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So war es, das Derby von der Süd aus zu sehen – Obwohl mich Fußball nicht die Bohne interessiert

So war es, das Derby von der Süd aus zu sehen – Obwohl mich Fußball nicht die Bohne interessiert

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Foto: firo

Dortmund. 

„Wie nennt ihr die Schalker noch mal? Schlümpfe?“ „Im Normalfall, ja. Wenn Derby ist, nennen wir sie Hurensöhne“, antwortet ein enger Freund, 101-prozentiger BVB-Fan.

Ich bin kein Fußballfan. Nicht mal ein winziges bisschen und damit in unserer Redaktion fast alleine. Aber ich wollte es jetzt einfach mal wissen. Ich wollte wissen, wie es ist, das Revierderby von der Südtribüne aus zu erleben. Denn so viel weiß ich: BVB-S04 ist Krieg.

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„Katastrophentouristen wollen wir nicht dabei haben“

Als ich meinen besagten Freund frage, ob es noch Karten fürs Spiel gibt, guckt er mich halb grinsend, halb ernst an und sagt: „Also, solche wie dich wollen wir da schon mal nicht haben. Katastrophentourist.“ Vor dem Spiel fragt er mich dann, ob ich es immer noch sehen will. Auf je! den! Fall!

Ich stehe also in der Bahn am Dortmunder Hauptbahnhof, die uns zum Signal-Iduna-Park bringt, das in der Bahn alle nur Westfalenstadion nennen. Tradition, so sagt man mir. Offenbar stehen viele Fans hier nicht wirklich hinter dem Namen, den das Stadion seit 2005 trägt.

Wobei, nein. Ich stehe eigentlich nicht, sondern kann die Füße baumeln lassen, so gedrängt ist es in der Bahn. Als wir am Stadion ankommen, holt mich mein Kumpel ab und ich bin angesichts der Größe des Stadions einfach nur beeindruckt.

Sollte ich lieber keinen BVB-Schal tragen…?

Auf der Südtribüne wird mein Kumpel dann herzlich begrüßt. Man bekommt den Eindruck, dass sich hier Männer treffen, die miteinander in Schlachten kämpfen. Krieger mit Rüstung in schwarz und gelb.

Ich werde zwar auch freundlich begrüßt, aber man ist kritisch. Ich trage BVB-Schal und fühle mich plötzlich unwohl. Wäre es besser gewesen, keinen zu tragen? Sich nicht mit fremden Federn zu schmücken aber dafür den Verein auch nicht zu ehren?

Massiv viel Energie liegt in der Stadion-Luft

Das Gefühl der Schlacht verstärkt sich, als die Namen der Spieler angesagt werden, Fahnen geschwenkt, „Heja BVB“ gesungen und Pyros gezündet werden. Ein Hauch Silvester liegt in der Luft. Und massiv viel Energie.

Dann fallen sehr schnell hintereinander die ersten Tore für den BVB und die ekstatischen Fans singen: „Die Nummer 1 im Pott sind wir“. Gegenüber mucksmäuschenstille Schalker, während über dem Stadion ein Polizeihubschrauber kreist. „Du bist unser Glücksbringer“, sagt mir mein Kumpel.

Schalke-Fans? „Hurensöhne.“ – BVB-Fans? „Auch Hurensöhne.“

Die Dortmunder singen jetzt: „Jeder Schalker ist ein Hurensohn“ unterlegt mit der Melodie von Belinda Carlisles „Heaven is a place on earth“. Als ich nach dem Spiel einen anderen Freund (Schalke-Fan) frage, wie er beim Derby BVB-Fans nennt, sagt er wie selbstverständlich: „Auch Hurensohn“.

Plötzlich denke ich: „Wenn eine Prostituierte ein Kind bekommt, wird es also anscheinend automatisch Schalke- oder BVB-Fan. Oder vermutlich auch von jedem anderen Verein. Je nach Standpunkt. Aber Rivalität muss wohl sein, auch wenn es ruppig zugeht.

Riesige Gefühle, für Außenstehende kaum greifbar

Diese ruppige Art zeigt sich mehrfach. Beispielsweise, als Dortmunds Gonzalo Castro Schalkes Amine Harit foult, der erst mal liegen bleibt und sich dann mit Mannschaftsarzt an die Seitenlinie schleppt. Vorbei geht es dabei an der Südtribüne. Es fliegen volle Bierbecher, Klopapier und Schimpfwörter auf den Mann. „Stirb, du Wichser“, schreien die Fans. Als ich frage, was mein Kumpel gemacht hätte, wenn er tatsächlich gestorben wäre, sagt er: „Dann hätte ich auf sein Grab gespuckt. Hurensohn.“

Ich weiß, dass er Mitgefühl gezeigt hätte, wenn das eingetreten wäre. Und das Gros der BVB-Fans wohl ebenfalls. Und umgekehrt auch die Schalker. Aber hier geht es vermutlich einfach um riesige Gefühle, die für Außenstehende in ihrer Intensität kaum greifbar sind.

Zwischendurch fliegt ein Böller über den Zaun, landet neben einer Security-Mitarbeiterin und explodiert mit einem ordentlichen Knall. „Einfach nicht gut“, sage ich zu meinem Kumpel. Zustimmung um mich herum. Mir wird erzählt, dass Menschen dadurch bei Spielen bereits nachhaltig taub geworden sind. Aber wo viele Fans sind, gibt es auch viele unterschiedliche Ansichten.

Warum pfeifen die Fans ihre eigene Mannschaft aus?

Ein weiteres Beispiel dafür ist wohl dieser Moment, als nach der Aufholjagd der Schalker (4:4) die Dortmunder Mannschaft vor die Fans tritt, ausgebuht, ausgepfiffen und ebenfalls mit Bier beworfen wird.

Für mich schwer zu verstehen. Sieht man hier doch eigentlich gerade Fußballer, die über den gefühlten Verlust auch tieftraurig sein müssen. Und die nicht etwa ihren Job nicht gemacht haben, sondern die eben bei ihrem Job gerade verloren haben. Hätte man einen Partner, dem etwas Schlimmes passiert ist, würde man ihn nicht lieber aufbauen und eine Lösung suchen? Man muss jedoch dazu sagen, dass der Ärger beim nächsten Spiel wieder etwas verflogen sein und die Mannschaft wieder bejubelt wird.

Mein Kumpel sagt, dass sich dieser Ärger vermutlich eigentlich gegen Trainer Peter Bosz gerichtet und gegenüber den Spielern entladen hat. Auch höre ich, dass derart geäußerter Frust Fußballmannschaften auch manchmal motivieren kann. Mag sein.

Traurige BVB-Fans, wohin ich sehe

Als wir aus dem Stadion gehen, sehe ich viele extrem traurige Gesichter. Es wird gefachsimpelt, wie das passieren konnte und es wird viel Bier getrunken. Auch unsere Truppe trinkt jetzt Bier. Mein Kumpel kauft acht Dosen Brinkhoff’s und sagt dann halb lächelnd, halb traurig: „Dich nehm‘ ich nie wieder mit“.

Ich hatte jedenfalls einen extrem spannenden Abend. Danke, Dortmund – Danke, Schalke. Echt krasser Job! (Soweit ich weiß).