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Insel mit sechs Saiten – Gitarren bauen auf Formentera

Insel mit sechs Saiten – Gitarren bauen auf Formentera

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Foto: WAZ
Ekkehard Hoffmann hat auf der kleinen einstigen Hippie-Insel Formentera eine Gitarrenbauschule: Unter Touristen, die sich hier ihre eigenen Instrumente bauen, gilt „Formentera Guitars“ als Verheißung der vier- bis sechsseitgen Glückseligkeit.

Formentera. 

Der Mann mit dem Backenbart heult wie eine Sirene. Wild gestikuliert er, während er sein „Wuuhähuu“ quer über den Strand posaunt. So oder so ähnlich soll das Musikinstrument klingen, das der junge Spanier unbedingt haben will – und Ekki soll es ihm bauen. Ekki ist studierter Elektroingenieur, Bassist und Instrumentenbauer. Ja, vielleicht macht er ihm sein Instrument, sagt er auf spanisch; wenn er Zeit hat.

„Soll wohl so ein Elektroteil für sphärische Klänge werden“, erklärt Ekki, während wir weiter durch die Dünen wandern. Mit bürgerlichem Namen heißt er Ekkehard Hoffmann. Doch Ekkehard gehört zu den Vornamen, die wohl zwangsläufig irgendwann in einen Spitznamen münden. Und so richtig bürgerlich sieht der 61-Jährige mit seiner weißen Mähne, dem lässig drapierten Schal und der Lederjacke sowieso nicht aus. Genauso wenig wie sein ständiger Begleiter, der Artist ist: Kiko macht einen Handstand, wenn er pinkelt. „Von mir hat er das nicht“, sagt Ekki trocken und streichelt Kiko, den kleinen braunen Hund.

1991 hat Ekki seiner alten Heimat Darmstadt den Rücken gekehrt, um hier auf Formentera zu leben und zu arbeiten: In seiner Werkstatt „Formentera Guitars“ kreiert und restauriert er Musikinstrumente und gibt Gitarrenbaukurse für Touristen.

Unaufgeregt und ursprünglich

Vor allem unter deutschen, spanischen und Schweizer Musikern gilt Ekkis Kurs als Verheißung der vier- bis sechssaitigen Glückseligkeit. Denn es ist nicht das selbst gebaute Saiteninstrument allein, das sie nach drei Wochen mit nach Hause nehmen – es ist auch das spezielle „Formentera-Feeling“, wie Ekki sagt.

Die kleinste Baleareninsel ist so ganz anders als die großen Schwestern im Norden: Hier gibt es keine großen Hotels und Shopping-Malls, nur eine einzige Beton-Bausünde hat es in den 70ern an den Strand geschafft. Und die Sangria-Eimer-Touristen bleiben lieber auf Malle oder Ibiza.

Denn nach Formentera geht kein Flieger – nur mit einer schaukelnden Fähre kommt man hierher. „Hier gibt’s im Grunde nur eine Disco – und die ist ein Witz“, sagt Ekki. Genau das liebe er an Formentera, das Unaufgeregte und Ursprüngliche.

Noch immer weht ein alternativer Wind über die Insel, die sich in den 60er Jahren zum Nirwana der Hippies und Aussteiger entwickelt hat. Tausende Deutsche, Franzosen, Italiener und Spanier vom Festland sind seitdem hierher gezogen – die echten Einheimischen sind eine Minderheit.

Feiern im Loch ist verboten

Einer von ihnen ist Paco, dem wir unterwegs zufällig begegnen. Der pensionierte Musiklehrer erinnert sich noch gut daran, wie es war, bevor die Hippies kamen. „Straßen gab’s hier damals nicht. Wozu auch, es gab ja keine Autos“, erzählt er. Inzwischen führen zwei Asphaltbänder quer und längs über die Insel: Von Norden nach Süden, und von Westen nach Osten. Klar, dass mich die Frau von der Autovermietung ausgelacht hat, als ich sie um ein Navigationsgerät gebeten habe: „Sowas gibt’s hier nicht. Fahren Sie einfach geradeaus.“

Ekki und ich machen uns auf den Weg zur Südspitze. Er will mir zeigen, wo sie früher, Anfang der 90er, immer gefeiert haben. Und plötzlich sind wir am Ende der Welt. Drüben am Leuchtturm sitzen zwei Gestalten in bunten Gewändern und trommeln auf ihren Bongos; ansonsten sind um uns herum nur Fels, Sonne und Wind, über uns der atemberaubend weite Himmel. Und vor uns ist ein schwarzes Loch.

Irgendwer hat aus alten Brettern etwas zusammengezimmert, das an eine Leiter erinnert, und es in den Schlund gestellt, der ins Inselinnere führt. Bevor ich fragen kann, ob wir da wirklich einfach so runterklettern können, ist Ekki schon halb im Nichts verschwunden. Also taste ich mich hinterher – und lande in einem Saal aus Stein. Von draußen flutet Sonnenlicht durch eine breite Felsspalte, die wie ein natürliches Panoramafenster den Blick auf das tiefblaue Meer freigibt, das fast 100 Meter unter uns gegen die Steilküste des Cap de Barbaria donnert. „Hier gab’s früher Live-Konzerte mit allem drum und dran“, erzählt Ekki. Doch das sei jetzt verboten – „zu gefährlich“, sagt er und verdreht die Augen.

Schlanke Straßenlaternen nerven

Er ist nicht mit allem einverstanden, was die Inselverwaltung unternimmt, um Formentera sicherer, glatter – touristischer zu machen. Besonders regen ihn die schlanken Straßenlaternen auf, die jetzt überall an den neuen Kreisverkehren wachsen. „Die braucht doch keiner!“ Aber als Inselbewohner könne man auch Einfluss nehmen, sagt Ekki, der hier kommunales Wahlrecht hat. „Die Politiker triffst du abends in der Kneipe, das sind nicht irgendwelche fernen Gestalten wie in Deutschland.“

Wir verlassen das Kap, fahren vorbei an Olivenhainen, blau-weißen Häuschen und den uralten, mörtellosen Mauern, die die kleinen Äcker schützen. Als wir an der Werkstatt in Sant Ferran ankommen, ist es Nachmittag. Ekki hat Zeit, der letzte Kurs ist gerade vorbei, der nächste beginnt erst in ein paar Monaten.

Tieftraurige Ballade

Zwischen 30 und 50 Teilnehmer melden sich pro Jahr an, mehr Männer als Frauen. „Dabei arbeiten Frauen genauer. Männer denken immer, sie könnten schon alles“, sagt Ekki und schließt die Tür zur Werkstatt auf. In der geräumigen Halle ist es kühl, es riecht nach Holz, an den Wänden hängen Gitarren und Bässe. Und Ekki macht erst einmal Musik an. „Das habe ich mit einer Freundin aufgenommen – sie singt, ich spiele Bass“, erklärt er.

Aus den Boxen strömt eine tieftraurige Version von Stings „Moon Over Bourbon Street“. Die Ballade, die so gar nicht zum Sonnenschein da draußen passt, wirkt wie der Soundtrack zu dem, was dann passiert. Ekkis Nachbar kommt auf Krücken herein und bringt eine alte Mandoline, die er sich geliehen hatte. Als Wandschmuck hing sie in seiner Kneipe nebenan, die er so viele Jahre geführt hat. Jetzt schließt er sie. Weil er die Arbeit nicht mehr schafft, sagt er. Und Ekki wird melancholisch: „Ja, es verändert sich einiges auf Formentera.“