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„Zieh sie raus‟ – Diese Worte wird Loveparade-Besucherin Rebecca (34) nie vergessen

„Zieh sie raus‟ – Diese Worte wird Loveparade-Besucherin Rebecca (34) nie vergessen

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Rebecca Doll hat die Loveparade nur knapp überlebt. Mit uns hat sie über ihre Geschichte gesprochen. Foto: Kathrin Migenda

Duisburg. 

Zum Auftakt des Loveparade-Prozesses sind viele Angehörige von Opfern gekommen und auch Menschen, die an dem verhängnisvollen Tag des 24. Juli 2010 selbst zum Opfer wurden.

So auch Rebecca Doll (34) aus Hamburg. Sie lag unter acht Menschen und war eine der Schwerverletzten der Loveparade.

Sie ist verheiratet, hat drei Kinder. Der Prozess-Auftakt mit der Verlesung der Anklage hat bei ihr viele Gefühle geweckt. Sie sagt: „Das war wie ein Flashback. Auf einmal kamen die Bilder wieder hoch, wie wir da an der Treppe in der Menge standen und nichts mehr ging.‟

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Damals fuhr sie mit Freunden und ihrem Ehemann zur Loveparade. Die Freunde gingen direkt nach der Ankunft zum Gelände, feierten unbehelligt.

„Wir sind dann erstmal noch nach Krefeld in ein Hotel zum Einchecken. Wir wollten in Ruhe ankommen und vor allem am nächsten Tag gemütlich wieder abreisen können. Das war unser Verhängnis‟, erzählt Rebcca.

Als sie mit ihrem Mann Christian zum Gelände kommt, ist es voll. Richtig voll. Gegen 16 Uhr geht das Gedränge los. Rebecca und Christian mitten drin. Es wird eng, sie werden gequetscht. Rebecca erzählt: „Mein Füße hingen in der Luft. Ich konnte immer schlechter atmen. Die Menschen vor mir drückten nach hinten, die von hinten drückten nach vorne.‟

Diese Wellenbewegungen der Masse fangen die Kameras ein. Die Bilder gingen um die Welt. Mittendrin Rebecca. „Dem Mann vor mir habe ich auf den Rücken getrommelt, er sollte nach vorne gehen. Dann weiß ich nicht mehr viel.‟

Ein Satz aber bleibt ihr bis heute im Gedächtnis: „Zieh sie da raus‟, schrie eine Stimme. „Dann packte jemand meinen Arm. Danach ist alles schwarz‟, erzählt Rebecca.

Um 18.03 Uhr wird sie bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert. Sie hat unter anderem eine Lungenquetschung und eine Hüft-Prellung. Ihr Mann liegt in einem anderen Krankenhaus – er hat sogar einen Schuhabdruck im Gesicht. Als er erfährt, dass sie schwerverletzt ist, entlässt er sich und fährt mit dem Taxi zu ihr.

„Sie können froh sein, dass Sie noch leben“

Als sie aufwacht und sich beschwert, dass ihre Kamera und das selbstgenähte Kostüm kaputt sind, guckt der Notarzt sie an und sagt: „Sie können froh sein, dass Sie noch leben. Wenn man Sie zwei Minuten später dort rausgezogen hätte, wären Sie jetzt tot.“

Seit der Tragödie in Duisburg denkt Rebecca viel darüber nach, was gewesen wäre, wenn ihr Mann und sie nicht zurückgekommen wären. „Dann gäbe es unser drittes Kind zum Beispiel nicht“, sagt sie.

Manchmal schaut sie sich Blätter und Bäume an und denkt, „die wären jetzt auch da, wenn ich nicht da wäre‟. Oder wenn ihr ein Fahrradfahrer entgegenkommt, denkt sie, „wenn ich nicht da wäre, müsste er jetzt nicht ausweichen.‟

„Die müssten eigentlich auf der Anklagebank sitzen“

„An vieles kann ich mich gar nicht richtig erinnern‟, sagt die Hamburgerin. Als sie nach einem Jahr wieder an der Gedenkstätte ist, zeigt ihr Mann ihr, dass die beiden etwa einen Meter entfernt von der Treppe gestanden haben.

„Mehr als eine Stunde lang kamen wir dort nicht hoch, weil die Polizei nicht geholfen hat und die Menschen sich nicht entscheiden konnten, ob sie nach vorne oder nach hinten wollten. Ich dachte, wir hätten viel weiter weg von der rettenden Treppe gestanden.‟

Wenn sie an die Angeklagten denkt

Denkt sie an die Angeklagten wird sie wütend. „Zum Teil sitzen die falschen Leute auf der Anklagebank“, sagt sie. „Auch Die Polizei müsste hier beim Prozess vertreten sein. Ich erinnere mich, wie die Polizisten da standen, mit verschränkten Armen. Sie haben einfach nicht geholfen.‟

Seitdem vertraue sie nicht mehr auf die Polizei. Wenn sie Martinshörner hört, läuft es ihr kalt über den Rücken. Dann ist die Loveparade wieder ganz nah.

Und trotzdem ist Rebecca erleichtert, dass es nun endlich Antworten gibt. Antworten auf die Frage, warum das Unglück geschehen ist und wer dafür verantwortlich ist.