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Carsten Fischer – der Charakterkopf

Carsten Fischer – der Charakterkopf

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Foto: imago sportfotodienst

Machen Sie sich ‚mal einen Spaß und besuchen sie eine beliebige Sportanlage in Mülheim an der Ruhr. Fragen Sie „Wie heißt nochmal der Hockeyspieler Calle? Der mit der Glatze…“ Die meisten kennen die Antwort: Carsten Fischer! Mülheims Jahrhundertsportler wird heute 47 Jahre alt.

„Calle“ ist nicht nur eine Sport-Ikone in Mülheim, sondern zusätzlich auch ein Idol im Hockey – trotz der WM-Titel 2002 und 2006, trotz der Olympischen Goldmedaille 2008, trotz vieler neuer Helden. Für viele der aktuellen Hockey-Generation ist Fischer noch immer ein lebendes Vorbild. Doch nicht nur das: Carsten Fischer war und ist einer der bekanntesten Diabetiker.

Als Sechsjähriger begann der kleine Carsten Fischer beim HTC Uhlenhorst Mülheim 1967 seine Hockey-Karriere (Sportgeschichte: „Berühmt für erstaunliche Hockey-Erfolge“). Er durchlief bei den „Uhlen“ Jugendmannschaft um Jugendmannschaft. 1974 folgte die erste Nominierung für eine internationale Auswahl: das B-Jugend-Nationalteam. Nach dem Abitur 1980 und der Bundeswehrzeit trat er 1981 erstmals ins internationale Hockey-Rampenlicht. Mit der Junioren-Nationalmannschaft holte er den EM-Titel. 1982 ließ dieses Team den Sieg bei der Weltmeisterschaft folgen. Es dauerte nicht mehr lang, da war Carsten Fischer der beste Libero der Hockey-Welt. Viermal nahm er an Olympischen Spielen teil – von 1984 bis 1996. 1984 in Los Angeles und 1988 in Seoul holte die Nationalmannschaft Silber, 1992 in Barcelona Gold. Das war der Höhepunkt in Fischers Karriere. 1996 landete die Nationalmannschaft auf dem vierten Platz. Auch hier zählte der inzwischen 35-jährige Fischer zur Stammformation.

Sein Äußeres hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon verändert. Im November 1990 wurde bei Fischer eine schwere Diabetes (Typ 1) diagnostiziert, 1991 verlor er aufgrund einer autoimmunen Hormonstörung seine Haare und wurde zum „Hockeyspieler mit der Glatze“. Fischer selbst und auch der Deutsche Hockey-Bund (DHB) mussten mit dieser Situation erst umzugehen lernen. Sie schafften es. Fischers Psyche erholte sich, der DHB machte Fischers Geschichte öffentlich.

Dessen Karriere verlief nun auf drei Ebenen. Auf der ersten war er der Hockeyspieler, der zweimal Silber sowie einmal Gold gewann und bei seinem Heimatverein in Mülheim zur „goldenen Generation“ gehörte. Von 1988 bis 1995 holten die Uhlen den Europapokal der Landesmeister an die Ruhr. Achtmal hintereinander! Zwischen 1985 und 1996 gewann der HTCU neun deutsche Meistertitel. Fischer absolvierte 259 Länderspiele und erzielte 154 Tore. Strafecken waren seine Spezialität. Damit wurde „Calle“ vorübergehend zum Rekordnationalspieler und Rekordtorschützen.

Die zweite Ebene seines Lebens: die Krankheit. In einem Interview im Jahr 2003 sprach Fischer über den Tag der Diagnose: „Ich war geschockt und dachte: Jetzt ist alles vorbei!“ Doch schon kurze Zeit später beschäftigte sich der damals angehende Mediziner mit seiner Krankheit: „Ich habe bereits während der ersten Krankenhausschulungs- und Einstellungsbehandlung wieder trainiert und mein Leben nicht auf die Krankheit Diabetes umgestellt, sondern den Diabetes auf mein Leben!“ Für seinen Einsatz für die Diabetes-Aufklärung erhielt Fischer 2001 den Georg-von-Opel-Preis. Der Jury saß Franz Beckenbauer vor. DHB-Präsident Dr. Christoph Wüterich hatte Fischer vorgeschlagen.

Die dritte Ebene hat mit Medizin zu tun: Denn nach seiner Bundeswehrzeit studierte Carsten Fischer in kürzestmöglicher Zeit bis 1989 Medizin in Düsseldorf. Ein intelligenter Mann, der sich auskennt. Mit seinem Körper, mit Sport, mit Fitness.

Fragen Sie in Mülheim jemanden nach „Calle“. Naja, oder auch nach Dr. Fischer. Denn seiner Heimatstadt blieb er treu. Mit seiner Familie – er hat zwei Kinder – wohnt er immer noch an der Ruhr. Auch beruflich ist er zurückgekehrt. Nach etlichen Jahren am Marienhospital in Oberhausen ist er nun Oberarzt in der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie im evangelischen Krankenhaus in Mülheim. Er leitet unter anderem das Programm „Evital-fit“.

Fit, das ist „Calle“ immer noch. Ab und zu steht er auch noch selbst auf dem Hockeyplatz im Mülheimer Waldstadion am Uhlenhorstweg. „Eine der schönsten Sportarten der Welt“. Hat er einst gesagt. Die Sportart, die ihn bekannt gemacht hat. Ihn, den Charakterkopf.