Wann kommt die Corona-Notbremse? Und wie sieht sie am Ende aus? Nachdem es nach den letzten Ministerpräsidentenkonferenzen meist nur lauwarme Beschlüsse gab, wollte die Regierung um Kanzlerin Merkel im Bund durchgreifen. Doch vieles steht noch auf wackligen Beinen. Bei „Maybrit Illner” (ZDF) machte Karl Lauterbach dabei deutlich, warum es seiner Meinung nach an einer bundesweiten Notbremse keinen Weg vorbei gebe.
Eindringlich warnte, appellierte und mahnte der SPD-Politiker bei „Maybrit Illner“ und zeichnete dabei ein drastisches Bild auf. Die Nerven liegen blank – das zeigten auch die ständigen gegenseitigen Angriffe von Christian Lindner (FDP) und Olaf Scholz (SPD).
„Illner“: Lauterbach wettert gegen Modellversuche: „Gift“
Der SPD-Kanzlerkandidat Scholz war bei „Maybrit Illner“ überzeugt, dass schon in der nächsten Woche das neue Infektionsschutzgesetz samt Notbremse kommen werde. Auch sein Parteikollege Karl Lauterbach sagte, es brauche das Gesetz „unbedingt“. Allein schon, damit Lockerungen in Form von Modellversuchen aufhörten: „Das halte ich für Gift in der derzeitigen Situation“, dort würden konsequent Notbremse-Mechanismen umlaufen. Seine Prognose für die nächsten Wochen fiel aber auch trotz kommendem Gesetzentwurf dramatisch aus.
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Die Gäste bei „Illner“:
- Christian Lindner, FDP-Vorsitzender
- Bernd Althusman, stellvertretender Ministerpräsident Niedersachsens
- Olaf Scholz, SPD-Kanzlerkandidat
- Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte
- Claudia Kade, Ressortleiterin Politik „Welt“
- Anna Leisner-Egensperger, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Jena
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„Trotzdem darf man sich keiner Illusion hingeben“, so der Gesundheitsexperte. Bereits im Laufe der nächsten Woche werde die Inzidenz über 200 steigen, schon jetzt gebe es in bestimmten Regionen eine leichte Triage. „Wir sind mit der Intensivkapazität und den Fallzahlen am Rand“, warnte Lauterbach und kritisierte die seit Wochen geführten Diskussionen: „Wir verlieren sehr viel Zeit.“ Es werde noch Wochen dauern, bis man eine Inzidenz von unter 100 erreiche.
FDP-Chef Christian Lindner zeigte sich wenig beeindruckt von den Appellen Lauterbachs. Er teile die Einschätzung, dass gehandelt werden müsse. Ausgangsbeschränkungen seien allerdings der falsche Weg. Stattdessen müssten Tests ausgeweitet, Kontakte eingeschränkt und das Impftempo erhöht werden. Das wohl kommende Gesetz sei „mit heißer Nadel gestrickt“. Die Orientierung allein an der 100er-Inzidenz sei „nicht sachgerecht und verfassungsrechtlich problematisch“.
FDP-Chef Linder stellt Verfassungsmäßigkeit von Notbremse in Frage
Zwischenzeitlich hatte man bei „Maybrit Illner“ das Gefühl, in einem Einführungsseminar für Verfassungsrecht zu sitzen. Beispielsweise als „Welt“-Journalistin Claudia Kade Zweifel „an der juristischen Expertise bei diesen Pandemie-Beschränkungen“ äußerte und an die gescheiterte Osterruhe erinnerte, worauf Olaf Scholz ihr direkt dazwischenrief: „Am Ende ist nichts zulässig und wir dürfen gar nichts machen. Das ist der typische Sophismus in dieser Situation, man redet so lange bis man gar nichts mehr machen kann.“ Als Außenstehende habe man nach der Osterruhe „nur mit dem Kopf schütteln“ können, entgegnete Kade, die wachsende Zweifel an der Gründlichkeit und Seriosität der Maßnahmen wahrgenommen haben will.
Auch Lindners Kritik an dem geplanten Gesetz riss nicht ab. Damit sei es „nicht mehr möglich, vor Ort die Lage zu bewerten“. Er habe Verständnis, dass der Landkreistag von einem „Misstrauensvotum“ gegen ihn gesprochen habe. Scholz hielt sofort dagegen. Er sei „entschieden anderer Meinung“, ab einer Inzidenz von 100 müsse man handeln. Sonst gebe es so viele Diskussionen, „dass am Ende niemand mehr handelt“.
Scholz bei Maybrit Illner: Nicht handeln „wäre ein Verbrechen“
Neben dem Gesetz selbst rückten dabei vor allem die geplanten Ausgangsbeschränkungen in den Fokus. Diese könnten den Reproduktionswert „zwischen zehn und 20 Prozent“ senken, so Lauterbach. Er wies zudem darauf hin, dass die britische Mutation konnte „ohne Ausgangsbeschränkungen noch nie kontrolliert werden“ konnte. „Es hat, wo man es gemacht hat, geklappt“, ihm falle es schwer, die Diskussion nachzuvollziehen. Olaf Scholz wurde sogar noch deutlicher: Jetzt nicht zu handeln, „wäre ein Verbrechen“.
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FDP-Chef Lindner zeigte sich weniger überzeugt von Ausgangssperren und kündigte bereits an: „Sollten sie das so beschließen Herr Scholz, dann werden wir nächste Woche in Karlsruhe Klage erheben.“ Den SPD-Kanzlerkandidaten ließ das jedoch kalt. An schnellem Handeln führe kein Weg vorbei: „Die Frage, ob wir im Sommer die Freiheiten zurückhaben, oder erst sehr viel später, entscheidet sich jetzt in den nächsten Tagen.“
Karl Lauterbach bei Maybrit Illner: „Uns läuft die Zeit davon“
Karl Lauterbach versuchte den Ernst der Lage mit einer Schilderung der aktuellen Situation auf den Intensivstationen zu verdeutlichen – und diese Schilderung hatte es in sich. Der Altersdurchschnitt dort sei im Schnitt bei gerade einmal 47 bis 48 Jahren, Menschen, die mitten im Leben stehen würden. Die Hälfte der Menschen am Beatmungsgerät versterbe: „Das ist eine Tragödie. Da verlieren viele Kinder derzeit ihre Eltern.“ Erneut mahnte er: „Uns läuft die Zeit davon, ich kann die Debatte nicht verstehen.“
Lindner entgegnete, dass er trotzdem Wert darauf lege, dass die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Es reiche eine Person, die dagegen Klage. „Sie sind Jurist, Sie wissen das“, sagte er in Richtung von Olaf Scholz. Daraufhin wurde es hitzig.
Scholz warf ihm entgegen: „Nein, Herr Lindner, sie reden drum rum. Sie werden dem Ernst der Sache nicht gerecht.“ Sichtlich angefressen konterte der FDP-Chef: „Das werden wir ja sehen, wenn Karlsruhe geurteilt hat“ und ergänzte wenig später: „Mit dem Selbstbewusstsein, mit dem Sie hier sicher sind, das wäre ich an Ihrer Stelle nicht“.
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„Hier sterben Leute wenige Wochen vor der Impfung. Es ist einfach absurd“, versuchte SPD-Experte Lauterbach noch einmal den Fokus zu wechseln. Gebetsmühlenartig betonte er erneut, dass es nun um jede Stunde gehe. Und am Ende sprach Lauterbach für alle, als er noch einmal fast resigniert sagt: „Uns läuft die Zeit davon.“
Die gesamte Folge Maybrit Illner kannst du hier in der ZDF-Mediathek schauen.