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60 Minuten feuchter Sommertraum: Der Film zur „Grünen Hauptstadt Europas“ hat mit dem echten Essen nicht viel zu tun

60 Minuten feuchter Sommertraum: Der Film zur „Grünen Hauptstadt Europas“ hat mit dem echten Essen nicht viel zu tun

  • Essen ist Grüne Hauptstadt Europas
  • Dazu gibt es natürlich auch einen offiziellen Film
  • Doch spiegelt er Essen wirklich wider?

Essen. 

Eigentlich bezahlst du im Kino für den Film, nicht für die Werbung. Bei „Grüne Hauptstadt Europas – Essen 2017“ ist es umgekehrt. Da bezahlst du mit deiner Eintrittskarte für ein 60-minütiges Werbevideo der Stadt.

Wunderschöne Luftaufnahmen – im Hintergrund dudelt seichte Klavier- und Gitarrenmusik. Die Erzähler-Stimme säuselt dir wohlklingend ins Ohr. Eine Ode an deine Heimatstadt. Aber taugt das für einen echten Dokumentarfilm?

Am 22. Februar flimmert die Premiere über die Lichtburger Kinoleinwand. Im März wird er in der Zeche Zollverein gezeigt. Laut den Machern Johannes Kassenberg und Frank Bürgin ist er ein „lokaler Film, der für die Essener gemacht ist“ – an Emotionen soll er appellieren.

Mit dem Robocopter aus der Vogelperspektive

50 Stunden Material haben sie gefilmt. Die Aufnahmen wurden fast ausschließlich in der spätsommerlichen Kulisse des Essener Stadtbildes gedreht. Fast nur aus der Luft. Eine spezielle Kamera-Drohne hielt die Bilder fest. Knackig strahlend kommt die drittgrünste Stadt Deutschlands daher.

Mehr als 1700 Fußballfelder Wald. 15 Prozent der Stadt noch landwirtschaftlich genutzt. Ab 2020 soll kein Essener mehr länger als fünf Minuten zur nächsten Grünanlage brauchen. Bis zum Jahr 2025 sollen sich 25 Prozent der Essener nur noch mit dem Fahrrad fortbewegen: Ein schlechter Scherz. Von den bislang 376 Kilometern Radwegen merkt man aber mal so gar nichts, wenn man wieder mal kurz davor ist, in der Innenstadt seinem Tod auf einer dreispurigen Straße davon zu radeln.

Über 9000 Kleingärtner hegen und pflegen ihren Gartenzwerg-Grünanlagen-Traum. Die Bilder wirken ein bisschen so, als ob man einen Instagram-Filter draufgehauen hätte.

Von Hobby-Ornithologen und Schrebergarten-Truckern

Bilder und Infos, die durchaus beeindrucken können. Emotionaler Bezug zum Pottler wird natürlich auch hergestellt. Der Karnaper Trucker erzählt, wie sehr er seinen Schrebergarten und die Nachbarn liebt. Die Feierabend-Idylle des fleißigen Arbeiters. Trägt aber nicht für einen einstündigen Film.

Das Akademiker-Pendant zum Trucker: der Hobby-Ornithologe, mit dem der Zuschauer sinnbildlich durch die Heisinger Ruhraue stapft. Verzückt schwärmt er von den zahlreichen Vogelarten.

Nicht nur Vogelliebhaber werden hier vor Freude aufjauchzen. Infos über Bärenklau vernichtende Schafe sind auch für Botaniker sicher zutiefst befriedigend. Sowieso: Auf die vielfältige Flora und Fauna Essens weist der Film immer wieder hin.

Doch Kreuzkröten, Kanadagänse und Ur-Farnarten sind nicht für jeden Essener das, was er mit seiner Stadt verbindet. Oder was er von der Grünen Hauptstadt Europas erwartet.

Der Blick auf die symbiotische Beziehung zwischen der urbanen Alt-Industrie und der natürlichen Stadtplanung fehlt in diesem Film oft. Die Kleinst-Projekte, Zukunftsvisionen und Pläne von engagierten Bürgern dieser Stadt sind nur rudimentär im Fokus.

Muss nicht, kann man aber mal schauen

Dass die Offiziellen der Stadt den Film feiern, war zu erwarten. Sauber, nett und ordentlich präsentiert sich der Hochglanz-Film. So wie die Stadt sich der Welt gerne verkaufen will. Sogar das anarchistisch daherkommende Urban Gardening wird hier zum feuchten Stadtplaner-Traum. Doch was bringt der Film dem Essener?

Von einer sentimentalen Achterbahnfahrt kann man leider nicht sprechen. Eher ein netter Image-Film, der Essen in ein sommerliches immergrünes Licht rücken möchte. Mehr nicht.

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