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„Wir wollen mehr Angebote machen“

„Wir wollen mehr Angebote machen“

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Foto: WAZ FotoPool
Der neue Direktor des Museum Folkwang, Tobia Bezzola, zieht eine erste „Farbenrausch“-Bilanz, plant künftig mehrere Großausstellungen pro Jahr und will der Fotografie einen größeren Platz einräumen.

Essen. 

Wenn Tobia Bezzola derzeit zur Arbeit kommt, wird der neue Direktor des Museum Folkwang von langen Publikumsschlangen empfangen. Damit das so bleibt, hat sich der Schweizer Kunsthistoriker, der vor wenigen Tagen offiziell die Nachfolge von Hartwig Fischer angetreten hat, viel vorgenommen. Zum einen will er das Haus mit seiner formidablen Sammlung Klassischer Moderne in bester Osthaus-Tradition wieder verstärkt zu einem Haus der Gegenwartskunst machen. Zum anderen will er der Fotografie mehr Raum in der Sammlung geben. Ein Gespräch.

Herr Bezzola, Sie haben vor ein paar Tagen ihr neues Büro im Museum Folkwang bezogen. Haben Sie sich schon ein wenig in Essen eingelebt?

Bezzola: Mein Eindruck von Essen, der reicht bislang leider nur von der Emmastraße, wo ich derzeit noch möbliert wohne, bis zum Museum Folkwang. Es gibt momentan an allen Ecken und Enden sehr viel zu tun. Das Haus war jetzt längere Zeit unter Interimsführung. Dieses hat einen Planungsrückstand zur Folge. Man muss Ausstellungen heutzutage ja drei bis vier Jahre im Voraus planen. 2013 wird deshalb ein Übergangsjahr, das sage ich ganz offen. Unsere tragfähige Programmplanung beginnt ab 2014.

Fehlt dem Haus bislang konzeptionell eine rote Linie?

Was das Museum nicht etabliert hat, ist eine kohärente, stabile Programmstruktur. Meine wichtigste Aufgabe besteht in nächster Zeit deshalb darin zu fragen: Was können wir machen, in welcher Frequenz, mit welcher Finanzierung? Ich denke, dass man erst jetzt wirklich realisiert hat, was es heißt, diese großen neuen Chipperfield-Räume adäquat zu bespielen, der Ausstellungs-Halle bietet ja 1400 Quadratmeter. Im Furor der Eröffnung gab es sehr viele Aktivitäten, dann ist dem Haus ein wenig die Luft ausgegangen. Andererseits: Um so eine imposante Halle zu finden, müssen Sie weit gehen, die gibt es weder in Köln noch Düsseldorf. Dadurch können wir natürlich auch interessante Sachen nach Essen holen.

In welchem Rhythmus wollen Sie den Saal bespielen?

Wir wollen pro Jahr dort mindestens drei, vielleicht auch vier große Ausstellungen von überregionaler Ausstrahlung machen. Eine Schau wird sich jeweils einem zeitgenössischen Künstler widmen, wie in diesem Jahr Thomas Schütte. Dann soll es eine große Fotoschau geben und eine Ausstellung vielleicht zur Klassischen Moderne. Und dann müssen wir sehen, was daneben auch noch möglich ist.

Und die großen Blockbuster-Ausstellungen bleiben?

Die bleiben, das ist ein Markenzeichen des Museums und soll sich auch nicht ändern. Dennoch kann man natürlich darüber nachdenken, wie sich das Format inhaltlich, methodisch, thematisch weiterentwickeln lässt. Es muss ja nicht immer die französische Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts sein. Aber da müssen wir zuerst die entscheidenden Partner in Sachen Sponsoring überzeugen. Jackson Pollock oder Mark Rothko wären interessante Namen. Aber das kriegen Sie finanziell kaum gestemmt, wegen der enorm hohen Versicherungssummen für diese Künstler. Es ist ja dann auch eine Frage von Aufwand und Ertrag.

