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Flucht aus der Ukraine: Familie erlebt Unerträgliches – „Fleisch schmeckte nach Maschinenöl“

Eine Familie aus Charkiw machte vor ihrer Flucht aus der Ukraine den absoluten Horror durch. Lebensmittel waren knapp.

© privat

Zwischen Krieg und Hoffnung: Die weltweite Flüchtlingskrise

Über 100 Millionen Menschen sind Flüchtlinge. Krieg, Naturkatastrophen und Armut sind einige Gründe.

Als die Russen die Ukraine angriffen, standen Anastasia (damals 33), Mychajlo (damals 39) und Tochter Anna (damals 16) unter Schock. Die zwei kleinen Söhne waren noch zu jung, um wirklich zu begreifen, was jetzt passieren würde. Die Familie lebte in einem Dorf in der Nähe von Charkiw. Nach einigen Wochen im Krieg begann ihre Flucht aus der Ukraine. In Teil 1 der Reportage haben wir bereits darüber berichtet, dass Annas Schule vor dem Kriegsausbruch schon eine Vorahnung hatte (hier geht es zum Artikel).

Am 24. Februar jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine zum zweiten Mal. Zahlreiche Menschen sind seitdem geflüchtet – unter anderem nach Deutschland. Wir haben mit Geflüchteten gesprochen und wollen ihre Geschichten anlässlich des traurigen Jahrestages in einer Artikel-Serie erneut erzählen.

+++Putins perfider Schachzug – wer nicht hören will, muss fühlen+++

Den ersten Monat nach dem Kriegsausbruch lebte die Familie „relativ normal“, wie sie selbst sagt. Doch von echter Normalität konnte eigentlich kaum die Rede sein. Die fünf hielten sich meist in einer Vorratskammer unter der Erde auf. „Diese Kammer ist typisch für Dörfer. Man hat unter der Erde einen Bunker gebaut, in dem Kartoffeln und Eingemachtes gelagert wurden. Da haben wir praktisch immer gehaust“, berichtet Mychajlo. „Wir wussten die ganze Zeit, dass Krieg ist und dass es gefährlich ist. Wir waren aber noch nicht unmittelbar betroffen, also bei uns im Ort sind keine Bomben eingeschlagen.“ Lediglich an der Frontlinie, einige Kilometer von ihnen entfernt, fanden Angriffe statt. Bomben fielen, Menschen starben.

Flucht aus der Ukraine: Kein Strom, kein Internet, kein Wasser

Dann kam der 18. März 2022. Im Dorf sprach es sich bereits herum: Die Russen kommen! „Lasst uns rein oder wir werfen Bomben auf euch!“, lautete die Drohung der russischen Armee. Und der Bürgermeister des Dorfs ließ die Feinde gewähren. „Er hat so unser Leben gerettet“, ist sich Anastasia sicher. „Wir waren nur Zivilisten im Dorf und hätten keine Chance gehabt.“ Und dann marschierten die Russen ein.


Mehr aus unserer Reportage-Reihe: Flucht aus der Ukraine: Mutter aus Mariupol erzählt vom Angriff der Russen – „Empörung und Schock“


„Sie haben in einer Schule zwei Blockposten errichtet. Es war schrecklich, weil die haben sich da einfach einquartiert. Sie haben eigentlich nichts gemacht und wir durften da auch vorbeilaufen. Natürlich hatte man trotzdem immer Angst und die Autos wurden auch angehalten“, schildert Anastasia. Ab dem 7. April 2022 gab es im Dorf die meiste Zeit über keinen Strom mehr. Eine Hochspannungsleitung an der Frontlinie wurde zerstört. „Wir saßen dann da ohne Strom, ohne Internet und ohne Wasser.“

Anastasia (damals 33), Mychajlo (damals 39), Anna (damals 16) sowie die beiden Söhne. Die Familie musste aus der Ukraine flüchten. Foto: privat

Man schmeckte es, wenn ein Tier von einer Rakete getötet worden war

In der unterirdischen Vorratskammer, in der die Familie lebte, gab es noch einige Essensvorräte. Zum Beispiel Kartoffeln. Meist haben Anastasia, Mychajlo und ihre Kinder einmal am Tag gegessen. Mit dem Essen musste sparsam umgegangen werden. Gekocht wurde draußen am offenen Feuer. Im April 2022 bepflanzte die Familie auch ihren Garten. Sie verbuddelte Kartoffelschalen in der Erde in der Hoffnung, dass sie irgendwann keimen und wachsen würden. „Die Russen haben für uns Zivilisten zwar humanitäre Versorgung mitgebracht, haben sich dann damit für die sozialen Netzwerke gefilmt. Etwas an uns weitergereicht haben sie aber nicht“, betont die Familie.

Unter Einsatz ihres Lebens sind einige Dorfbewohner in die benachbarten Dörfer gefahren. Dort sammelten sie die Kadaver der Tiere ein. „Das Fleisch schmeckte teilweise nach Maschinenöl“, erinnert sich Mychajlo zurück. Doch es gab nichts anderes. „Man hat es sofort geschmeckt, wenn ein Tier von einer Rakete getötet worden war.“

Wasser verfärbte sich dunkel

Und einige Menschen nutzten die hilflose Situation der Dorfbewohner aus. „Es gab Leute, die haben sich quasi ein kleines Business aufgebaut. Die lebten an der Grenze zu Russland, und die Menschen aus dem Dorf sind dann nach Russland gefahren und haben da eingekauft, sind zurück und haben die Lebensmittel für sehr teures Geld weitergereicht.“ Leisten konnten sich die meisten die teuren Lebensmittel nicht. Aber Supermärkte gab es nicht mehr.

Und auch die Wasserversorgung war notdürftig. „Wenn wir Wasser gebraucht haben, sind wir zu einem Brunnen gelaufen. Der war 200 Meter entfernt“, erklärt die Familie. „Das Wasser war irgendwann dunkel verfärbt. Es war jetzt nicht verseucht, aber weil so viele darauf zurückgreifen mussten, haben wir den Boden aufgewühlt und dadurch hat sich das Wasser eben verfärbt.“


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Flucht aus der Ukraine: Plötzlich spitzte sich die Lage zu

Am 30. April 2022 spitzte sich die ohnehin schon dramatische Lage in dem Dorf weiter zu. Jetzt marschierten auch ukrainische Truppen in das Dorf ein. „Dann fing die Hölle an“, erinnert sich Mychajlo. „Weil die Russen dann einfach nur noch losgeballert haben, mit allem, was sie hatten.“

Wie sich die Situation in dem Dorf ab dem 30. April 2022 veränderte, kannst du am Samstag (24. Februar) in Teil 3 unserer Reportage-Reihe nachlesen. Folge uns auf Facebook oder Instagram, um keinen Teil zu verpassen.