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Kindergrundsicherung: Immer mehr Mütter leiden Hunger – „Verbrechen durch Politik“

Mit der Krise hat sich die Armut in Deutschland weiter verschärft. Vor allem Mütter sehen sich finanziell stark belastet – das wirkt sich auch auf die Kinder aus.

Kindergrundsicherung könnte im Kampf gegen Kinderarmut helfen. Vor allem Frauen sehen sich finanziell stark belastet.
© IMAGO / Michael Gstettenbauer

Bürgergeld, Aktienrente und Kindergrundsicherung: Diese Reformen kommen

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Erst die Corona-Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine und die europaweite Energiekrise – die aktuellen Zeiten sind für viele Menschen bedrückend. Das gilt besonders für Mütter. Sie fühlen sich gerade finanziell deutlich stärker belastet als andere, wie eine Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung zeigte.

„Das ist ein Alarmzeichen, denn finanzielle Probleme und Armut insbesondere von Müttern sind ja besonders eng verbunden mit der Armut von Kindern und Jugendlichen“, sagte Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Neusten Zahlen der Bertelsmann-Stiftung zufolge sind rund drei Millionen Kinder unter 18 Jahren und zusätzlich mehr als 1,5 Millionen junge Erwachsene im Alter von unter 25 Jahren armutsgefährdet.

Kindergrundsicherung: Finanzielle Not nimmt zu

In der Umfrage berichteten rund 40 Prozent der Mütter von starken finanziellen Belastungen. Diese Zahlen sehen die Mitarbeiter der Arche täglich in den Einrichtungen, erzählt Wolfgang Büscher, Pressesprecher der Arche Berlin.

In den letzten Wochen habe er mit vielen Müttern gesprochen. Dabei fällt auf: „Wir haben erheblich mehr Mütter, die zum ersten Mal sagen ‚Ich esse mittags nichts, damit meine Kinder abends was zu Essen haben'“, berichtet Büscher dieser Redaktion. Der Großteil der Kinder gehe ohne Frühstück in die Schule.

Bei der letzten Lebensmittelausgabe des Christlichen Kinder- und Jugendwerkes kamen 300 Familien. „Wir merken ein massives Zunehmen, nicht nur in den Berliner Archen, das geht quer durch die ganze Republik“, schlägt Büscher Alarm. Seit mittlerweile zwanzig Jahren arbeitet er bei der Arche und habe bislang nicht damit gerechnet, dass Mütter sagen: „Wir haben Hunger!“ Dass das in einem Land wie Deutschland passiere, ist für Büscher eine „Tod-Sünde“.

Kindergrundsicherung: Geld reicht nicht für „menschenwürdiges Leben“

Vor allem Mütter, die von Sozialleistungen leben, einem Job im Niedriglohnsektor nachgehen oder sogenannte Aufstockerinnen sind, suchen Hilfe bei der Arche. „Mütter finden aber in der Regel auch schwieriger einen Job“, so Büscher. Von Sozialleistungen und Mindestlohn könne man sich aber kein menschenwürdiges Leben leisten – „das ist ein Desaster“.

„Das neue Bürgergeld ist letztendlich nur ein Witz, weil es mehr als nur von der Inflation gefressen wird“, mahnt der Arche-Sprecher. Vor allem Grundnahrungsmittel wie Butter, Milch und Brot sind massiv teurer geworden. Die Arche hilft Familien und alleinstehenden Müttern vor allem mit Lebensmittelpaketen. Dafür nahm die Soziale Einrichtung im letzten Jahr einen Lebensmittel-Fonds in Höhe von 500.000 Euro auf.

„Bei uns bekommt jede Mutter (Väter machen weniger als zehn Prozent aus) in allen deutschen Archen (30) zwei mal im Monat ein Lebensmittelpaket im Wert von 65 bis 80 Euro“, betont Büscher. Die Not der Mütter mit Kindern sei im Moment wirklich massiv. Einen Zuwachs in den Archen spüren die Einrichtungen bereits seit ein paar Monaten.

Kindergrundsicherung: Vorwürfe an die Politik

Doch was muss sich ändern, damit die Zahl armutsgefährdeter Kinder nicht noch weiter steigt? „Die einzige Möglichkeit ist eine Kindergrundsicherung“, erklärt der Arche-Sprecher dieser Redaktion. Laut Büscher seien in Deutschland insgesamt 4,6 Millionen Kinder armutsbetroffen (zusammengerechnet mit den Kindern, die in der Nähe von Armut leben). „Diese bekommen keine vernünftige Ausbildung, kein Nachhilfeunterricht, keine individuelle Förderung, keine gesunde Ernährung“, betont Büscher.

Vor allem die Politik vergesse diese Kinder teilweise. Nach Ansicht der Arche ist das eine „riesen Schande“. Der Arche-Sprecher übt Kritik: „Wir suchen Fachkräfte aus dem Ausland, aber bilden unsere eigenen Kinder nicht aus. Kinder sind die einzige Ressource, die wir haben“.

Kindergrundsicherung: „Kinder auf Sozialpolitischem Müllhaufen“

Die Auszahlung der Kindergrundsicherung erfolgt voraussichtlich 2025, laut Büscher allerdings viel zu spät. „Kinder leben jetzt, Kinder brauchen heute unsere Hilfe, Kinder sind Gegenwart und nicht nur Zukunft, wir müssen unmittelbar und sofort helfen“, so Büscher. Auch Bettina Kohlrausch von der Hans-Böckler-Stiftung plädiert für eine schnelle Umsetzung der Kindergrundsicherung.


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Experte Bücher macht der Politik wegen der späten Reaktion große Vorwürfe: „Wir werfen Millionen von Kindern auf den Sozialpolitischen Müllhaufen, das ist ein Verbrechen an Kindern durch die Politik“.

Die Politik müsse Kinder viel früher fördern. Die Arche wolle Kinder stark machen. Denn: „Ein starkes Land braucht starke Kinder und starke Jugendlichen“.