Der Duisburger Norden gilt als Problemecke der Pottstadt – hat dort schlichtweg die Politik versagt? Viele Menschen wählten dort bei der Bundestagswahl die AfD, in Meiderich/Beeck sowie Hamborn sogar die meisten. Was noch dazu kommt: Der Nord-Wahlkreis Duisburg II verzeichnet deutschlandweit die niedrigste Wahlbeteiligung.
DER WESTEN hat mit dem Sozialpädagogen und Autor Burak Yilmaz gesprochen. Er wuchs als Sohn türkischer Einwanderer in Obermarxloh auf, machte Abitur und engagiert sich als Buchautor und Podcaster auch gegen Rassismus und Judenhass. 2018 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Was sagt Yilmaz, der den Norden von Duisburg so gut kennt wie kaum ein Zweiter, zu den Zuständen vor Ort?
„Duisburg so vielfältig wie New York City“
DER WESTEN: Herr Yilmaz, Sie glauben nicht, dass es sich bei den Duisburger AfD-Wählern um Protestwähler handelt, sondern sehen einen langfristigen Trend…
Burak Yilmaz: Absolut. Bevor es die AfD gab, gab es im Duisburger Norden ja schon ‚Pro NRW‘, das in den 2010er-Jahren gemerkt hat: ‚Hier gibt es viel Frust, hier können wir Menschen ideologisieren!‘ ‚Pro NRW‘ hat Beziehungsarbeit geleistet und Präsenz gezeigt. Mir bereitet die größten Sorgen, dass es heute Menschen hier gibt, die für demokratische Parteien nicht mehr zu erreichen sind.
Was sind Ihre Hauptforderungen an „etablierte Parteien“?
Yilmaz: Armut bekämpfen und wirtschaftliche Strukturen schaffen und die stärken, die schon hier vorhanden sind. Zweitens müssen sie Teilhabe schaffen. Es gibt immer noch viele Menschen, die von demokratischen Prozessen ausgeschlossen sind oder keine Möglichkeit haben, an ihnen zu partizipieren. Und drittens braucht es eine Vision für diese Stadt. Man kann nicht mehr auf einzelne Konzerne setzen. Man muss den Dienstleistungssektor stärken, vor allem dort, wo man in mehreren Milieus unterwegs ist. Duisburg ist so vielfältig wie New York City. Wieso schätzen wir das nicht?

„Warum kriegen demokratische Politiker das nicht hin?“
Wie erklären Sie sich, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund vermehrt zur AfD hingezogen fühlen?
Yilmaz: Die AfD ist die einzige Partei, die sich konkret um Stimmen von migrantischen Deutschen kümmerte. Es gibt sogar AfD-Videos auf Türkisch. Warum kriegen demokratische Politiker das nicht hin? Strategisch hat die AfD ein Potenzial gesehen, dass andere Parteien bis heute ignorieren, nämlich migrantische Deutsche als Wählergruppe zu identifizieren. Das macht mich innerlich sehr wütend. Im Duisburger Norden sind die Verteilungskämpfe nochmal härter als im Süden. Oft ist das gepaart mit Rassismus.
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Glauben Sie, dass diese Gruppen dauerhaft eine feste Wählerschaft für die AfD werden könnten?
Yilmaz: Ja, durchaus. Bei Türken heißt es beispielsweise oft, dass man ja zuerst hier in Deutschland gewesen sei und man deshalb mehr Anspruch habe als Afghanen, Syrer oder Sinti und Roma. Gleichzeitig ist Rassismus in migrantischen Gruppen ein Problem. Da sind die türkisch-rechtsextremen „Grauen Wölfe“ zu nennen oder auch Islamisten. Wenn man in einem Ort aufwächst, in dem es 30 Jahre lang nur abwärts geht und man es nicht anders kennt, kommt irgendwann der Punkt, an dem man sich eine harte Hand und Autorität wünscht. Frei nach dem Motto: ‚Jetzt ist genug, hier geht es nicht mehr weiter!‘“
++ Hier geht es zum ersten Teil des DER-WESTEN-Interviews mit Burak Yilmaz ++