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Duisburg: Kälte-Gefahr für Obdachlose – „Zitterte wie Espenlaub“

DER WESTEN ist einen Tag mit dem Kältebus in Duisburg unterwegs. Erschreckend, was Wohnungslose und Helfer täglich erleben.

Duisburg
© Tanja Pickartz / FUNKE Foto Services

Das bewegende Vermächtnis der erfrorenen Obdachlosen Elli

Düsseldorf, 05.01.2017: Mitten in der Düsseldorfer Altstadt ist die Obdachlose Elvira Nagel erfroren. Im Gästebuch der Kirche St. Andreas hat sie bewegende Einträge hinterlassen.

Den Verein „Gemeinsam gegen Kälte Duisburg“ gibt es schon seit 25 Jahren. Und fast genauso lange fährt in der Stadt der Kältebus umher. Dabei geht es nicht nur um die Kälte draußen, sondern auch um „die Kälte im Innern“, wie eine Sprecherin des Vereins gegenüber DER WESTEN erklärt. Seit etwa drei Jahren sitzen im Bus der 59-jährige Volker und seine Kollegin Susanne. Sie sind immer zu zweit unterwegs.

Sie verteilen Essen, warme Getränke, Kleidung und Schlafsäcke an Obdachlose und Bedürftige und stehen als Berater sowie Vermittler zu Einrichtungen und Ämtern zur Seite. Wenn jemand eine Postadresse braucht, telefonieren will, einen Antrag beim Amt stellen muss, hilft Susanne gerne. Am Montag (16. Januar) durfte ich, DER WESTEN-Reporterin, beide bei ihrer Tour begleiten. Los ging es um 9 Uhr am Schäferturm in Duisburg.

Duisburg: Ein Tag mit dem Kältebus

Kaum ist Susanne aus dem Kältebus ausgestiegen, wird sie auch schon von mehreren Leuten umringt. Und da geht es auch schon los mit dem ersten Problem. Eine Frau erzählt, sie bekomme seit Wochen kein Geld mehr vom Amt. Sie sei lange im Krankenhaus gewesen und stünde nun ohne alles da. Susanne kümmert sich sofort, stellt Fragen, telefoniert rum. Währenddessen verteilt Volker hinten am Bus aus einem Fenster heraus geschmierte Brote und Kaffee, gespendete Kleidung oder auch Schlafsäcke. Alles sind Spenden, teils von der Tafel, teils kauft Volker vom Verein aus für die Menschen ein. Daneben geben er und seine Kollegin auch Gutscheine für Essen raus, Bustickets, Obst, Gemüse oder auch mal was Süßes.


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Der nächste Klient kommt vorbereitet mit Formularen und Anträgen. Chronisch krank verlor der 56-jährige K. vor einiger Zeit seine Arbeitsstelle, erzählt er DER WESTEN seine Geschichte. Eigentlich müsse er operiert werden, doch habe er Angst davor: „Was ist, wenn ich danach nicht mehr gehen kann? Wer schiebt mich dann?“ Schließlich sei er alleine, habe niemanden. Einen neuen Job zu finden, sei mit seiner schlechten Deutschkenntnis auch nicht so leicht, erzählt er, während er frierend auf der Stelle geht.

„Habe keine Berührungsängste mehr“

K. ist ein gutes Beispiel, sagt Volker. „Viele wollen gar keinen Kommentar. Die wollen einfach nur, dass jemand zuhört.“ Und manche brauchen auch mal eine Umarmung, so wie die letzte Klientin beim ersten Stopp in der Innenstadt. Kurz vor Abfahrt steht eine junge Frau vor Susanne. Sie ist schwanger und hat offenbar Probleme mit den Zähnen. Noch heute sollen ihr mehrere Zähne gezogen werden.

Während die Frau erzählt, kommen ihr plötzlich die Tränen. Da überbrückt auch Susanne die kurze Distanz und nimmt die Klientin in die Arme. „Pass auf dich auf und melde dich, wenn was ist“, sagt die Ehrenamtlerin ihr zum Abschied. „Ich habe keine Berührungsängste mehr“, erzählt Susanne im Auto auf der Fahrt zum nächsten Halt in Marxloh. Schon viele Jahre ist sie ehrenamtlich aktiv und seit drei Jahren beim Kältebus. „Das ist total erfüllend“, sagt sie. „Man bekommt so viel zurück von den Menschen.“

Duisburg
Volker und Susanne stehen vor dem Kältebus. Foto: Marie Bonnet / DER WESTEN

Und sie selbst sei seither deutlich demütiger und dankbarer für das, was sie hat. Denn sie sieht täglich, wie schnell es gehen kann. „Bei manchen Menschen braucht es nicht viel und sie rutschen ab.“ Und auch Volker fährt gerne den Kältebus durch die Stadt: „Das ist das Sinnvollste, was ich je gemacht habe.“

Doch nicht immer habe die Arbeit nur „Lichtblicke“ für die beiden parat. Erst vor Kurzem sei eine Klientin gestorben. Dass zu hören oder anderen erzählen zu müssen, sei schon sehr hart. Susannes persönlicher Albtraum wäre es, bei ihren Runden durch die Stadt einmal einen toten Wohnungslosen zu entdecken. „Davor habe ich wirklich Angst“, verrät die ansonsten so toughe Frau.

Obdachloser in Duisburg „zitterte wie Espenlaub“

Der Stopp in Marxloh ist auch schon der Letzte. Dienstags geht es noch weiter zum Hamborner Rathaus. Volker und Susanne klappern beinahe täglich die Standorte ab. „Es ist wichtig, Präsenz zu zeigen“, erklärt Susanne. „Die Leute wissen dann, wo wir zu finden sind und können uns gegebenenfalls ansprechen.“ Und dann statten die zwei auch noch ein paar bekannten Gesichtern in der Umgebung einen Besuch ab, die nicht zum Bus kommen. Manchmal gehen sie auch Meldungen nach von Anwohnern, die Wohnungslose bei sich in der Umgebung entdeckt haben.


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Heute geht es nach Walsum. Dort wurde dem Verein schon mehrfach ein Mann gemeldet, der in einem primitiven Verschlag in einer Wohngegend haust. In einem Sammelsurium aus Kleidungsstücken und Bierflaschen sitzt ein abwesend wirkender Wohnungsloser, der zunächst auch jede Hilfe abwehrt. Doch schließlich nimmt er den angebotenen Kaffee an. „Der zitterte wie Espenlaub und war kurz vorm Weinen“, ordnet Susanne die Situation für sich ein.

Sie verspricht ihm, nächste Woche wieder vorbeizuschauen und gibt ihm auch die Karte vom Verein mit. „Es geht darum, Vertrauen aufzubauen“, erklärt Susanne auf dem Rückweg. Denn genau das hätten viel Obdachlose längst verloren – ob in das System oder die Menschen.