Sind Sie zufrieden mit dem „Farbenrausch“-Ergebnis?

Ja, die Ausstellung ist ein Erfolg, sie trägt sich. Dass das Folkwang diesmal nicht mit Rekordzahlen aufwarten kann, liegt am Thema. Sie haben hier verschiedene Künstlergruppen und –schulen. Sobald Sie in dieser Art und nicht monographisch arbeiten, verlieren Sie 30 Prozent der Zuschauer. Die monographische Ausstellung ist einfach die breitenwirksame, die zugänglichste Form. Ausstellungen zu Matisse oder Cézanne, als biografischer Roman bebildert, funktionieren immer, und da steht ja sogar schon die Reihenfolge der Bilder fest. Aber sobald Sie komplexere Sachverhalte anbieten, nimmt das Interesse ab.

Gleichwohl wollen Sie neue Programmschwerpunkte setzten.

Wir wollen dem Publikum künftig nicht nur eine große bedeutende Ausstellung bieten, sondern den Angebotspegel etwas erhöhen.

Hat das Museum dafür die Ressourcen?

Das kommt drauf an. Folkwang ist von der Infrastruktur her gut ausgestattet und auch personell. Aber um das Museum so bespielen zu können, wie es die Räume hergeben, ist es nicht ausreichend finanziert. Das Haus hätte mehr zu bieten, wenn wir die dafür notwendigen Mittel hätten.

Sehen Sie noch Möglichkeiten beim Sponsoring?

Ich denke nicht, dass das Potenzial aus der Privatwirtschaft im Hinblick auf das Folkwang schon ausgeschöpft ist. Ich sehe es durchaus als eine meiner zentralen Aufgaben an, mit Unterstützung von privater Seite noch mehr möglich zu machen.

Und wie sieht es mit Ankäufen aus?

Schwierig. Im Grund können ja alle Sammlungen im Bereich der Klassischen Moderne nicht mehr auf ihrem Niveau sammeln, der Markt ist natürlich vollkommen aufgebläht.

Und die Lücken in der Sammlung?

Die historischen Lücken im Folkwang sind zum Glück schon zwischen den 50er- und 70er-Jahren geschlossen worden, mit Rückkäufen dessen, was die Nazis verschleudert haben. Ansonsten muss man sagen: Es gibt in jeder Sammlung Lücken! Es gibt ja gar nicht mehr dieses schulbuchmäßige Sammeln auf Vollständigkeit. Das geht vielleicht von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Anfänge des 20. Aber in Zeiten des Stilpluralismus, der Postmoderne kann man nicht ernsthaft die Vielfalt all dessen sammeln wollen, was da entsteht. Wo ist da der Kanon? Wer will das alles haben? Und präsent halten? Schauen Sie sich die vielen US-amerikanischen Museen an, da finden Sie überall dieselben vier, fünf Namen an den Wänden.

Wie sieht die Alternative aus?

Man muss ja gar nicht das haben, was alle anderen auch haben. Ich sehe das auch als Freiheit. Jeder soll eigene Schwerpunkte setzen. Und man kann auch inhaltliche Positionen erkennbar machen, ohne Millionen auszugeben. Man darf sich nicht zu schade sein, auch mal ein Risiko einzugehen, wenn es darum geht, nicht nur das von der Kunstgeschichte längst Abgesegnete zu kaufen. Wichtig ist, dass man weitersammelt. Sammeln ist ein kommunikativer Akt und eine kulturelle Leistung. Und man darf ja nicht vergessen: Folkwang hat eine Weltklasse-Sammlung der Fotografie aufgebaut.

Wird die Fotografie im Folkwang künftig einen höheren Stellenwert haben?

Man wird schon sehen, dass hier über Jahrzehnte von Ute Eskildsen eine der bedeutendsten Sammlungen zur Fotografie zusammengetragen worden ist. Folkwang ist das beste Fotografie-Museum Deutschland. Das wird sich sukzessive in den Ausstellungsräumen niederschlagen, so etwas geht nicht von heute auf morgen. Aber die Dauerausstellung wird künftig schon mehr Fotografie und auch Video zeigen.

