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Waschstraße für 140 000 Meter Zug

Waschstraße für 140 000 Meter Zug

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Foto: Volker Hartmann
Die Bahn putzt täglich ihre Regionalbahnen am Stellwerk Essen von innenund außen. Pro Jahr fahren 2000 Züge durch die überdimensionale Bürstenanlage

Essen. 

Es ist heiß und nass. Die großen Waschbürsten fegen über das Gehäuse des roten rund 70 Meter langen Fahrzeugs, das täglich Tausende von Fahrgästen befördert, hinweg. Die Nylonbürsten schließen es nahezu ein. Ein Geruch liegt in der Luft, der das Atmen erschwert. „Wir benutzen hier nur umwelt-und gesundheitsschonende Reiniger “, erklärt Hebert Hilger zur Beruhigung. Der Kölner ist Leiter der Leitstelle S-Bahn Rhein-Ruhr der Deutschen Bahn (DB) und kennt sich im Bahnalltag sehr gut aus.

Hier in der Außenwaschanlage und der angrenzenden Werkstatt der DB Regio NRW im Essener Gewerbegebiet an der Schederhofstraße werden die S-Bahnen der Baureihe ET 422 und Regionalbahnen der Baureihe ET 425 der Bahn gewaschen, gereinigt, repariert und instandgesetzt.

2000 Bahnen pro Jahr

„Durchschnittlich waschen wir in Essen pro Jahr circa 140 000 Meter“, sagt Herbert Hilger. Umgerechnet sind dies bei einer Waggongröße von rund 70 Metern knapp 2000 Bahnen im Jahr.

Die Bahnwaschstraße in Essen – ähnlich einer Autowaschanlage, nur zehn Nummern größer – ist eine von sieben im ganzen Land.

„Auf den Meter gerechnet sind die Kosten für die Fahrzeugreinigung in der Außenreinigungsanlage in etwa vergleichbar mit den Kosten einer PKW-Reinigung in einer Autowaschanlage“, weiß Pressemitarbeiter Florian Kreibe.

Die Essener Regionalbahnwaschanlage wurde vier Jahre nach der Werksgründung im Jahre 1974 errichtet. 51 Bahnmitarbeiter kümmern sich um die Instandhaltung von 42 S-Bahnen und 37 Regionalbahnen. Sie sorgen dafür, dass die jährlich mehr als 130 Millionen Fahrgäste an Rhein und Ruhr saubere Bahnen vorfinden. Dafür verantwortlich ist aber bei weitem nicht nur die „ARA“, wie die Eisenbahner ihre Außenreinigungsanlage kurzerhand nennen.

Sondern auch Sahin Budak. Er und sein Reinigungstreck – ausschließlich von Männern besetzt, da „die körperliche Belastung sehr hoch ist“ – säubern nachts die Bahnen von innen. Sie befreien den Fußboden von alten Zeitungen und ausgelaufenen Flüssigkeiten, lösen Schmierereien von Fensterscheiben und entleeren die oftmals überquellenden Mülleimer. Alles per Hand. Maschinen werden nur bei der einmal im Monat stattfindenden Grundreinigung eingesetzt – oder in Bedarfsfällen. Und die gibt es wohl öfters. Erinnert sei an den Unfall in Mülheim vor mehr als drei Wochen, als ein ausgebüxter Ochse auf die Bahnstrecke gelaufen und eine S-Bahn in das 700 Kilogramm schwere Tier gefahren war. Das Tier starb, der Zug erlitt einen massiven Schaden. „Solche verunfallten Fahrzeuge bedürfen einer sofortigen Grob- und Außenreinigung. Der Zug wird dann für die Dauer der Reinigung ausrangiert und kommt direkt danach zur Inspektion in die Werkstatt“, erklärt Herbert Hilger.

40 Fahrzeuge pro Nacht

Die Bahnreinigungskräfte um Budak haben freilich mit anderen Problemen zu kämpfen, als mit toten Ochsen oder mit liegengebliebenen Wertsachen oder Accessoires ihrer Fahrgäste, die sie umgehend an die Fundstelle im Essener Hbf übergeben. „Graffiti im Inneren der Bahn und hartnäckige Kaugummis auf den Böden machen uns zunehmend zu schaffen“, sagt Budak, der seit 1992 im Unternehmen arbeitet. Kaugummis gehen nur nach intensiver Reinigung weg, manchmal auch nur nach einer Grundreinigung. Im Schnitt säubern die Arbeitskolonnen rund 40 Fahrzeuge pro Nacht, berichtet Sahin Budak. Eine stolze Zahl. Überlegt man, dass sie oftmals unter starken Zeitdruck stehen und ein wesentlicher Bestandteil für die der Bahn so wichtige Kundenzufriedenheit sind. Denn, noch unangenehmer als verspätete Züge, sind verdreckte Bahnabteile. Die Züge sind es nämlich, die das Gesicht der Bahn sind. Sie präsentieren den Konzern nach Außen.

Dann erzählt Budak noch etwas entrüstet, dass sein Reinigungsteam fast täglich auch Erbrochenes und manchmal sogar Kot von den Sitzpolstern entfernen müsste. Und Letzteres nicht von Tieren, sondern von ihren menschlichen Fahrgästen. „Die Hemmschwelle sinkt bei vielen unserer Kunden, trotz flächendeckender Videoüberwachung in den Zügen“, sagt Leitstellenleiter Herbert Hilger.

Aber zurück zur Waschanlage. Die Anlage funktioniert weitestgehend automatisch, lediglich ihre Bedienung muss ein Mitarbeiter übernehmen. Interessant ist auch, dass das Essener Werk, ebenfalls Heimat einer riesigen Bahnwerkstatt, eine eigene Wasseraufbereitungsanlage hat. „Rund 60 Prozent“, erklärt Stephan Reinke, Teamleiter in der Werkstatt, „ des verbrauchten Wassers für die Waschanlage wird wiederverwertet.“ Außerdem wird Regenwasser für die Reinigung benutzt. Auf dem Werksgelände finden sich dafür spezielle Auffangbecken, sagt Reinke. Die Essener Bahnwaschanlage setzt ja, wie Hilger berichtet hat, voll auf Umwelt und Gesundheit.