Hannover. Robert Enke stirbt an einem Bahnübergang. Der Keeper musste mit vielen Tragödien fertig werden. Tochter Lara wurde nur zwei Jahre alt. Vielleicht macht man sich viel zu wenig Vorstellungen davon, was Schicksalsschläge, was aber auch permanenter Druck in einem Menschen auslösen können.
Vielleicht macht man sich viel zu wenig Vorstellungen davon, was Schicksalsschläge, was aber auch permanenter Druck in einem Menschen auslösen können.
Robert Enke durfte viele Jahre eine Art Privileg genießen, das er zuletzt vielleicht vermisst haben mag. Er war Stammtorhüter beim Fußball-Bundesligisten Hannover 96, einer der Besten seines Fachs, beliebt und unumstritten bei den Fans, aber doch nie so sehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit, dass es unangenehm geworden wäre. Vielleicht kann man heute nur erahnen, wie viel Robert Enke das wert gewesen sein muss.
Mit dieser Ruhe war es seit dem Rücktritt von Jens Lehmann im Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vorbei: Robert Enke galt als erster Anwärter auf den Platz im deutschen Tor. Er war mit seiner Ruhe, seiner Sachlichkeit, so etwas wie ein Anti-Lehmann.
Aber Robert Enke war kein Glückspilz: Er hatte von Anfang an mit René Adler und Manuel Neuer zwei jüngere, vielleicht auch talentiertere Torhüter im Nacken. Zwei, die von der Öffentlichkeit immer wieder gefordert wurden; zwei, die durch ihre Spitzenclubs Leverkusen und Schalke mehr Schub bekamen als Enke ihn von den mittelmäßigen Hannoveranern bekommen konnte.
Auf einmal, hat sich Enke vor gar nicht so langer Zeit beklagt, werde jedes Wort von ihm auf die Goldwaage gelegt. Plötzlich wurde jede Bewegung beobachtet und selbst die privatesten und schlimmsten Momente, die sich ein Vater vorstellen kann, gehörten der Öffentlichkeit. Robert Enke musste oft mit Schicksalsschlägen fertig werden; allen voran mit dem Tod seiner kleinen Tochter Lara.
Jetzt sieht es so aus, als sei das alles zu viel geworden: Enke, 32 Jahre alt, ist gestern Abend an einem Bahnübergang im niedersächsischen Eilvese, einem Ortsteil von Neustadt am Rübenberge, gestorben. Robert Enke hat sich, das galt wenige Stunden nach der Tat als sicher, das Leben genommen. „Man rechnet mit vielem, aber nicht mit so etwas”, sagte Hannovers Präsident Martin Kind, „er war labil, er hat das überlagert.”
Wenn das so war, dann hat es jahrelang kaum jemand gemerkt. Enkes Leben erscheint jetzt, mit diesem Ende, fast als Kette von tragischen Ereignissen. Verletzungen, wie Enke sie vor allem immer wieder erlitt, seit sich ihm die Chance bot, in der Nationalelf die Nummer eins zu werden, waren da noch die harmloseren Rückschläge. Zuletzt hatte Enke wegen einer anfangs rätselhaften Erkrankung, die nach einiger Zeit als Bakterien-Infektion des Darmes erkannt wurde, vier Länderspiele verpasst. Auch für die Begegnung am Samstag in Köln gegen Chile und am kommenden Mittwoch in Gelsenkirchen gegen die Elfenbeinküste war Enke nicht nominiert worden.
Aber was ist das gegen den September 2006? Damals starb Enkes zweijährige Tochter Lara an einem angeborenen Herzfehler. Enke zeigte Stärke, zumindest wurde es von außen so interpretiert. Nur sechs Tage nach dem Tod seiner kleinen Tochter stellte er sich in Hannover wieder ins Tor, weil er keine Auszeit haben wollte. Die Krankheit seiner Tochter, hat Enke damals gesagt, habe sein Leben bestimmt, in einem Zyklus aus Intensivstation, Reanimierung, Todesangst. All‘ das war Enkes Alltag.
Später nahm sich Enke, den man als ruhigen Gesprächspartner erlebt hat, als einen Mann, der gründlich nachdachte, bevor er antwortete, das Recht, keine Interviews zum Tod seiner kleinen Tochter zu geben, seinen Schmerz als das zu behandeln, was er war: seine private Angelegenheit.
Und trotzdem bleiben einem nur Vermutungen, steht man fassungslos vor der Tragödie, die Robert Enkes letzter Entschluss war. Weggefährten war aufgefallen, dass Enke sich etwas verändert hatte, das schon. Dass er bei Zeitungen anrief, weil er sich falsch zitiert fühlte. Dass es ihm, der immer ausgesprochen uneitel wirkte, plötzlich wichtiger geworden war, wie er bei den Fans ankam. Aber dass sich dahinter offenbar ein seelischer Abgrund auftat, mit dem Enke nicht mehr fertig wurde – niemand scheint etwas davon geahnt zu haben.
Weil sein Berater Jörg Neblung gestern am späten Abend sagte, er könne „bestätigen, dass es sich um Selbstmord handelt”, bleibt man mit nichts zurück als Fragen, die letztlich alle um das Warum kreisen.
Will man wirklich versuchen, sich vorzustellen, was in Robert Enke in seinen letzten Tagen vorgegangen sein muss? In den letzten Stunden? Hat ihm womöglich jemand mitteilen müssen, dass er schlimmer erkrankt war, als es schien?
Und wie muss es um jemanden stehen, der sich vor einen Zug wirft, der sich also so tötet, dass so wenig wie möglich von ihm übrig bleibt?
Und: Warum tut jemand den letzten Schritt, der vor einem halben Jahr mit seiner Frau Teresa einen so lebensbejahenden Schritt gemacht zu haben schien: Noch im Mai haben die Enkes ein achtmonatiges Mädchen adoptiert.