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Warum Ex-„Herta“-Chef Schweisfurth Biobauer ist

Warum Ex-„Herta“-Chef Schweisfurth Biobauer ist

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Karl Ludwig Schweisfurth auf dem Gut Herrmannsdorf bei Glonn
Einst gehörte ihm Herta, Europas größte Fleisch- und Wurstfabrik in Herten. Vor 30 Jahren stieg Karl Ludwig Schweisfurth aus, verkaufte sein Unternehmen, weil er „die Schnauze voll“ hatte, und wurde Biobauer in München. Im Gespräch mit Hanna Gersmann sagt der heute 83-Jährige, warum.

Essen. 

Auf der Grünen Woche präsentieren sich stolz die Großen der Ernährungsbranche. Bereuen Sie, nicht dabei zu sein?

Karl-Ludwig Schweisfurth: Aber nein! Da gab es ein Schlüsselerlebnis. Das war so um 1980. Etwas stimmte nicht mehr mit den Schweinen. Sie waren verhaltensgestört, fielen bei der geringsten Aufregung tot um. Ihr Fleisch war wässerig. Da wollte ich wissen, wo kommen die her – und bin ins Oldenburger Land gefahren.

Sie erlebten einen Schock?

Schweisfurth: Ich dachte, ich würde einen Bauern antreffen. Doch ich traf einen Menschen, der bewohnte einen Bungalow, mit Clubgarnituren. Er hat uns dann seine Ställe gezeigt. Damals ging das los mit den Spaltenböden. Eine große Erfindung. Damit konnte man das Ausmisten sparen. Aber: Der Gestank. Die Dunkelheit. Und die Enge. Die Tiere, die mich angeschaut haben, als wollten sie sagen: Was macht ihr mit uns. Das ist mir unter die Haut gegangen, das Bild habe ich nie wieder vergessen.

Aber Sie waren doch einiges gewohnt. Schließlich hatten Sie in den 50er-Jahren die Schlachthöfe von Chicago kennengelernt.

Schweisfurth: Da war ich erst 25 Jahre und beeindruckt – von der Technik, den Fließbändern. Und da hatte ich auch noch keinen Sohn, der mir sagte: Vater, ich will mit deinem Laden nichts zu tun haben. Du bist immer gehetzt, willst immer mehr, immer größer sein, immer schneller. Das hat doch keinen Sinn.

Vom Elend der Fleischfabriken

Also gaben Sie den Deutschen, was Sie nach dem Krieg so sehr begehrten – Fleisch satt, führten hierzulande das Fließband ein, packten Wurst in Folie und kauften Fabrik nach Fabrik. Bereuen Sie das?

Schweisfurth: Oh nein! Die ganze technische und wirtschaftliche Entwicklung war ja fantastisch. Es war eine hochinteressante, andere Zeit.

Sie sahen die Automatisierung anders?

Schweisfurth: Allerdings. Aber was daraus geworden ist! In diesen Tierfabriken werden 5000 Schweine von einem Menschen gesteuert. Die Tiere stehen eng gedrängt. Ihre Schwänze sind gekappt und die Zähne abgeschliffen, weil sie sich aus Langeweile sonst gegenseitig die Schwänze abbeißen, krank werden und Antibiotika brauchen. Nach kurzem Leben werden sie dann von modernen Sklaven geschlachtet. Das sind zumeist Bulgaren oder Rumänen, die für 4,50 Euro die Stunde in einem irrsinnigen Tempo die Tiere aus dem Leben in den Tod bringen. Das ist einfach würdelos.

Warum haben Sie dann Ihr Unternehmen ausgerechnet an einen Massenproduzenten wie Nestlé verkauft, statt es zu ökologisieren?

Schweisfurth: Als ich gesagt habe, ich habe die Schnauze voll, hatte Herta zehn Fabriken. Es war einfach zu groß, um es konsequent auf Ökologie umzustellen. Also habe ich mich getrennt und bescheiden von vorne angefangen.

„Ich muss nicht als der Reichste auf dem Friedhof liegen“

Was ist bei Ihnen denn anders als bei Nestlé?

Schweisfurth: Alles! Kein einziger unserer 200 Mitarbeiter macht den ganzen Tag am Fließband nur einen Handgriff. Sie fangen morgens an und schlachten ein Tier nach dem anderen. Dann zerlegen sie die Tiere und machen auch die Würste und Schinken. Das sind Handwerker, die alle Handgriffe können, und mehr als den umstrittenen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde dafür bekommen.

Früher haben sie 25.000 Schweine in der Woche geschlachtet . . .

Schweisfurth: . . . heute sind es 80. Ich muss nicht als der Reichste auf dem Friedhof liegen. Ich habe Abschied genommen von Größe. Das ist ein Wahn, den ich vergessen habe. Wir machen einen Umsatz von etwa 20 Millionen Euro im Jahr mit 200 Mitarbeitern. Wir haben 25 000 Kunden. Das ist es. Mehr wollen wir nicht.

Was kostet ein Kotelett?

Schweisfurth: Im Sonderangebot bekommt es der Supermarktkunde für vier Euro pro Kilo. In einer konventionellen Metzgerei etwa für neun Euro, bei uns für 16. Dafür schnurrt es nicht in der Pfanne zusammen. Wenn jemand sagt, das ist aber verdammt teuer, dann erwidere ich: Dann essen Sie die Hälfte. Lieber halb soviel, aber dafür dreimal so gut.