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Warum Testverkauf von „hässlichem“ Gemüse Kunden überrascht

Warum Testverkauf von „hässlichem“ Gemüse Kunden überrascht

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Edeka Paschmann verkauft in Düsseldorf in den nächsten vier Wochen als eine von mehreren Edeka-Filialen in Deutschland testweise "krummes Gemüse". Foto: Stefan Arend / WAZ Fotopool
Nicht mehr nur hübsche A-Ware, sondern Natur pur: Bundesweit verkaufen einige Edeka-Filialen vier Wochen lang testweise „krummes“ Obst und Gemüse mit kleinen Schönheitsfehlern. Die Mängel sind oft so gering, dass man sich wundert, warum die Ware nicht schon länger in den Supermärkten steht.

Düsseldorf. 

Die Äpfel in der Auslage haben Risse und braune Druckstellen. Daneben liegt eine Gurke, die gebogen ist wie ein Hufeisen. Darüber stapeln sich Karotten, die sich kaum schälen lassen, weil sie zwei Beine haben. So oder so ähnlich stellen sich wohl viele Verbraucher sogenanntes „krummes“ Obst und Gemüse vor. B-Ware also, die normalerweise nicht im Supermarkt angeboten wird, weil Handelsketten der Meinung sind, Verbraucher würden sie zu „hässlich“ finden.

Die Realität in der Gemüseabteilung im Edeka-Markt Paschmann in Düsseldorf sieht anders aus. Das Obst und Gemüse, das hier seit Mitte Oktober testweise verkauft wird, unterscheidet sich von normaler Ware erst bei näherer Betrachtung.

Die Gurken sind nur leicht gekrümmt, einige etwas verschrumpelt. Manche Kartoffeln haben eine schuppige Schale, eine hat die Form eines gelbes Herzchens. Die Karotten im Beutel sind unterschiedlich groß, dürften sich aber problemlos schälen lassen. Druckstellen an den Äpfeln gibt es kaum, und die Zwiebeln unterscheiden sich praktisch gar nicht von der A-Ware. Filialleiter Michael Brück ist selbst von der vermeintlichen B-Ware überrascht: „Wir haben mit viel größeren optischen Mängeln gerechnet.“

Vier Wochen lang „unschönes“ Obst und Gemüse im Angebot

Der Edeka-Markt in Düsseldorf ist eine von rund 20 Filialen in Deutschland, die am Pilotprojekt „Keiner ist perfekt. Unsere Initiative gegen Lebensmittelverschwendung“ teilnehmen. Auch einige Märkte der Edeka-Tochter Netto beteiligen sich an der Aktion. Vier Wochen lang verkaufen die Supermärkte Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten, Gurken und Äpfel aus Deutschland, die – mehr oder weniger – von der optischen Norm abweichen.

„Wir haben das Regal mit dem krummen Gemüse gut sichtbar in Laufrichtung der Kunden aufgestellt“, sagt Michael Brück. Bisher werde das Angebot gut genutzt, Kunden fragten bereits gezielt danach. 20 Kilogramm Gurken und 24 Pakete Karotten würden beispielsweise pro Tag verkauft. Den Eindruck, dass die Verbraucher das Gemüse zu hässlich finden und kollektiv links liegen lassen, gewinnt man vor Ort nicht. Mit einer Kundenbefragung in der zweiten Woche der Aktion will Edeka herausfinden, wie gut das alternative Obst und Gemüse ankommt.

Kunden sind positiv überrascht

Dass Kunden zugreifen, liegt sicher auch am Preis. Ein Kilo Möhren mit Schönheitsfehlern kostet hier beispielsweise 59 Cent. Die „normalen“ Möhren 99 Cent. Bei Gurken spart man bis zu 60 Prozent. „Das Gemüse ist bestimmt nicht schlechter, warum sollte ich bei dem Preis die teureren Gurken kaufen?“, sagt eine Kundin.

