtreffen „ein Musterschreiben“ in Erwägung gezogen, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen: „Je mehr mitmachten, umso höher die Erfolgswahrscheinlichkeit“, soll er gesagt haben.

Vosgerau habe jedoch lediglich gesagt: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Wahlprüfungsbeschwerden Erfolg haben, sei umso größer, je mehr Beschwerden eingelegt würden“. Dabei gab das Gericht Vosgerau Recht.

Es handelt sich allerdings nur um diese Passage, die Vosgerau betrifft. Alle anderen Anträge blieben erfolglos – hier hat Correctiv gewonnen. Die Entscheidung des Gerichts bestätigt damit wesentliche Inhalte der Correctiv-Recherche.



Keine Zweifel an Kernaussagen

So betonte das Landgericht Hamburg: „Alle weiteren Inhalte der Correctiv-Berichterstattung, insbesondere ob, durch wen und in welchem Umfang die in dem Artikel thematisierte „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund, die einen Aufenthaltsstatus oder die deutsche Staatsbürgerschaft haben, auf der Veranstaltung in Potsdam diskutiert wurde, sind nicht Gegenstand der Entscheidung.“

Kritiker werfen dem Medienhaus dennoch vor, mit seiner Darstellung bewusst emotionale und politische Reaktionen provoziert zu haben. Befürworter argumentieren hingegen, dass die Recherche wichtige Fragen zur Rolle rechtsextremer Netzwerke in Deutschland aufgeworfen und eine notwendige gesellschaftliche Debatte angestoßen habe. Fest steht: An den Kernaussagen des „Correctiv“-Berichts gibt es keinen Zweifel.