Veröffentlicht inPolitik

Bürgergeld: Betroffener legt schonungslos Armut offen – „Wenig Geld und Verzicht“

Trotz Bürgergeld-Reform leiden einkommensschwache Haushalte unter gestiegenen Kosten. Wie hart das wirklich ist, erklärt Empfänger Olaf Basilon.

Bürgergeld: Gerade einkommensschwache Haushalte leiden unter den steigenden Preisen.
© IMAGO / teamwork

Das ist das neue Bürgergeld

Nach der Einigung im Vermittlungsausschuss haben Bundestag und Bundesrat die Einführung des Bürgergelds beschlossen. Damit kann die neue Grundsicherung für Langzeitarbeitslose wie geplant zum 1. Januar in Kraft treten.

Die Auswirkungen des Ukrainekriegs und der hohen Inflation bekommen auch viele Deutsche zu spüren – sei es beim Einkaufen im Supermarkt, dem Bezahlen der Gas- oder Stromrechnung oder an der Tankstelle.

Besonders einkommensschwache Haushalte leiden unter den Preissteigerungen. Rund die Hälfte der Einkommensärmsten empfinden eine starke Last – so wie Olaf Basilon, der Erwerbsminderungsrente bezieht.

Bürgergeld: Ehemaliger Matrose hat nur 450 Euro im Monat

Olaf Basilon ist gelernter Matrose, fuhr vier Jahre zur See und verlor durch die Einführung des Zweitregisters seine Arbeit. „Danach habe ich beruflich nicht mehr Fuß gefasst“, erzählt der 52-Jährige im Gespräch mit dieser Redaktion. Basilon hangelte sich von einem Aushilfsjob zum anderen, lebte lange Zeit auf der Straße und war über 24 Jahre drogenabhängig.

Danach bezog er zunächst Hartz 4. Da Basilon aber dauerhaft für arbeitsunfähig erklärt wurde, erhält er heute Erwerbsminderungsrente. Durch fehlende Beitragszeiten erhielt er diese bis zum Jahreswechsel zum Hartz-4-Regelsatz von 449 Euro. „Das ist das, was ich im Monat zur Verfügung habe, um meinen Strom, Lebensmittel, Fahrtkosten und so weiter zu bezahlen“, schildert Basilon.

Olaf Basilon erhält eine Erwerbsminderungsrente zum Hartz-4-Satz. Gerade an Weihnachten spürt er seine Armut.
Olaf Basilon erhält eine Erwerbsminderungsrente zum Hartz-4-Satz. Gerade im Alltag spürt er seine Armut. (Foto: privat/Olaf Basilon) Foto: privat/OlafBasilon

Heute lebt der Norddeutsche auf zwölf Quadratmetern in einer teilstationären Wohngemeinschaft der Diakonie in Kiel. Mit vier weiteren Bewohnern teilt er sich eine Sechs-Zimmer-Wohnung. Nebenbei engagiert er sich ehrenamtlich als Wahlhelfer oder beim Frühstückstreff für obdachlose Menschen. „Meine Hoffnung ist, dass sich das mal irgendwann zu einem Minijob entwickelt“, gesteht der 52-Jährige. Auch die höheren Hinzuverdienstmöglichkeiten beim neuen Bürgergeld lassen den Sozialleistungsempfänger darauf hoffen.

Bürgergeld reicht vorne und hinten nicht aus

Olaf Basilon spürt die Inflation und die steigenden Preise ganz besonders. Der Regelsatz reiche da nicht aus. „Meine Mutter lebt in Hamburg. Wenn ich sie besuchen möchte, habe ich 54 Euro Fahrtkosten, für Mobilität sind aber nur 30 Euro vorgesehen“, so die Situation des Ex-Matrosen. Das Bürgergeld sieht dafür rund 45 Euro vor.

