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Mit Schalke fiebert Siebert noch immer mit

Mit Schalke fiebert Siebert noch immer mit

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Essen. 

Der langjährige Präsident der Königsblauen feiert seinen 80. Geburtstag in seiner Wahlheimat auf Gran Canaria. Er hängt an seinem Verein, bedauert aber manche Entwicklung.

„Moment“, ruft Günter Siebert in Gran Canaria ins Telefon, „ich schalte mal eben den Teletext aus. Ich wollte nur gucken, was die Börse gemacht hat.“ Geschäfte haben den Mann schon immer interessiert, früher besaß er eine Kiosk-Kette und mehrere Supermärkte. „Ich war ein Junge aus dem Volk, aber ich hatte viele Gaben“, sagt er. Viele Gaben und eine Leidenschaft: Dem FC Schalke 04 ist er bis heute verfallen. An diesem Mittwoch wird Günter Siebert, Präsident in drei Amtsperioden und eine der prägenden Figuren der Schalker Klubgeschichte, 80 Jahre alt.

Am Sonntag hat er auf der spanischen Insel, auf der er mit Unterbrechungen schon seit den 80er-Jahren lebt, wieder mit Freunden vor dem Fernseher gesessen. Schalke spielte in Mainz, das musste er sehen. „Bei jedem Spiel fiebere ich mit“, erzählt er. „Das werde ich nicht mehr los.“

Auf der Sonnenseite

Es geht ihm gut, er sieht sich sprichwörtlich auf der Sonnenseite. „Ich lebe hier ein wunderschönes Leben, wir haben gerade 26 Grad“, sagt er. Beim Stichwort Schalke legt er los, er reiht Anekdote an Anekdote. Er erzählt, wie er vor 40 Jahren Erwin Kremers aus Offenbach holte und auf dessen flehende Bitte hin Zwillingsbruder Helmut gleich auch mitnahm („Ach, komm’, hab’ ich gesagt, die 125 000 Mark haben wir auch noch“). Er beschreibt, wie er damals bei Mutter Fischer im bayrischen Zwiesel saß, die ihren Klaus nicht hergeben wollte, weil dieses Gelsenkirchen doch „so weit weg“ war. Er hat ihr dann erzählt, dass seine eigene Mutter 1951 in Kassel ähnliche Bedenken hatte. An dem Tag, als der gelernte Zimmermann Günter Siebert auf Schalke seinen ersten Vertrag unterschrieb, holte er sich von ihr eine Ohrfeige ab, weil er zu spät nach Hause gekommen war. Mit 20.

Natürlich erteilte Mutter Fischer ihrem Klaus die Freigabe.

Sieben Kinder hat Günter Siebert, auf Schalke haben sie ihn deshalb Oskar getauft, es gab in den 50er-Jahren mal eine Comicfigur namens „Oskar, der Familienvater“. Das passte, auch in Bezug auf den Verein. Zu Zeiten, als es bei dessen bierseligen Jahreshauptversammlungen bunter zuging als auf der Cranger Kirmes, schaffte es Siebert mit glänzender Rhetorik, Kritiker in Jubelnde zu verwandeln. Meistens, indem er ihre blau-weiße Seele streichelte. „Wo wohnt Günter Siebert?“, rief er den Leuten zu, und die antworteten tatsächlich: „Im Herzen aller Schalker!“ Anschließend floss Freibier.

Als Stürmer gehörte Siebert 1958 zur bislang letzten Schalker Meistermannschaft. „Das war das Schönste, was ich je erlebt habe“, versichert er. „Der Empfang zu Hause war unvergleichlich.“ Nach dem 3:0 im Finale gegen Hamburg in Hannover zählte die Polizei eine Viertelmillion Menschen auf Gelsenkirchens Straßen.

1967 ließ sich Siebert als 36-Jähriger erstmals als Präsident wählen. „Sonst gäbe es heute kein Schalke mehr“, behauptet er. „Den Verein wollte damals keiner führen.“

„Der Ruhrpott muss doch zusammenhalten“

Er traute sich, er meint: „Ich war ein frecher Hund.“ Um die Routiniers Stan Libuda und Klaus Fichtel baute er ein junges, spielstarkes Team, das 1972 Pokalsieger und Vizemeister wurde. „Diese Mannschaft hätte eine grandiose Zukunft gehabt – wenn bloß nicht dieser Skandal gewesen wäre!“ Schiebung, Sperren, Meineide: Das Amt des Präsidenten war damals nicht vergnügungssteuerpflichtig.

Vieles aber wurde ganz einfach noch auf der menschlichen Ebene geregelt. Als es Anfang der 70er-Jahre Borussia Dortmund dreckig ging, nachdem der BVB aus der Bundesliga abgestiegen war, wandte sich dessen Präsident Heinz Günther über einen Mittelsmann verzweifelt und vertrauensvoll an Günter Siebert – ausgerechnet. Der Schalker durfte sogar die Dortmunder Spielerverträge einsehen, alles unterlag strengster Geheimhaltung. Siebert verhalf den Schwarz-Gelben zu frischem Geld: vor allem mit dem Eröffnungsspiel der Revierrivalen im neuen Westfalenstadion und mit einer Serie von Freundschaftsspielen im Sauer- und Siegerland. „Der Ruhrpott muss doch zusammenhalten“, meint er.

Nur Nostalgie? Das hemdsärmelig geführte Schalke des Günter Siebert hat mit dem modern berechneten des Felix Magath so viel gemeinsam wie ein Seifenkistenrennen mit einem Formel-1-Grand-Prix, der frühere Präsident betrachtet manche Entwicklung mit Bedauern. Am härtesten fällt sein sportliches Urteil aus. Dass es der Verein seit mehr als 50 Jahren nicht mehr geschafft hat, Deutscher Meister zu werden, nennt Günter Siebert schlicht: „beschämend“.