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Kriminelle Clans – Experte erklärt: „Clankriminalität hat es geschafft, unseren Rechtsstaat zu zersetzen“

Kriminelle Clans – Experte erklärt: „Clankriminalität hat es geschafft, unseren Rechtsstaat zu zersetzen“

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Foto: dpa

Duisburg. 

Kriminelle Clans

beherrschen im Ruhrgebiet, Bremen und Berlin die Unterwelt. Die NRW-Regierung fährt mittlerweile eine Null-Toleranz-Strategie gegen die kriminellen Clans. Dr. Ralph Ghadban ist Experte auf diesem Gebiet. DERWESTEN veröffentlicht einen Auszug aus seinem Buch „Arabische Clans: Die unterschätzte Gefahr“ (Econ-Verlag, 2018).

Kriminelle Clans – Experte erklärt: „Clankriminalität hat es geschafft, unseren Rechtsstaat zu zersetzen“

„Der deutsche Staat interessiert mich nicht. Wir haben unsere eigenen Gesetze. Sonst würden wir doch nicht so eine Scheiße machen.“ Dies sind die Worte Tareks, eines Kokain-Dealers, der mit seiner arabischen Großfamilie im Berliner Bezirk Neukölln lebt. So spricht ein Mitglied der arabischen Clans.

Ganz anders spricht ein gewöhnliches Bandenmitglied der organisierten Kriminalität. Denn jemand, der einer solchen Bande angehört, ist durchaus am deutschen Staat interessiert, schließlich will er sich ja dessen Kontrolle entziehen.

Auch ein solches Bandenmitglied hat seine eigenen Gesetze. Aber es sucht darin auf keinen Fall eine Alternative zum Rechtsstaat, sondern lediglich ein Instrument, um die Beziehungen in der kriminellen Unterwelt zu regeln. Tarek und seinesgleichen dagegen scheinen sich im Besitz eines eigenen Rechtssystems zu wähnen, das sie veranlasst, unsere Gesetze zu brechen.

Mit der Nichtbeachtung dieser Gesetze signalisieren sie deutlich eine Ablehnung des Rechtsstaates. Ihre rechtlichen Vorstellungen werden ihnen in der islamischen Parallelgesellschaft vermittelt. [….]

Bekämpfung der Clankriminalität ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Bekämpfung der Clankriminalität ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht nur Sache der Polizei und der Justiz. Sie gehört zur Problematik der Integration und heißt: Wie kann man Migranten integrieren, die sich nicht individuell definieren, sondern als Mitglieder einer Gruppe? Das betrifft an erste Stelle die Gruppe jener Muslime, die vordergründig ihre islamische Identität betont und sich deswegen in der Parallelgesellschaft zu Hause fühlt. Sie lehnt, wie wir gesehen haben,unsere humanistischen Werte ab und will ihre eigenen islamischen Werte durchsetzen. […]

Sie (Anm. d. Red.: die patriarchalische Großfamilie) weist mehr oder weniger starke Strukturen auf, am meisten verfestigt sind die Clanstrukturen bei den Mhallami, die damit auch den größten Erfolg erzielen. Die Bemühungen, islamische Vorstellungen in unserer Gesellschaft durchzusetzen, stoßen jedoch auch an ihre Grenzen; die islamischen Verbände haben es nicht geschafft, den Rechtsstaat auszuhebeln. […]

„Gesellschaft als Beutegesellschaft“

Anders die Clankriminalität. Sie hat es geschafft, unseren Rechtsstaat zu zersetzen, indem sie die Arbeit vieler staatlicher Institutionen weitgehend gelähmt hat. Sie hat sich viele Freiräume geschaffen und kann mit wenigen Risiken ihrem kriminellen Geschäft nachgehen. Zum Leid vieler Menschen hat sie unvorstellbare Reichtümer angehäuft und behandelt unsere Gesellschaft als Beutegesellschaft.

Der Erfolg der Clans hat verheerende Konsequenzen, weil er den Sieg der Großfamilie gegen unser individualisiertes Gesellschaftsmodell bedeutet. Das Beispiel der Mhallami macht Schule. Andere Gruppen und Ethnien, die schon eine Großfamilientradition haben, versuchen, diese Tradition zu beleben, weil sich das Handeln nach ihren Werten in unserer offenen Gesellschaft auszahlt. Das bedeutet, dass eine individuelle Integration, vor allem unter den Flüchtlingen, nicht mehr angestrebt.

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Warum diese ganze Mühe für die Integration, wenn man sich direkt bedienen kann? Die allermeisten Flüchtlinge wollen nach Deutschland, weil dort die Alimentierung am besten ist. So war es damals bei den Libanon-Flüchtlingen, so ist es auch heute. Natürlich, nicht alle beschreiten den kriminellen Weg oder wollen es tun.

Aber diese rechtschaffenden Menschen haben keine Chance, Tonangeber in ihrem sozialen Milieu zu werden, weil sie bereits die Voraussetzungen für ein rechtschaffendes Leben nicht erfüllen können: Bevor sie eine Arbeit aufnehmen können, müssten sie die Sprache beherrschen und eine Ausbildung mitbringen.

Alle Schätzungen gehen davon aus, dass die erste Generation von Flüchtlingen diese Hürden nicht überwinden kann. Das bedeutet, dass erst mit der zweiten Generation möglicherweise eine Hoffnung vorhanden ist. Das ist aber bereits zu spät, weil bis dahin die Gesamtgruppe längst andere Wege eingeschlagen hat. […]

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Erfolgsmodell Niedersachsen

Das einzige Bundesland, in dem die Auseinandersetzung mit der Clankriminalität konsequent geführt wird, ist Niedersachsen. Das ist meines Erachtens auf zwei Gründe zurückzuführen: wenig Ideologie und viel Pragmatismus. In Niedersachsen, wie anderswo auch, wollte die Politik keine Stigmatisierung von Minderheiten und lehnte die Sammlung ethnischer Daten ab. Die Polizei stellte im Laufe ihrer Arbeit jedoch fest, dass die Mitglieder mancher Familien sehr häufig Straftaten begehen.

