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Eine, die auszog, um groß zu werden

Eine, die auszog, um groß zu werden

Berlin/Balve. 

Ein paar Quadratmeter sind das nur. Ein Bett hat sie in ihrem kleinen Zimmer, ein Regal, einen Schreibtisch. An der Wand hängt eine große Collage. Kimberly Drewniok hat das bunte Bild-Ensemble von ihren Mannschaftskolleginnen des RC Sorpesee geschenkt bekommen, als sich die damals 16-Jährige verabschiedete. Von ihrer Volleyball-Mannschaft, von ihren Freundinnen, von ihrer Familie, von ihrer Heimat Balve. Sie verabschiedete sich, um in Berlin anzuheuern, um Bundesliga zu spielen. Sie zog aus, um groß zu werden. Mittlerweile ist sie nicht mehr weit von der Nationalmannschaft entfernt.

„Ich habe damals große Zweifel gehabt“, sagt sie heute, anderthalb Jahre später. Eigentlich hätte sie jetzt gerade Mathematik-Unterricht, Wahrscheinlichkeitsrechnung. Aber an Spieltagen des VC Olympia Berlin, der Mannschaft des Bundesstützpunkts Nachwuchs, ist der Tag im Internat anders getaktet. Mit Wahrscheinlichkeitsrechnung kennt sich die Linkshänderin aber ohnehin bestens aus. Ihre ganz persönliche hat sie schon machen müssen, als das Angebot aus der Hauptstadt kam: Soll sie die idyllische Heimat eintauschen gegen das aufgeregte Berlin? Wie groß sind die Chancen auf die Karriere?

Eigentlich wollte sie sich erst in Richtung Profitum bewegen, wenn das Abi geschafft ist. Dann aber, Ende 2013, gab es erste Gespräche. Sie überlegte, schob die Entscheidung vor sich her. Nachwuchs-Bundestrainer Jens Pietböhl riet ihr: Wenn du es jetzt nicht machst, dann schaffst du den Sprung nach oben nicht mehr. Kimberly sagte zu. „Ich wollte nichts bereuen“, denkt sie zurück: „Den Wechsel hätte ich rückgängig machen können, die Chance auf diesen Wechsel hätte ich erstmal verpasst.“

So zog sie um. Allein. Von Balve, 12 000 Einwohner, nach Berlin, 3,5 Millionen Einwohner. „Die ersten Wochen waren schwer“, sagt sie. Sie kennt die Straßen und Häuser nicht, steigt in die falsche S-Bahn-Linie, vermisst, was sie liebt. Aber das Leben im Internat macht es ihr leicht. Auf dem riesigen Sportkomplex am Weißenseer Weg, einer Nord-Süd-Straße zwischen Pankow und Lichtenberg, steht Haus an Haus, in denen talentierte Jungs und Mädchen wie in Wohngemeinschaften leben: Leichtathleten, ­Schwimmer, Turner, Handballer, Eishockeyspieler und Volleyballer. Aus dem Fenster blickt Kimberly Drewniok auf ihre Schule. Sie dauert wegen der vielen Fehlzeiten ein Jahr länger, Abi macht „Kimmi“, wie sie alle rufen, daher erst im Frühjahr 2017.

Die Zeit bis dahin wird eine spannende. VCO Berlin liegt in der Bundesliga sieglos am Tabellenende. Absteigen kann die Mannschaft nicht, weil sie in der Liga installiert wurde, um jungen Spielerinnen früh die Möglichkeit zu geben, sich auf höchstem Niveau zu entwickeln. Spielerinnen wie Kimberly Drewniok. Mehrfach wurde sie in dieser Saison schon mit der Medaille für die beste Spielerin des Spiels ausgezeichnet. Mithilfe eines Zweitspielrechts tritt die Diagonalspielerin ab März, wenn in der Bundesliga die Play-offs um den Titel beginnen, mit dem SC Potsdam an. Im Sommer wechselt sie vollends zum SC, der sich für den Transfer „eines der größten Nachwuchstalente Deutschlands“ lobt. Ein Familienmensch sei sie. Aber ihre Entscheidung hat sie nie bereut.

Zäsur im Nationalteamder Damen

Nach der missglückten Olympia-Qualifikation wird es im Nationalteam eine Zäsur geben. Ältere Spielerinnen werden ihren Platz freimachen für die Zukunft. „Mal schauen, was da für mich drin ist“, sagt sie wie eine junge Frau, die genau vor Augen hat, was sie will. Sie will so gut sein, dass sie von ihrem Sport leben kann. Die italienische Liga ist deshalb ihr Traum. Dort wird gut gezahlt. Und auch dort wird sich sicherlich ein Plätzchen für die Collage der früheren Mitspielerinnen finden.