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Gelsenkirchen: Kind erstickt qualvoll in Kita – Eltern halten schockierende Details kaum aus

Hätte der Tod eines zweijährigen Jungen verhindert werden können? In Gelsenkirchen müssen sich zwei Erzieherinnen dieser Frage stellen.

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Kleinkind in Kita erstickt: Das sagen die Anwälte beim Gerichtstermin

Zwei Erzieherinnen stehen in Gelsenkirchen wegen fahrlässiger Tötung eines Zweijährigen vor Gericht. "DER WESTEN" war vor Ort und hat mit einem Anwalt der Familie des Opfers und dem Anwalt einer Angeklagten gesprochen.

Als eine Mutter am 30. August 2021 ihren zweijährigen Sohn aus einer Mini-Kita in Gelsenkirchen abholen will, kommen ihr plötzlich zwei in Tränen aufgelöste Erzieherinnen entgegen. Kurz darauf kämpfen mehrere Sanitäter um das Leben ihres kleinen Sohnes – jedoch vergeblich.

Während der Mittagszeit legten die Erzieherinnen den Jungen zum Schlafen in ein Etagenbett. Dort habe er es aus eigener Kraft geschafft, gegen die lockere Bodenplatte des oberen Bettes zu drücken, sodass diese auf ihn fiel. Er ist unter der elf Kilogramm schweren Last erstickt. Den beiden Erzieherinnen wird vorgeworfen, dass sie den Tod des Jungen hätten verhindern können.

Vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen mussten die Eltern am Freitag (20. Oktober) nun erneut aussagen. Sie erfuhren schockierende Details, die sie so vorher noch nicht gehört hatten. DER WESTEN war beim Prozess dabei.

Gelsenkirchen: Eltern machen Erzieherinnen verantwortlich

Ende April kam es bereits zu einem Aufeinandertreffen vor Gericht. Dieses musste jedoch mitten in der Beweisaufnahme wegen einer peinlichen Panne abgebrochen werden (hier mehr dazu). Im Gerichtssaal sitzen sich die Eltern und die ehemaligen Tagesmütter nun nach mehreren Monaten wieder gegenüber. Die beiden Angeklagten schauen auf den Boden, während die Staatsanwältin die Anklageschrift vorliest und damit die tragischen Erinnerungen nochmal wachrüttelt. Keine der beiden Erzieherinnen traut sich den Eltern in die Augen zu sehen. Auch eine Aussage verweigern sie an diesem Tag, stattdessen bekunden ihre Anwälte in ihrem Namen ihr aufrichtiges Beileid und tiefstes Mitgefühl für die Familie. Sie selber würden nicht die richtigen Worte finden können.

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Amtsgericht Gelsenkirchen: Zwei Erzieherinnen stehen wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Foto: Chaleen Goehrke/ DER WESTEN

Doch davon wollen die Eltern nichts hören. „Vorher kam keine Entschuldigung. Jetzt auf einmal sitzt sie traurig da“, übersetzt der Dolmetscher die Aussage des arabischen Vaters. Als Gegenbeweis liest der Anwalt von einer der Angeklagten daraufhin einen Chatverlauf kurz nach dem Unglück in der Kita vor. Darin entschuldigt sich seine Mandantin und bittet die Mutter darum, sie nicht mehr zu kontaktieren und als Mörderin zu bezeichnen.

Schockierende Details

Im Saal verliert die Mutter erstmals die Fassung als der Rechtsmediziner die schlimmen Details der Obduktion ihres Sohnes vorliest. Zuvor lehnten die Eltern es ab, während der Vorlesung den Raum zu verlassen – trotz mehrfacher Warnung ihrer Anwälte. Als der Mediziner von blutunterlaufenen Adern im Gesicht und Erstickungsblutungen an der Lunge spricht, rollen der 29-jährigen Mutter die Tränen über die Wangen. Als der Fachmann dann auf Nachfrage des Richters angibt, dass seiner Einschätzung nach, der Junge wohl bereits nach einigen Minuten erstickt war, bricht es aus ihr heraus. Die Mutter ballt die Fäuste und spricht auf Arabisch aufgebrachte Worte in Richtung der Angeklagten – diese haben den Blick weiterhin gesenkt.

Doch tragen die beiden Tagesmütter wirklich eine Schuld am Tod des Jungen? Der 26-Jährigen und der 38 Jahre alten Frau wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Weder wurde eine Sitzwache gestellt, noch gab es ein Babyfon und die Tür zum Schlafzimmer sei ebenfalls geschlossen gewesen – obwohl die Mutter mehrmals darauf hingewiesen hätte, dass ihr Sohn einen Mittagsschlaf nicht gewohnt sei. Zudem stellt sich natürlich die Frage, wie ein Kleinkind dazu in der Lage sein konnte, eine Bodenplatte zu lockern, sodass sie auf ihn stürzte.


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Tragisches Todes-Unglück vermeidbar?

Dazu wurde der Möbelsachverständige Stephan Lahrmann befragt, der sich sicher ist: „Wäre der obere Bettbereich verschlossen gewesen, wäre wahrscheinlich gar nichts passiert.“ Das Kind wurde nach einer früheren Aussage der Kita-Mitarbeiterinnen zunächst ins obere Etagenbett gelegt. Dort habe man jedoch die Befürchtung gehabt, dass das Kind rausfallen könnte und die Erzieherinnen legten ihn in das untere Bettchen. Zugleich seien laut dem Gutachter mehrere Sicherheitsvorschriften nicht erfüllt worden: Bodenplatten nicht festgeschraubt, keine Gebrauchsanweisung am Bett, Fixierung an der Wand fehlte. Zur Entlastung der Angeklagten, betonte der Experte jedoch auch: „Als Laie sieht man nicht, dass die Böden lose sind.“  

Die Großtagespflege, die von den beiden angeklagten Tagesmüttern in städtischen Räumen eigenverantwortlich betrieben wurde, ist nach dem tödlichen Unfall geschlossen und nicht wieder geöffnet worden. Ein Urteil wird schon am 27. Oktober erwartet. Dann wird über Freispruch oder im schlimmsten Fall fünf Jahre Freiheitsstrafe entschieden.