Veröffentlicht inMülheim

Gibt es eine Richterlücke?

Gibt es eine Richterlücke?

Brauchen wir mehr Richter und Staatsanwälte? Der Richterbund in NRW sagt Ja und hat einen Fehlbedarf von 500 Richtern und 200 Staatsanwälten errechnet. Der Vizevorsitzende des Richterbundes, der Mülheimer Staatsanwalt Jochen Hartmann, sieht seine Kollegen überbelastet und unterbezahlt. Laut Richterbund liegt die Arbeitsbelastung aktuell bei etwa 115 Prozent; unklar ist: 115 Prozent wovon? . Hartmann weist auf die zunehmende Komplexität der Verfahren hin, wenn es etwa um Computer- oder organisierte Bandenkriminalität gehe.

Heute stellt Justizminister Thomas Kutschaty in Düsseldorf die neue Strafverfolgungsstatistik vor, die möglicherweise Erhellendes bietet. Generell aber kann man beim Justizministerium die Rechnung des Richterbundes nicht nachvollziehen und weist darauf hin, dass die Zahl der Richter und Staatsanwälte in NRW in den letzten Jahren sogar leicht angestiegen sei, während die Zahl der Verfahren sank. 2012 gab es im Lande 2050 Amtsrichter, 2003 waren es 2027. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Staatsanwälte von 947 auf 985. Gleichzeitig nahm die Zahl der von Amtsrichtern bearbeiteten Strafverfahren von 205 630 auf 198 514 und die der Zivilverfahren von 372 687 auf 292 281 ab.

Und wie sieht es in Mülheim aus?

Amtsgerichtsdirektorin Susanne Galonska-Bracun sieht die Lage aktuell zwar als „kritisch“ an, will aber nicht von einer chronischen Unterbesetzung oder Arbeitsüberlastung ihres Gerichtes sprechen. Das Amtsgericht hatte 2013 zwei seiner 15 Richter durch Pensionierung und Beförderung verloren. Die stellvertretende Amtsgerichtsdirektorin Angelika Bienert wechselte als Amtsgerichtsdirektorin nach Duisburg-Ruhrort und der unter anderem mit Strafrechts- und Schöffensachen befasste Bernd Fronhoffs ging in den Ruhestand. Sein Aufgabengebiet teilen sich seitdem Galonska-Bracun und ihre Richterkollegin Claudia Lubenau. Hinzu kommt, dass eine Richterstelle derzeit nur halbtags besetzt ist. Doch das Amtsgericht hat, laut Galonska-Bracun, gute Aussichten, zeitnah wieder verstärkt zu werden. „Ob der Weggang der Kollegen die Dauer der Verfahren verlängern wird, wird man frühestens in sechs Monaten beurteilen können“, sagt die Amtsgerichtsdirektorin.

Keine großen Schwankungen

Vergleicht man die Zahl der Richter, der Verfahren und ihrer Dauer, so zeigen sich keine extremen Schwankungen. Die Zahl der Amtsrichter pendelte in den letzten sechs Jahren zwischen 14 und 17. Betrachtet man die letzten fünf Jahre, so bewegte sich die Zahl der Verfahren im Strafrecht zwischen 1436 und 1580, im Zivilrecht zwischen 2735 und 3276 und im Familienrecht zwischen 1162 und 1314. Auf die Verfahrendauer hatte das keinen gravierenden Einfluss: die schwankte bei bei Zivilsachen zwischen 4,8 und 5,4 Monaten und bei Strafsachen zwischen 3 und 4,3 Monaten.

Die Lage scheint also keineswegs dramatisch, wenn auch Galonska-Bracun Hartmann und seinen Kollegen vom Richterbund in ihrer Einschätzung folgt, dass nicht die reine Fall- und Kopfzahl der Richter, sondern die Komplexität der jeweiligen Fälle und die tatsächlich verfügbaren Arbeitskraftanteile der Richter über Arbeitsbelastung und Verfahrensdauer entscheiden.

Bei der für Mülheim, Duisburg , Oberhausen und Teile des Kreises Wesel zuständigen Staatsanwaltschaft Duisburg schwankten die Verfahrenzahlen von 2010 bis 2012 zwischen 82 000 und 89 000. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der dort beschäftigten Staatsanwälte von 62 auf 63. Zwar sind 14 Staatsanwälte als Behörden- oder Abteilungsleiter teilweise oder ganz mit organisatorischen und dienstrechtlichen Fragen befasst, aber 19 juristisch geschulte Beamte, sogenannte Amtsanwälte, arbeiten alle Strafsachen mit einem Streitwert von unter 2000 Euro ab.

Über die Dauer ihrer Verfahren kann die Staatsanwaltschaft Duisburg keine Angaben machen. Eine landesweite Erhebung zeigt aber, dass der Anteil der Verfahren, die innerhalb eines Monats erledigt werden konnten zwischen 2003 und 2012 von 53 auf 65 Prozent angestiegen ist, während die Zahl der Verfahren, die länger als drei Monate Arbeitszeit benötigten, von rund 16 auf rund 12 Prozent zurückgegangen sind.

Folgt man den Angaben des Justizministeriums, so dauerte ein Strafverfahren 2003 im Landesdurchschnitt 4,0 und 2012 3,9 Monate, während die durchschnittliche Dauer von Zivilverfahren im gleichen Zeitraum von 4,7 auf 4,8 Monate anstieg.


Das Fazit: Diese Zahlen sprechen gegen die These, dass Verfahren aufgrund von Personalmangel deutlich länger dauerten.