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Lützerath: „Wie ein Sommercamp“ – Warum uns die Aktivisten überraschten

Die Reporter von DER WESTEN waren in Lützerath und haben mit den Aktivisten gesprochen. Überraschend, was dabei herauskam.

Lützerath Barrikaden
© Charmaine Fischer / DER WESTEN

Räumung hat begonnen: Polizei-Großeinsatz in Lützerath (REEL)

Schon auf dem Weg nach Lützerath fallen am Mittwochmorgen (11. Januar) die vielen Streifenwagen auf. In das Städtchen im Rheinland selbst kommen wir nicht mehr rein: Lützerath ist abgeriegelt. Nur per Polizei-Shuttle ist es möglich, in das Dorf zu gelangen.

Alle Augen, auch im Ausland, blicken auf Lützerath – und diese Redaktion ist mittendrin!

Aktivisten in Lützerath: „RWE wird plattgemacht“

Wir fahren drei Kilometer durch Sperrgebiet, ehe wir am Ortseingang herausgelassen werden. Überall Polizei. Aktivisten machen bereits eine Sitzblockade. Die Anspannung ist zu spüren, eine Mundharmonika zu hören. „Fünf, sechs, sieben, acht, RWE wird plattgemacht“, singen die Aktivisten. Die Ersten von ihnen werden von der Polizei herausgetragen. Sie werden von den anderen Aktivisten beklatscht und bejubelt. Irre, wie sie es auf dem kalten, nassen und matschigen Boden aushalten. Einige von ihnen kletterten auf meterhohe Balken und verharren dort – trotz des kalten Windes, der ihnen ins Gesicht peitscht. Durchsagen und Sirenen-Geheule übertönen den Gesang der Aktivisten.

Wir sind überrascht: Einerseits dieses friedvolle, fast meditative Singen und Musizieren. Andererseits der martialische Anti-RWE-Text. Und nur 50 Meter weiter spielen sich völlig andere Bilder ab: Polizisten, die von Vermummten mit Flaschen, Böllern und Steinen beschmissen werden. „Verpisst euch, solange ihr noch könnt“, schreit einer vom Dach eines Hauses. Ein anderer: „Ihr wisst ja nicht, was wir für Euch vorbereitet haben!“ Ein Journalisten-Kollege wird neben uns persönlich bedroht, ihm wird gar ein Molotow-Cocktail gewünscht. Hat das was mit friedlichem Protest zu tun? Eher wenig.

Aktivisten nisten sich ein

Auf dem weiteren Weg durch Lützerath stoßen wir immer wieder auf Barrikaden, die die Aktivisten aus den unterschiedlichsten Materialien errichtet haben: Holzbalken, Steine, Metallzäune, Schrott, alte Möbel. Sie sollen verhindern, dass Einsatzfahrzeuge und Bagger näher heranrücken können.

Lützerath Barrikaden
In Lützerath verschanzen sich die Aktivisten vor den Räumungsarbeiten der Polizei. Foto: Charmaine Fischer / DER WESTEN

Die Aktivisten haben sich inzwischen ihr eigenes Reich geschaffen: Baumhäuser wurden aufgebaut, Zelte aufgeschlagen. In ehemaligen Ställen und Bauernhöfen haben sie sich notdürftig eingerichtet. „Fast wie ein Sommercamp“, meint ein Polizist augenzwinkernd zu uns.

Brettspiele, kiloweise Säcke Nudeln, eine Anleitung mit dem Titel „Emotionaler Umgang mit Räumungssituationen“ liegen herum. Ein Aktivist fragt uns in gebrochenem Englisch: „Wollt Ihr Kaffee aus Nizza?“ Wir lehnen dankend ab. Wieder zeigt sich das ambivalente Bild der Aktivisten: Die eine Gruppe zeigt sich gewaltsam, wirft Steine und mehr. Eine andere Gruppe wiederum bietet Kaffee an, sucht Nähe, will die Gesellschaft mit Spielen und Büchern genießen – menschliche Attitüden und Bedürfnisse, die man auch „draußen“ hat.

Lützerath Polizisten tragen Aktivisten weg
Polizisten tragen Aktivisten weg. Foto: Charmaine Fischer / DER WESTEN

Lützerath: Protest zwischen Frieden und Gewalt

Plötzlich ertönt wieder Lärm, Polizisten verschaffen sich Zugang zu einer besetzten Lagerhalle. Aktivisten nehmen die Hände hoch, niemand von ihnen wird abgeführt, sie geben sich friedfertig. Fast zeitgleich werden andere Polizisten und auch wir wiederum von den Dächern mit Unrat und Schmutz beworfen. Die Stimmung ist merklich aggressiver.


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Wiederum ein paar Meter weiter schießen Vermummte eine Feuerwerksrakete mitten in die Polizisten. Die heben ihre Schutzschilder, es wird Pfefferspray eingesetzt, ehe die Wurfattacken aufhören. Überraschend, wie wieder einerseits friedlich, andererseits gewaltvoll hier protestiert wird. Schritt für Schritt, Tag für Tag wird es so weitergehen, ehe Lützerath endgültig geräumt ist. Hoffentlich am Ende dann doch relativ friedlich…