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Ex-Alkoholiker Borowka sieht sich nicht als Vorbild

Ex-Alkoholiker Borowka sieht sich nicht als Vorbild

Der ehemalige Nationalspieler Uli Borowka ist seit zwölf Jahren trockener Alkoholiker. Er hat ein Buch geschrieben, das den Titel „Volle Pulle“ trägt und spricht offen über seine Sucht, sein Doppelleben und seine Scham.

Hemer. 

Uli Borowka war ganz oben. Bundesligafußballer in Mönchengladbach und Bremen, Nationalspieler, EM-Teilnehmer, Deutscher Meister, Europapokalsieger. Gegenspieler fürchteten ihn, er liebte das Image, „die Axt“ zu sein. Er führte ein Leben im Luxus. Kamen Probleme auf, trank er sie weg. Er hielt das jahrelang für kontrollierbar.

Uli Borowka war ganz unten. Die glanzvolle Karriere endete mit einem Rauswurf bei Werder Bremen. Die Ehe: ein Scherbenhaufen. Das ganze Geld: draufgegangen. Er hatte seine Frau geschlagen, er fuhr im Suff ein Auto zu Schrott, er wurde blutverschmiert unter einer Brücke wach. Sein Leben: ein Desaster.

Uli Borowka sagt, er stehe heute „im gesicherten Mittelfeld“. Sein früherer Mitspieler Christian Hochstätter, der inzwischen Sportdirektor bei Borussia Mönchengladbach war, vermittelte ihm im Jahr 2000 einen Therapieplatz in einer Entzugsklinik in Bad Fredeburg. Dort hinterfragte sich Uli Borowka erstmals selbst. Und er begann wieder zu kämpfen. Seit zwölf Jahren ist er nun trocken, er ist wieder verheiratet, wieder Vater geworden. Und er hat eine Autobiografie geschrieben, sie heißt „Volle Pulle“. Wir trafen den 50-Jährigen, der in Berlin lebt, in einem Café in seiner Heimat Hemer im Sauerland, wo er vor Weihnachten seine Mutter besuchte.

Herr Borowka, was sagen Ihnen die Namen Kalla Timmler, Dieter Mangold und Dirk Vedder?

Uli Borowka: Das waren Jungs, mit denen ich beim DSC Wanne-Eickel in der A-Jugend zusammengespielt habe. Wir sind damals Zweiter geworden in der Westfalenliga, hinter Schalke. Ich erinnere mich noch gut an das Spiel in Schalke, da habe ich den Wuttke umgehauen.

Die genannten Spieler hatten alle mehr fußballerisches Talent als Sie. Aber Sie haben mit Fleiß und Disziplin den großen Sprung geschafft.

Borowka: Ja, mit Ehrgeiz und Willen.

Und Furchtlosigkeit.

Borowka: Oh ja, wenn ich daran denke, wie ich als Jugendlicher über die Asche gegrätscht bin – oft klebte nachts das Bettlaken an den Wunden fest.

Man will es nicht glauben, dass ein Fußballer, der so körperbetont gespielt hat, seinen zunehmenden Alkoholkonsum verbergen konnte.

Borowka: Mein Körper hat die Gifte brutal schnell abgebaut. Wenn ich bis morgens um zwei Uhr gesoffen habe, stand ich um zehn Uhr ohne dicken Schädel auf dem Trainingsplatz.

In der Suchtklinik mussten Sie sich aber auch eingestehen, dass Ihr Image nur eine Hülle war.

Borowka: Das war schwer. Ich war ja der Meinung, der schärfste Typ zu sein, ich hatte eine Ritterrüstung an, auf dem Platz habe ich einfach alle umgesenst. Im Privatleben habe ich die Menschen auch so behandelt: Gefühle anderer interessierten mich einen Dreck. Und wenn ich eigene Gefühle gezeigt hätte, wäre ja mein Kartenhaus zusammengebrochen.

Wenn wir ein Interview gegen Ende der 80er-Jahre geführt hätten, …

Borowka: … dann hätte ich Ihnen erzählt, dass alle anderen Nationalverteidiger nichts taugen, und Sie hätten gedacht: ein schöner Kotzbrocken, der Borowka. Ich hatte die Bodenhaftung total verloren.