Für Strom sind 40 Euro bestimmt, Basilon zahlte im letzten Jahr 45 Euro, ab Januar 65 Euro. Sein bitteres Fazit: „Wenn man wenig Geld hat, dann gibt man viel von seinem wenigen Geld für Lebensmittel und Energie aus“ Im Gegensatz zu früher, kauft der Norddeutsche heute ausschließlich im Discounter ein, „sonst war das Einkaufen gehen im Supermarkt ein bisschen wie Shopping, zumindest konnte man sich einmal im Monat etwas kaufen, was richtig lecker war.“

Pro Woche gibt der Sozialleistungsempfänger rund 80 Euro für Lebensmittel aus, im Hartz-4-Regelsatz waren aber nur knapp 40 Euro vorgesehen. „Da kann man noch so viel sparen, das klappt einfach nicht.“ Das neue Bürgergeld sieht für die Empfänger 53 Euro mehr vor. Das sei zwar „ein Schritt in die richtige Richtung“, habe aber mit der Wirklichkeit von Hartz-4-Empfängern nichts zu tun. Laut Basilon ist die neue Sozialreform lediglich „halbherziger Kram“.

Der ehemalige Matrose ist chronisch krank und musste zudem im Dezember an die Krankenkasse 60 Euro zahlen, damit er 2023 von der Zuzahlungspflicht bei Rezepten befreit ist. „Das fehlt natürlich, gerade an Weihnachten, wenn man Geschenke kaufen oder es sich selbst schön machen möchte“, betont Basilon.

Bürgergeld: „Wir schenken uns nichts, weil alles so teuer ist“

Weihnachten verbrachte der ehemalige Matrose bei seiner Mutter in Hamburg. „Wir schenken uns aber nichts, weil alles so teuer ist, meine Mutter hat auch nur eine kleine Rente“, erzählt Basilon. Gerne wollte er seiner Mutter ein Buch kaufen, aktuell ginge das aber nicht. Im Rahmen seiner Ergotherapie konnte er jedoch Kerzen basteln, die er seiner Mutter schenkte.

An Heiligabend gab es deshalb aus Kostengründen – aber auch aus Tradition – Kartoffelsalat. „Ein richtig tolles Essen gibt es dann nur am ersten Weihnachtsfeiertag, da machen wir uns einen Rinderbraten“, so der 52-Jährige. Auch gab es keinen Tannenbaum und besonderen Schmuck, lediglich ein paar Tannenzweige. Dennoch gab es für Olaf Basilon Grund zur Freude: „Das ist zwar alles ätzend, mit so wenig Geld und mit Verzicht, aber mir ist am wichtigsten mit meiner Mutter zwei schöne Tage zu haben!“

Bürgergeld: #IchBinArmutsbetroffen räumt mit Klischees auf

Olaf Basilon ist Teil der #IchBinArmutsbetroffen-Bewegung. Ein Hashtag auf Twitter, unter dem Betroffene ihre Erfahrungen mit Armut teilen können. Menschen, die in der Gesellschaft eher im Hintergrund stehen, erhalten so eine Stimme.

„Als ich das im Mai zum ersten Mal im Internet gelesen habe, habe ich mich in vielen von den Tweets direkt wiedergefunden, weil man das sonst versucht hat, zu verheimlichen oder zu verstecken“, betont der 52-Jährige. In der Öffentlichkeit gebe es viele Klischees über Sozialleistungsempfänger, was durch einige Fernsehsendungen auch unterstützt werde: „Zum Beispiel, dass wir alle faul seien und den ganze Tag Bier trinken würden.“


Auch interessant:


Durch den Austausch mit anderen habe Basilon zu mehr Selbstvertrauen gefunden. „Es ist ganz wichtig, dass wir auch für uns sprechen und nach außen deutlich machen, dass viele kranke Menschen, Alleinerziehende, behinderte Menschen, Geflüchtete ohne Arbeitserlaubnis in der Statistik auftauchen.“ Immer wieder werde gesagt, dass seien Menschen, die nicht arbeiten wollen – „Das stimmt so nicht“, stellt Basilon klar.