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Ex-Hooligan wird Betreuer bei Essener Kreisligist

Ex-Hooligan wird Betreuer bei Essener Kreisligist

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Foto: ddp

Essen. Hinter Wohnhäusern des Stadtteils Altendorf trainiert zweimal in der Woche der Kreisligist „TuRa 1886 Essen e.V.“ für den Aufstieg in die Kreisliga A. Ein gewöhnlicher Amateurfußballverein unter 46 weiteren Essener Vereinen, wie es scheint.

Doch der TuRa 86 hat sich entschlossen, einem Ex-Hooligan eine Chance zu geben, der vor über zehn Jahren traurige Bekanntheit erreichte. Seit Anfang des Jahres ist Frank Renger, der 1998 in Lens mit anderen Gewalttätern den französischen Gendarmen Daniel Nivel derart zusammenschlug, dass dieser bis heute behindert ist, Mannschaftsbetreuer von TuRa 86. Dem verurteilten Mittäter von Lens wollte der Verein nach vier Jahren Haft eine «zweite Chance» geben.

Am 21. Juni 1998 hatte Renger mit mehreren Hooligans nach dem WM-Vorrundenspiel zwischen Deutschland und Jugoslawien in Lens den damals 43-jährigen Nivel mit Füßen und einem Gewehraufsatz bewusstlos geschlagen. Der Familienvater lag wochenlang im Koma. Er ist seitdem auf einem Auge blind und hat Artikulationsschwierigkeiten. Renger hatte Tritte gegen den Körper des am Boden liegenden Gendarmen eingeräumt und Nivel um Entschuldigung gebeten. Das Essener Landgericht verurteilte Renger zu fünf Jahren Haft sowie drei Mittäter zu hohen Haftstrafen.

Er habe nach dem Ende seiner Haft im Sommer 2002 mit dem bis heute von der Tat schwer gezeichneten Nivel in Kontakt treten wollen, sagt Renger heute. Auch wenn er die Tat nicht mehr gut machen könne. Sein Anwalt und seine Bewährungshelferin hätten ihn aber gebeten, dies zu unterlassen, «um keine Wunden aufzureißen».

«Der Neuanfang nach der Haft war schwer», sagt Renger, der heute nicht mehr über die Tat sprechen möchte. Seine Ehe ging zu Bruch, nach seiner Entlassung verlor er seinen Job bei einem Bäcker, den er im freien Vollzug bekommen hatte. Seitdem ist der heute 41-Jährige arbeitslos. Beim Essener Kreisligisten, zu dem er über den Sohn seiner Ex-Freundin kam, suchte Renger Ablenkung und Gesprächspartner.

«Früher war Fußball für mich Hingehen und Gucken und wenn es Ausschreitungen gab, war ich mit dabei», sagt der Schalke-Fan, der in der Szene auf den Namen «Samurai» hörte. In die Hooligan-Szene sei er «reingerutscht». «Wenn ich nicht im Gefängnis gewesen wäre, wäre ich vielleicht immer noch dabei», glaubt er. Nun habe er seine Aufgabe «bei den Jungs». «Heute ist Fußball nur noch Emotion, Spannung und einfach Spaß haben.» Mit der alten Szene wolle er nichts mehr zu tun haben, sagt er.

Renger sei ohne Vorbedingungen aufgenommen worden, sagt der zweite Tura-Vereinsvorsitzende Friedrich Brüne. Der Vorstand habe einstimmig dafür gestimmt, als Renger um Aufnahme bat. «Wir wollten ihm einen Weg öffnen, um ins richtige Fahrwasser zu kommen. Und wir haben gesehen, dass er sich von seiner Vergangenheit verabschiedet und seine Lehren daraus gezogen hat.«

Beim Training und bei Spielen ist Renger nun «Mädchen für alles». Er holt Getränke, hält Bälle bereit und ist zur Stelle, wenn die Spieler etwas brauchen.

Die Mannschaft stehe geschlossen hinter der Vorstandsentscheidung, betont Trainer Michael Cassola. Bei einzelnen älteren Vereinsmitgliedern gebe es dagegen Kritik. »Die Tat hat er nun mal begangen und seine Strafe verbüßt. Wenn man den Frank nicht kennt, sondern nur die Tat sieht, kann man auch zu einer anderen Meinung kommen«, räumt Cassola ein.

«Was er gemacht hat, finden wir natürlich alle nicht gut. Aber wenn sich alle so ändern würden wie er, wäre das schon einmal ein Anfang», betont Mannschaftskapitän Cemil Firat. Renger sei von sich aus zu den Mannschaftsmitgliedern gekommen, um darüber zu sprechen, was er getan habe. Besser habe die Resozialisierung nicht laufen können, findet der Kapitän, denn gerade im Amateurfußball sei Gewalt ein Problem. «Ich weiß nicht, ob er sich bewusst war, dass er sich dieser Gefahr hier vielmehr aussetzt.» Immer wieder komme es zu Reibereien zwischen Spielern und Zuschauern. Frank sei aber immer der Erste, der sich dann abwende, hat Firat beobachtet.

Mit Beginn des Jahres ist auch Rengers Stadionverbot aufgehoben und der seit Kindesbeinen fanatische Schalke-Fan wieder bei Heim- und Auswärtsspielen des Erstligisten dabei. Seitdem kocht auf den Schalkefan-Internetforen die Diskussion, ob es in Ordnung ist, dass jemand wie Renger wieder für Blau-Weiß jubelt.

TuRa 86-Vizechef Brüne findet: «Auch andere sollten das tun wie wir.» Von anderen Vereinen sei er bislang vorwiegend positiv auf die Vereinsentscheidung angesprochen worden. (ddp)