Hätten gute Freunde helfen können?

Borowka: Meine Mitspieler in Bremen haben es ja versucht. Aber wenn einer mir geraten hat, ich sollte mal weniger trinken, dann habe ich den weggeschickt: Leck mich, kümmere dich um deine eigenen Probleme. Ich brauchte doch das Ventil Alkohol.

Es kostete sicher eine Menge Überwindung, all das aufzuarbeiten.

Borowka: In den ersten Tagen in der Klinik dachte ich ja noch, dass ich da überhaupt nicht hingehöre. Woche für Woche habe ich dann mehr daran gearbeitet, offen mit meiner Krankheit umzugehen. Das habe ich jetzt zwölf Jahre lang geübt.

Und es fällt nicht schwer, das Leben nun öffentlich auszubreiten?

Borowka: Nachdem ich das fertige Manuskript von Autor Alex Raack gelesen hatte, bin ich für zwei Wochen in ein Loch gefallen. Mein ganzes Leben stand auf einmal schwarz auf weiß, das war schmerzhaft. Jedes Interview wühlt mich noch auf. Aber es ist mein Weg: wenn, dann komplett und authentisch.

Dazu gehört auch die Gewaltanwendung gegenüber Ihrer ersten Frau. Dieses düstere Kapitel behandeln Sie mit einer überraschend harten Selbstanklage gleich am Anfang.

Borowka: Ich habe es getan, ich schäme mich bis heute dafür. Aber ich kann doch keine Biografie schreiben und dann einige Stellen verharmlosen.

Es gibt auch die traurige Stelle, an der Sie zugeben müssen, Ihre beiden heute erwachsenen Kinder aus erster Ehe verloren zu haben.

Borowka: Sie haben ihren Vater randalieren sehen. Aus heutiger Sicht kann ich nachvollziehen, dass meine Frau sich und die Kinder vor mir schützen wollte. Ich wünschte mir, dass es noch eine Chance gäbe, aber sie wollen keinen Kontakt zu mir.

Die Resonanz auf Ihr Buch ist groß.

Borowka: Ich war kürzlich zu Gast in einer Jugend-Arrestanstalt in Berlin. Anschließend sagte der Leiter: Was Sie hier in zwei Stunden geschafft haben, können unsere Psychologen in sechs Monaten nicht schaffen. Das hat mich richtig gefreut. Ich habe Tausende von Mails von Menschen bekommen, die sich bedanken, weil sie durch das Buch Kraft schöpfen. Ein Mann schrieb: Danke für die Grätsche in mein Herz, seit acht Tagen trinke ich nicht mehr.

Sehen Sie sich als Vorbild?

Borowka: Nein.

Das Nein kam aber schnell.

Borowka: Ich rede doch nur darüber, wie es mir erging. Es haben sich aber viele ehemalige und aktuelle Profis bei mir gemeldet, die in mir jemanden sehen, der den ganzen Mist selbst durchgemacht hat. Die hilfsbedürftigen heutigen Spieler können sich ja nicht outen, dann wären sie erledigt. Es gibt aber Wege zu Lösungen. Meine Frau und ich wollen einen Verein oder eine Stiftung für suchtkranke Profis gründen – mit dem Ziel, eine Anlaufstelle zu sein. Das ist nicht einfach, aber jetzt hat sich sogar der DFB gemeldet, um mal ein Gespräch zu führen. Es geht ja nicht nur um Alkohol, sondern auch um Spielsucht, Drogen, Medikamente, psychische Erkrankungen. Ein Sportdirektor hat zu mir gesagt: In unserem Verein gibt es keine Probleme. Ich dachte: Junge, wenn du wüsstest, wer mich angerufen hat.

Sind Sie mit sich im Reinen?

Borowka: Absolut. Ich freue mich, wenn wir Weihnachten eine Gans auf dem Tisch haben und die Kleine, die jetzt dreieinhalb Jahre alt ist, etwas zum Auspacken findet.