Einigen Käufern fällt gar nicht auf, dass sie gerade B-Ware in den Einkaufswagen legen. „Ich habe gedacht, das wären normale Karotten, man sieht den Unterschied ja kaum“, wundert sich Günter Karen-Jungen und betrachtet das Möhren-Paket in seiner Hand. Auch das Etikett verrät nichts über die Qualität. Günter Karen-Jungen würde Obst und Gemüse mit kleinen Schönheitsfehlern gerne dauerhaft kaufen können. Es ist vor allem der Wunsch nach weniger Lebensmittelverschwendung, der viele Kunden zur B-Ware greifen lässt.

Landwirte müssen ihre Erzeugnisse zum Teil wegschmeißen 

Auch die Handelskette betont, man wolle mit der Aktion erreichen, dass Lebensmittel besser verwertet werden. Das sei auch nötig, sagt Frank Waskow, Lebensmittelexperte der Verbraucherzentrale NRW: „Bis zu zehn Prozent des in Deutschland produzierten Obstes und Gemüses gelangen in Deutschland nicht in den Handel“, schätzt er.

Auf Grund optischer Mängel werde es an Tiere verfüttert, in Konserven verarbeitet oder lande im Müll. Manche Landwirte verkaufen ihre Produkte auch im eigenen Hofladen. Für diese alternativen Verkaufswege erhielten die Bauern weniger Geld als beim Verkauf an Handelsunternehmen wie Edeka, erzählt Waskow.

„Früher durfte Ware, wie Edeka sie derzeit anbietet, gar nicht im Supermarkt angeboten werden, weil Vermarktungs-Normen der Europäischen Union das untersagten“, erklärt der Lebensmittelexperte. Die Gurken-Verordnung ist dafür ein berühmtes Beispiel. „Für viele Obst- und Gemüse-Sorten wurden die Einschränkungen aber schon vor Jahren aufgehoben“, so Waskow.

„Krumme Gurken“ dürfen längst wieder verkauft werden

„Krumme Gurken“ dürfen beispielsweise seit über vier Jahren wieder im Supermarkt verkauft werden. Trotzdem hätten die Märkte bislang keine B-Ware ins Sortiment aufgenommen. Das liege auch daran, dass viele Verbraucher optische Mängel mit schlechter Qualität gleichsetzen würden, erklärt Waskow das Wechselspiel zwischen Kunde und Supermarkt.

„Seit Jahrzehnten wird in Supermärkten nur Hochglanzgemüse angeboten, und mittlerweile kennen die Verbraucher nichts anderes mehr“, sagt Waskow. Obst und Gemüse müssten strengen Anforderungen entsprechen, um in den Sortimenten der Supermärkte zu landen: „Eine bestimmte Farbe und Größe, ausreichende Festigkeit, nur gewisse Sorten, auf all das wird beim Einkauf geachtet.“

Vermeintliche B-Ware könnte dauerhaft in den Regalen stehen

Um das zu ändern, müsse ein gemeinsames Umdenken bei Händlern und Kunden einsetzen. „Obst und Gemüse mit optischen Mängeln machen nur rund 20 Prozent der Produktion aus. Es sollte einfach mit den restlichen 80 Prozent A-Ware vermischt und dann verkauft werden“, fordert Waskow.

So würden sich die Verbraucher an die Schönheitsfehler gewöhnen. Eine Initiative wie „Keiner ist perfekt“ sei ein guter Anfang. Wie ernst gemeint der Kampf gegen die Verschwendung ist, müsse sich nach Ende der vierwöchigen Testphase aber erst noch zeigen, so Waskow.

Ob die Initiative fortgesetzt wird, hängt letztlich auch davon ab, wie die Kunden die B-Ware annehmen. „Wenn das krumme Obst und Gemüse bei den Kunden beliebt ist, könnte es dauerhaft in den Regalen stehen“, sagt Michael Brück. Möglicherweise werde das Angebot dann um zusätzliche Obst- und Gemüse-Sorten erweitert.