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Erdogan: Warum wählen ihn eigentlich so viele Deutsch-Türken?

Wahlen der Vergangenheit zeigen: Deutsch-Türken sympathisieren mit Recep Tayyip Erdogan. Doch warum ist das so?

Erdogan
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Umfrage zum Türkei-Referendum in Essen-Katernberg

In Essen haben 75 Prozent der wahlberechtigten Deutsch-Türken für eine Verfassungsänderung in der Türkei gestimmt. Im Video erzählen Essener, ob sich das Zusammenleben mit den türkischen Mitbewohnern durch die Wahl verändert.

Noch bei der Türkei-Wahl im Jahr 2018 gab die weitüberwiegende Mehrheit (64,8 Prozent) der Deutsch-Türken, die in Deutschland leben und wahlberechtigt sind dem Langzeitherrscher Recep Tayyip Erdogan ihre Stimme. Wie passt das zusammen, fragen sich viele. Hier die Vorzüge der Demokratie genießen und dort jemanden wählen, der sie abschaffen will?

„Ein Hauptgrund ist, dass Erdogan seit 20 Jahren eine sehr aktive Diaspora-Politik führt“, so der Kölner Türkei-Experte und Journalist Eren Güvercin. „Unsere Politiker haben das nicht so wirklich wahrgenommen oder wollten es nicht wahrnehmen“. Erdogan sehe die türkische Community in Deutschland, welche die größte türkische Community außerhalb der Türkei ist, als „Verfügungsmasse“ und er „versuche natürlich die Community nach seinen Vorstellungen zu beeinflussen“, so Güvercin.

Erdogan: „Diskriminierungserfahrungen instrumentalisiert und populistisch ausgeschlachtet“

Konkret mache er das, indem er zum Beispiel ein „Amt für Auslandstürken“ etabliere. Oder über Jugend- und Kulturprogramme oder auch über Religionspolitik, wie die Kontrolle des türkisches Staates über den Moscheeverband „Ditib“ zeigt – „über all diese Strukturen versucht er seit über 20 Jahren seit seiner Regierungszeit in die türkische Community in Deutschland hineinzuwirken“, führt der Journalist aus.

„Er vermittelt ihnen so das Gefühl dass er der große Bruder der türkeistämmigen Menschen in Deutschland ist“. Und er habe auch in all diesen Jahren auf eine sehr „raffinierte Weise reale Diskriminierungserfahrungen instrumentalisiert und populistisch ausgeschlachtet“. Er vermittele ihnen das Gefühl: „Egal wie gut du integriert und wie erfolgreich du beruflich in Deutschland du bist – du wirst von den Deutschen nie als gleichberechtigter Bürger anerkannt, du wirst immer ein Bürger zweiter Klasse bleiben. Sei also stolz auf dein Türkendasein und sei loyal zum türkischen Staat“.

Erdogan habe es darüber auch geschafft „einen emotionalen Zugang zu den Menschen zu finden“. Ein Punkt, über den „wir uns als deutsche Gesellschaft, aber auch die politischen Verantwortlichen selbstkritisch die Frage stellen müssen, warum wir all die Jahre diese Agitation von Erdogan und seiner Strukturen in Deutschland ignoriert und vor allem, warum wir dem nichts entgegensetzt haben“.



Es sei im Grunde auch „ein Wettbewerb um die Herzen und Köpfe der Menschen, die mittlerweile in dritter oder vierter Generation hier bei uns leben. Das sind unsere Bürger. Und wir haben als Gesellschaft und vor allem haben es unsere Politiker nicht geschafft einen emotionalen Zugang zu diesen Menschen aufzubauen und sie so von den liberalen Werten unserer Demokratie zu überzeugen“.