Bochum.
Es ist ein Rundumschlag, zu dem Michael Emde am Donnerstag vor dem Landgericht Bochum ansetzt.
Emde ist der Pflichtverteidiger von Marcel Heße, der im März 2017 zuerst den neun Jahre alten Jaden und einen Tag später seinen Freund Christopher († 22) überaus brutal getötet hat; Heße hat die Taten zu Prozessbeginn eingeräumt.
„Ich habe kein Verständnis für die Taten meines Mandanten“
„Diese Taten sind nicht zu rechtfertigen, ich habe da absolut kein Verständnis für“, sagt Emde, während sein Mandant neben ihm wie immer mit gesenktem Kopf ins Leere blickt.
Nichts in diesem Prozess habe dafür gesorgt, dass Heßes Taten für ihn irgendwie erklärbar würden. Was ihm der Prozess allerdings gezeigt habe, sei ein Blick hinter die Maske der Gesellschaft. „Auch jemand, der zwei Menschen getötet hat, hat Rechte“, so Emde. Diese Rechte seien von Anfang an mit Füßen getreten worden.
Aus Polizeikreisen seien schon sehr früh Details aus den Vernehmungen an die Öffentlichkeit gedrungen – auch ein Bild Heßes kurz nach der Festnahme, das ein Polizeibeamter aufgenommen und offenbar verbreitet hatte. „Ist das richtig?“, fragt Emde rhetorisch.
„Der braucht einen Henker“
„Warum machen wir es uns überhaupt so schwer? Warum machen wir es nicht einfach, und verzichten auf einen Verteidiger und machen es so, wie viele Menschen es in den sozialen Medien fordern: Der braucht einen Henker“, sagt Emde und zeigt auf Heße: „Die Leute, die so etwas im Internet fordern, bewegen sich genau so außerhalb des Rechts und der menschlichen Werte wie mein Mandant.“
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Er selbst habe eine Tochter, und wenn ihr etwas passieren würde, dann würden für ihn die Rahmen des Rechts womöglich mental auch nicht ausreichen. „Ich kann deshalb absolut verstehen, dass die Angehörigen sich ein möglichst hartes Urteil wünschen.“ Für die Hetze mancher Internetnutzer habe er indes kein Verständis.
In aller Seelenruhe ein Würstchen gegessen
Auch in Richtung der Zuschauer im Saal hatte Emde klare Worte. „Da hat tatsächlich jemand in aller Seelenruhe ein Würstchen aus Alufolie ausgewickelt und das mit Senf gegessen. Das ist ein Unding“, so Emde. Der Prozess sei bisweilen ein moderner Pranger gewesen. „Es geht in diesem Prozess um zwei furchtbare Verbrechen. Und es wurde ein Schmierentheater daraus gemacht“, so der Anwalt weiter, der sein Plädoyer ohne Notizen hielt.
Mit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft stimme er größtenteils überein, so Emde. „Ich werde bestimmt nicht anfangen, an irgendwelchen Mordmerkmalen herumzudeuteln, es bleiben ohnehin genug übrig.“
„Das Gutachten ist Mist“
Nur in einem Punkt widerspreche er dem Staatsanwalt: Marcel Heße könne man eben nicht nach Erwachsenenstrafrecht verurteilen, wie es die Anklage fordert. Das psychologische Gutachten, auf das sich die Anklage unter anderem stützt, sei nichts als „Kaffeesatzleserei“, so Emde. „Bei Marcel Heße soll keine Reifeverzögerung vorliegen? Das ist doch abwegig“, sagte Emde in Richtung des Vorsitzenden: „Da ist jemand, der ganze Nächte hindurch Ballerspiele spielt. sich auf fragwürdigen Internetseiten wie 4chan rumtreibt und tagsüber mit einem Holzschwert auf Bäume eindrischt. Und der hat keine Reifeverzögerung?“
Er halte das Gutachten für „Mist“. Aber juristisch könne er es nun einmal nicht angreifen. Er hoffe, dass das Gericht die berechtigten Zweifel am Gutachten nicht übergehe und nach Jugendstrafrecht urteile.
Rollstuhlfahrer: „Ich werde das nicht hinnehmen“
„In der Öffentlichkeit entsteht ja immer der Eindruck, dass ein Angeklagter dann nach höchstens 15 Jahren wieder frei ist. Das ist ja Unsinn, es ist ja eine anschließende Sicherungsverwahrung möglich“, so Emde.
Sein Mitgefühl sei bei den Hinterbliebenen der Opfer, betonte Michael Emde – und deutete wieder auf seinen Mandanten: „Aber er tut mir auch leid.“ Er wisse, dass das bei manchen auf Unverständnis treffe, und er müsse das erklären: „Wenn jemand in diesem Alter schon so ist und als letzte Option nur das Töten zweier Menschen sieht, dann ist das bedauernswert.“
Kurz nach dem Plädoyder von Heßes Anwalt kam es zu einem Eklat: Ein Rollstuhlfahrer äußerte sich laut mittels seines Sprachcomputers: „Herr Anwalt, uns mit dem Täter auf eine Stufe zu stellen, werde ich nicht hinnehmen“. Der Mann wurde des Saales verwiesen.