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Freiburgs Streich – der etwas andere Erfolgstrainer

Freiburgs Streich – der etwas andere Erfolgstrainer

Christian Streich hat den SC Freiburg vorzeitig zum Klassenerhalt geführt. Der ehemalige Jugendtrainer ist anders als die meisten anderen. Zwiscchen Distanz und völliger Ekstase.

Freiburg. 

Vor gut zwei Wochen ist in Freiburg etwas Unvorstellbares passiert. SC-Fans hatten vor Anpfiff vier bengalische Fackeln gezündet. An der Schwarzwaldstraße, wo man das Insel-Dasein am Rande der Republik zelebriert, hatten sie jahrelang geglaubt, „ihre“ Fans seien anders als die der Konkurrenz. Einer, den die Zündelei regelrecht auf die Palme brachte, war Christian Streich. Zwei Sekunden nach dem Aufglimmen der Fackeln legte er einen 60-Meter-Spurt zum Fanblock hin. Und schrie und tobte dort, als gäbe es kein Morgen. Die drohende Geldstrafe sei gar nicht mal das Hauptproblem, ließ er nach dem Spiel wissen. Dass die Pyromanen aber seine Spieler just in der für die Konzentration wichtigen Phase vor dem Anpfiff abgelenkt hätten. Das sei das eigentlich Unverzeihbare. Streich, der Temperamentvolle. Streich, der Fußball-Perfektionist, so kennen sie ihn in Freiburg.

Der 46-Jährige kennt die Laufwege seiner Spieler besser als sie selbst. Und doch hat er sich bei aller Besessenheit eine innere Distanz zum Fußball-Zirkus erkämpft. Jüngst hat er in einem Interview erzählt, was er meint, wenn er sagt, Fußball sei „doch so schön“: „Ich war früher oft unterwegs, mit dem Rucksack in Marokko, in Indien oder Indonesien. Da kickst du am Strand und plötzlich gehen die Türen auf, weil man zusammen gelacht hat. Die sind Muslime oder Hindu, und ich zufällig evangelisch. Und wir waren gleich.“

Unter Streichs Ägide hat ein kraft- und mutloses Team in der Rückrunde 24 Punkte gesammelt und damit zwei Spieltage vor Schluss vorzeitig den Klassenerhalt geschafft. Gäbe es keine Vorrunde, läge der SC auf Platz fünf der Tabelle, punktgleich mit Schalke. Dabei hätten im Winter nicht einmal die SC-Funktionäre geglaubt, dass es noch etwas werden könnte mit dem Klassenerhalt. Weshalb man nach der Trennung von Marcus Sorg auf Streich kam, der zuvor 17 Jahre lang im Nachwuchsbereich des Klubs werkelte. Der rockt nun die Liga und arbeitet en passant so nachhaltig, wie ihm das aufgetragen wurde: Meist spielen fünf, sechs Akteure, die aus dem eigenen Nachwuchs stammen.

Streich hat auf dem zweiten Bildungsweg Germanistik und Geschichte studiert, er dürfte in einem Jahr mehr Belletristik lesen als die meisten seiner Kollegen in ihrem Leben. Überhaupt erinnert er in mancher Hinsicht an Volker Finke, der bis 2007 16 Jahre lang SC-Trainer war. Die Akribie, das Fußballverständnis, das abgrundtiefe Misstrauen gegenüber Beratern und Boulevardmedien. Auch Streich kann dünnhäutig sein. Am Sonntag vor einer Woche stand er unvermittelt auf und verließ die Pressekonferenz, als ihm ein „Bild“-Reporter die harmlose Frage stellte, warum er nach dem Punktgewinn gegen Hoffenheim nicht fröhlicher aussehe. Streich hasst es, wenn er über seine Gefühle reden muss. Er redet am liebsten über Fußball. Doch im Gegensatz zu Finke ist Streich einer, den auch die guten Seelen des Klubs gerne in den Arm nehmen. Egal, ob Marketingleiter Hanno Franke oder Jolanta Kura, die Pächterin der Gaststätte im Nachwuchszentrum – die meisten, die beim SC über ihn sprechen, tun das mit unverstellter Sympathie.

Schutzmechanismen

Ganz anders die Wahrnehmung außerhalb Südbadens. Freiburger Journalisten werden von Kollegen schon einmal gefragt, ob der Trainer denn nicht ein wenig „verrückt“ sei. Die Mimik, die manchmal entgleist. Das eindringliche Sprechen, die völlige Ekstase an der Außenlinie. All das befremdet offenbar viele Menschen, die ihn zum ersten Mal erleben. Und so wenig „verrückt“ der Mann sein mag; Temperament hat Streich fraglos. Schon als A-Jugendtrainer bekam mancher Zuschauer Angst um den Mann, der da litt und tobte. Streich ist einer, der brennt. Und der zu verbrennen droht. Ihm ist das bewusst – auch deshalb hat er Schutzmechanismen aufgebaut. Manchmal, erzählt er, klickt er sich am Samstag bewusst aus der Fußball-Endlosschleife aus und kocht stattdessen mit Freunden.

Und was den Dialekt angeht, der viele Menschen „im Norde“ so amüsiert? Streich, der als Sohn eines Metzgers in einem Grenzort zur Schweiz aufgewachsen ist, behauptet, ihm sei das egal. „Ich kann’s nit hebe“, sagt er entschuldigend, wenn ihm mal wieder ein „brudal alemannisches“ Wort herausgerutscht ist. Übersetzt heißt das in etwa: „ich kann’s nicht verhindern.“