Damit werden Sie sich von den Museen ringsum abheben können.

Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Ja, ich sehe darin Anfeuerung und Anstachelung.

Sehen Sie sich denn auch in Konkurrenz zu großen Privatsammlungen, die Millionen für die Gegenwartskunst ausgeben können?

Überhaupt nicht. Ich empfinde das durchaus als Bereicherung. Aber die Aufgabe des Museums ist doch viel breiter, hier gibt es verschiedene Sammlungen, Konzerte, Vorträge, es gibt ein ganzes Ensemble von Angeboten. Und Sie werden sehen, diese teuren Groß-Installationen, nach denen jetzt alle lechzen, die werden den Museen in zwei, drei Generationen alle vor die Tür gekarrt, weil die Nachfahren dieser Sammler nicht wissen, wohin damit. Das wird ein Überangebot sein. Und die Privatsammler werden mit ihren großen Kollektionen noch in Schwierigkeiten kommen, wenn es darum geht, all diese Kunst zu erhalten. Schon jetzt wird uns Vieles, was in den 50er-Jahren schick war, lastwagenweise angeboten. Das ist ja auch eine schöne, dankbare Funktion des Museums: Auswählen, was überliefert werden soll.

Die Aufgaben der Museen sind seit langem gesetzt: Sammeln, aufbewahren und wissenschaftlich bearbeiten. Aber gerade das zieht kein Publikum an. Muss die Rolle des Museums neu definiert werden?

Das Museum muss sich laufend neu erfinden. Wir dürfen nicht nur über Namen und Inhalte nachdenken, sondern müssen uns über die Methoden der Vermittlung Gedanken machen. Wie zeigen wir Kunst? Wie können wir sie verständlich machen? Wie reagieren wir auf einen breiteren Publikumsanspruch, auf ein sich laufend veränderndes Freizeitangebot und neue Nutzungsformen? Die Leute sollen nicht nur ins Museum kommen, um zu sehen: Was haben die wieder aufgehängt? Das Museum soll auch eine Plaza sein.

Mit welchen Publikumszahlen kalkulieren Sie in den nächsten Jahren?

Ich war lange Jahre in Zürich in einem privatwirtschaftlich geführten Museum, indem es nur um Ertragsrelevanz ging. Ich empfinde es auch als positiv und als Entlastung, in einem öffentlichen Museum zu arbeiten, wo das nicht so ist.

Die deutschen Museen haben 2012 wieder Rekorderbesuchergebnisse vermeldet. Anderseits wird die Debatte um Mittelkürzungen, gelegentlich ja sogar um Kunstverkäufe, weitergehen. Sehen Sie die Institution Museum langfristig in Gefahr?

Nein, wir haben den großen Vorteil der realen Präsenz. Wir sind Treffpunkt, Kommunikationsort. Wir bieten den authentischen Gegenstand, unmittelbare Bildungserlebnisse, die direkte Begegnung und das auch noch im sozialen Raum. In ein paar Jahren sind vielleicht alle Museen mit ihren Sammlungen im Internet, aber die Mona Lisa möchte trotzdem jeder einmal in echt gesehen haben.

Wie sehen Sie das Folkwang Museum im Kontext mit den Museen ringsum?

Für mich ist das vor allem ein Cluster im Westen, neben Berlin und München. Da haben Sie vier, fünf große Häuser, und wer das Museum Ludwig in Köln besucht, sollte auch den Kunstpalast in Düsseldorf sehen und das Folkwang. Und umgekehrt.

Konkurrenten oder Kooperationspartner?

Das sind zwei Seiten einer Medaille. Als Konkurrenz verstehe ich die Häuser eher im Sinne einer gegenseitigen Anstachelung, viel Tolles zu machen, das führt dann automatisch zu einer Kooperation.