Veröffentlicht inRegion

Wie Frauen nach den Übergriffen in Köln Schutz suchen

Wie Frauen nach den Übergriffen in Köln Schutz suchen

2016_01_04_WIT Spielzeugpistole_3JT1911.jpg
Spielzeugpistole: in Witten beantragen immer mehr Menschen den "kleinen Waffenschein". Die realitätsnahe Spielzeugpistole im Bild (Bahnhofstraße in Witten am 04.01.2016) kann man in Witten frei kaufen, obwohl sie vom Laien für echt gehalten werden kann. Foto: Jürgen Theobald / Funke Foto Services
Die Vorfälle in Köln hinterlassen Spuren, auch im Ruhrgebiet. Viele Menschen möchten sich verteidigen können – und suchen Rat im Waffengeschäft.

Essen. 

Seit Tagen sind die sexuellen Übergriffe aus der Silvesternacht in Köln bestimmendes Thema in der öffentlichen Debatte. „Das führt zu Verunsicherung, die wir auch bei unseren Kunden wahrnehmen“, berichtet Christoph Küttner, Mitinhaber des Essener Waffengeschäfts „Waffen Isenberg“.

Einzelne Waffengeschäfte in der Region berichten von steigenden Absatzzahlen, besonders Pfeffersprays in sämtlichen Variationen sind beliebt. „Frauen müssen allerdings nicht gleich in den nächsten Waffenladen rennen, um sich vor möglichen Übergriffe zu schützen“, sagt Küttner. Ganz abseits von dem Andrang auf Waffen rät er Frauen (zusätzlich), einen Selbstverteidigungskurs zu besuchen, in denen sie lernen sich selbst zu behaupten und mehr Selbstbewusstsein auszustrahlen.

Jeder hat das Recht auf Selbstverteidigung

Prinzipiell gilt: Jeder hat das Recht auf Selbstverteidigung, das ist mit dem „Notwehrparagraph“ im Strafgesetzbuch geregelt. Der besagt: „Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.“ Notwehr wird dabei definiert als „die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren“. Was als rechtwidriger Angriff gilt, ist kontextabhängig und bleibt Auslegungssache. Eine verbale Auseinandersetzung fällt nicht darunter; die bisher bekannten Ereignisse aus der Kölner Silvesternacht hätten eine Selbstverteidigung der Frauen gerechtfertigt.

Allerdings warnt die Polizei davor, vorschnell zu „Schutzwaffen“ zu greifen: „Waffen – egal welcher Art – sind niemals friedliche Mittel, sondern immer Ausdruck von Gewalt, Drohung und Angst“, erklärt Marco Ueberbach, Sprecher der Polizei Essen. Waffen können demnach auch zur Eskalation einer Situation beitragen. Trotzdem fühlen sich manche sicherer, wenn sie für Notfälle ein Pfefferspray in der Jackentasche haben. Die Vorfälle in Köln oder die Pariser Attentate im November sorgen zunehmend für Verunsicherung. „Dabei gilt Deutschland als eines der sichersten Länder der Welt. Das subjektive Sicherheitsempfinden der Menschen ist einfach verzerrt durch die Dauerberichterstattung der Medien durch Facebook und Co.“, sagt Christoph Küttner.

Legale Mittel zur Selbstverteidigung: Pfefferspray und Taschenalarm 

Im Winter sei die Nachfrage nach Pfefferspray traditionell höher, zehn bis 20 Prozent mehr Umsatz seien in der dunklen Jahreszeit nichts Außergewöhnliches, berichtet Küttner. Dass ihm allerdings die Pfeffersprays ausgehen – wie kurz vor Silvester – kommt nicht häufig vor. Deswegen hat er jetzt sein Sortiment aufgestockt, sogar verdoppelt. Statt vier bietet er nun acht verschiedene Modelle in unterschiedlichen Größen und Konzentrationen an. Neu ist zum Beispiel ein Pfefferspray mit UV-Farbstoff, das den Angreifer schneller identifizieren soll.

„Frauen, die in unser Geschäft kommen und sich selbst schützen wollen, rate ich grundsätzlich zu einem Pfefferspray“, sagt Küttner. Das sei einfach zu bedienen – genau wie Deo, Parfum oder Haarspray – und sehr effektiv. Wenn das konzentrierte Reizgas mit einem Wert von zwei Millionen Scoville in die Schleimhäute gelangt, ist der Angreifer sofort außer Gefecht gesetzt. Zum Vergleich: handelsüblicher Tabasco hat einen Wert von 50.000 Scoville.

Angreifer mit 120 Dezibel in die Flucht schlagen

Auch ein Taschenalarm kann lebensrettend sein. „Deswegen empfehle ich zum Selbstschutz auch gerne unseren ‚Rocky'“, meint Christoph Küttner. „Rocky“ alarmiert, schreckt ab und schützt. Er sieht aus wie eine kleine, harmlose Snoopy-Spielzeugfigur, die man sich an den Schlüsselbund oder die Tasche hängen kann. Im Notfall zieht man ein Mal kräftig an „Rocky“, so dass sich der Sicherungsstift am Kopf der Figur löst. Dadurch aktiviert sich der Alarm mit einer Lautstärke von 120 Dezibel; ein startender Düsenjet kommt auf etwa 125 Dezibel. „Rocky“ gibt es auch als unauffälligere Variante in Form eines schwarzen, rechteckigen Schlüsselanhängers. Die ist zurzeit allerdings ausverkauft.

Pfefferspray und Taschenalarm, viel mehr Möglichkeiten gibt es nicht im Bereich der legalen Selbstverteidigungsmittel. „Zum Glück!“, sagt Küttner. Denn in Notwehrsituationen muss das Opfer auch immer verhältnismäßig handeln – sonst wird es vor Gericht schnell selbst zum Täter. Seinen Angreifer mit einem Elektroschocker oder womöglich mit einer Schreckschusspistole in die Knie zu zwingen, fällt nicht mehr unter Notwehr, sondern unter Selbstjustiz. „Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit – auch der Täter“, zitiert Küttner das Gesetz.

Das Interesse an Waffen ist gestiegen

Und dennoch scheint das Interesse an Waffen in mehreren Revierstädten gestiegen zu sein. Witten, Herne, Bottrop und Recklinghausen berichten davon, wie die Zahl der Anträge für den „kleinen Waffenschein“ zugenommen hat. Personen über 18 Jahren ist damit erlaubt, eine Schreckschusswaffe außerhalb der eigenen vier Wände verdeckt bei sich zu führen; bei öffentlichen Veranstaltungen ist das Führen einer solchen Waffe allerdings generell verboten.

Der Verkauf von Schreckschusspistolen hat innerhalb von einem Jahr in einem Waffengeschäft in Recklinghausen sogar um 350 Prozent zugenommen. „Die Menschen haben das Gefühl, dass sich mit den Ereignissen aus der vergangenen Zeit die Sicherheitslage rasant verschlechtert hätte, was aber nicht unbedingt der Fall ist“, meint Küttner.