Als sie zwecks Auswertung die Straftatenregister verglich, sah sie, dass sich manche Namen wiederholten. Anders als bei anderen Polizeibehörden zog die Polizei in Niedersachsen auch das Register der Tatbeteiligten an Straftaten hinzu, um festzustellen, wie oft der Familienname bei Einsatzlagen der Polizei auftauchte, und bewertete die Wiederholung des Namens als Hinweis auf Clanstrukturen.

Die Polizei ging von den Tätern aus und verknüpfte, um Rückschlüsse zu ziehen, ihre Namen mit den Kriminalitätsereignissen. Anders als in Bremen hat sie nicht versucht, Verwandtschaftsverhältnisse zu rekonstruieren, aber auch sie musste wie üblich Familiendaten, etwa Erziehungsberechtigte bei Minderjährigen, sammeln.

Vom Einzelfall zum Clan

Die Polizei in Niedersachsen geht nicht von dem Clan aus, um dann etwa den Straftäter in diesen einordnen zu können. Sie geht vielmehr vom Einzelfall aus, um festzustellen, dass er eventuell einem Clan angehört. Bei drohender Gefahr allerdings – wie etwa der Befürchtung einer Mobilisierung des Clans zwecks Störung der öffentlichen Ordnung – rückt der Clan für die Planung der Einsätze in den Vordergrund.

Dann schaut man sich die verwandtschaftlichen Beziehungen an, um abzuschätzen, mit wem man es zu tun haben wird. Inzwischen beinhaltet die Liste Namen von circa einhundert Großfamilien – die Praxis erfordert eben eine Berücksichtigung von Ethnien und Verwandtschaft. Allerdings hatte die Polizei zum Teil auch auf die offizielle Multikulti-Politik Rücksicht genommen, und ethnische Kategorien tauchten in ihren Berichten nicht auf.

Die Situation änderte sich jedoch bald. Nach der Bedrohung von Richter und Staatsanwalt durch die Mhallami im „Ampelmord“-Prozess 2012 bat die Politik das LKA, entsprechend zu handeln. So begann die Polizei, ihre Aufmerksamkeit der Clankriminalität der Mhallami zu widmen. Die Politik wollte zwar keinen Merker „Mhallami“ in den Strafakten wie in Bremen sehen, weil sie die ethnische Stigmatisierung befürchtete, aber das fallorientierte Vorgehen der Polizei sowie ihre ausdifferenzierte Auswertung der kriminellen Daten scheinen ein Umdenken bei der Politik ausgelöst zu haben.

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Anhand der Erfahrung Niedersachsens und Bremens wird sichtbar, wo der Polizeiarbeit bei der Bekämpfung der Clankriminalität Grenzen gesetzt werden, aber auch, welche Hindernisse bis jetzt überwunden sind. In Bremen und Niedersachsen wurde die politische Hürde aufgehoben, mit dem Regierungswechsel in NRW, wo CDU/FDP die SPD/Grünen abgelöst haben, hat sich das politische Hindernis jetzt aufgelöst. Deshalb bemüht sich das Land zurzeit, den Weg Niedersachsens zu beschreiten. Hartnäckig dagegen beharrt Berlin auf der alten ideologischen Politik von Multikulti. […]

Eine Zusammenarbeit zwischen den vier Bundesländern, die die meisten Mhallami beheimaten – Berlin, Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen –, hätte eigentlich, zum Wohl der Allgemeinheit, schon längst gestartet werden müssen, aber das ist leider nicht passiert. Wünschenswert ist darüber hinaus die Ausdehnung der Clankriminalitätsbekämpfung auf ganz Deutschland, weil, wie die Konzeption aus Niedersachsen erwähnt, auch andere Ethnien Clanstrukturen aufweisen, beispielsweise die Albaner in Hessen.

Forderung: Eingliederung als selbständiger Schwerpunkt in den BKA-Arbeitsbereich

Damit würde auch das BKA, das sich mit bundesweit verbreiteten Formen der Kriminalität befasst, einbezogen. Das BKA, das sich bereits mit der organisierten Kriminalität beschäftigt, zeigte entsprechend schon vor ein paar Jahren Interesse an der Clankriminalität.

Auf die Polizeikonferenz in London 2017 lud mich die Forschungs- und Beratungsstelle für OK beim LKA ein, um zum ersten Mal darüber zu referieren – die Überlegungen zur Behandlung dieses Themas dauern aber an und sind noch nicht abgeschlossen.

Wünschenswert wäre die Eingliederung der Clankriminalität als selbstständiger Schwerpunkt in den Arbeitsbereich des BKA, ähnlich wie die Rockerkriminalität, die neben der organisierten Kriminalität selbstständig behandelt wird.

Dr. Ralph Ghadban ist 1949 im Libanon geboren und lebt seit 1972 in Deutschland. Er studierte Philosophie in Beirut sowie Islamwissenschaft in Berlin und schloss mit einer Promotion in Politikwissenschaft ab.

Seit 1993 ist er in der Migrationsforschung tätig mit dem Schwerpunkt Islam im Westen. Als Sozialarbeiter, ehemaliger Leiter der Beratungsstelle für Araber des Diakonischen Werks in Berlin und als Anstaltsbeirat der JVA Tegel hatte er persönlichen Kontakt zu vielen Clanmitgliedern.