Schon lange wird damit argumentiert, dass kaum jemand durchs Kiffen ums Leben komme. Doch Ermittlern und Experten fürchten, dass sich das bald ändern könnte. Der Grund: synthetische Cannabinoide.
Montagmorgen Anfang März, Saal 130 im Landgericht in Dortmund (NRW) Staatsanwalt Ulrich Schepers hat Manuel M. (41), Daniel G. (43) und Nicole H. (39) wegen Drogenhandel angeklagt. Sie sollen über mehrere Jahre synthetische Cannabinoide und sogenannte „Liquids“ hergestellt und im großen Stil verkauft haben. Liquide sind die Flüssigkeiten für E-Zigaretten. Und diese gibt es auch mit Drogen versehen.
NRW: Drogenbande verkaufte synthetisches Cannabis
Die beiden ungelernten Männer und die ehemalige Elektronik-Verkäuferin sollen dazu ein Haus in Castrop-Rauxel (NRW) als Drogenküche genutzt haben, so der Staatsanwalt. Als Spezialkräfte der Polizei das Gebäude im September 2020 stürmen, stoßen sie auf ein Growzelt mit 13 Cannabispflanzen, fast 2000 in Tütchen abgepackte synthetische Cannabinoide sowie ausreichend Briefmarken und Versandumschläge.
Abgesichert hatte die Bande ihren Drogenhandel offenbar mit einer Vielzahl an Waffen: direkt am Eingang entdecken die Spezialkräfte zwei Baseballschläger, auch ein Samuraischwert, eine Machete, eine Armbrust und eine Druckluftpistole wurden sichergestellt.
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Kräutermischungen herstellen: „Dafür gibt es keine Ausbildung“
Vor Gericht zeigte sich das Trio geständig. Daniel G., seit Jahren drogenabhängig, packte aus: „Ein Kumpel hatte zwei Online-Shops auf die Beine gestellt und belieferte uns mit den Grundstoffen.“ Das Trio sei für die Herstellung und den Online-Versand verantwortlich gewesen. „Ich war eher für die Kräutermischungen zuständig, Manuel für die Liquids“, erklärt G. Wie man so etwas erlerne, will der Vorsitzende Richter wissen: „Dafür gibt es keine Ausbildung. Aber es ist nicht sonderlich kompliziert.“
Mann in Kiel kifft, dann hat er Todesängste
Ortswechsel: Kiel. Ein Mann konsumiert Cannabis. Alles scheint wie immer. Doch nach dem Konsum schafft er es gerade noch in seine Wohnung. Dort bricht er zusammen und liegt eine längere Zeit regungslos auf dem Boden. Er habe das Gefühl gehabt, dass sein Herz stehen bleibe, schildert er später den ermittelnden Polizisten. Er sei wie stumm gewesen und habe seine Zunge nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Er spricht von „Todesängsten“, die er durchlebte.
Die Ermittler senden das konsumierte Cannabis ins Labor. Die kriminal technische Untersuchung ergibt, dass das konsumierte Cannabis mit sogenannten „Neuen Psychoaktiven Substanzen“ (NPS) versetzt war.
Suchtexperte: „Endverbraucher wird so zum Versuchskaninchen“
„Die Konsumierenden gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesen Fällen davon aus, dass sie herkömmliches Cannabis konsumieren und nicht hochpotente, chemische Stoffe“, erklärt Polizeisprecherin Maike Saggau. „Der Endverbraucher wird so zum Versuchskaninchen“, warnt auch Frank Langer von der Suchthilfe Essen.
Besonders perfide: Konsumenten können den behandelten Hanf nicht erkennen – nur im Labor lässt sich bestimmen, ob es sich dabei um behandelte Blüten handelt.
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Mehr zum Thema bietet die digitale Leserreise „Sucht hat immer eine Geschichte“ mit bekannten Autoren:
- 1. April, 19.30 Uhr: Timm Kruse mit „Weder geschüttelt noch gerührt. Mein Jahr ohne Alkohol“
- 8. April, 19.30 Uhr: Amon Barth mit „Mein Leben als Kiffer“
- Alle Infos unter: www.suchthilfe-direkt.de oder www.suchtgeschichte.nrw.de
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Synthetische Cannabinoide 100 Mal so stark
Anfang März schlägt das Landeskriminalamt in Rheinland-Pfalz Alarm. In Koblenz habe die gefährlichen Kräutermischungen für mehrere medizinische Notfälle gesorgt. „Auch für Todesfälle in der jüngsten Zeit könnten diese Substanzen verantwortlich sein“, heißt es vom LKA.
Die Potenz synthetischer Cannabinoide ist nicht selten 100 Mal so hoch wie beim herkömmlichen THC. Die synthetisch hergestellten Cannabinoide seien weitgehend Stoffe, die weder am Tier noch am Mensch getestet wurden. Entsprechend unbekannt ist das Risikopotential.
Organisierte Tätergruppen würden mitunter synthetische Cannabinoide auf legale oder minderwertige Hanfprodukte wie Cannabisblüten auftragen und es anschließend als normales Gras verkaufen, erklärt ein erfahrener Ermittler des Zollfahndungsamtes Essen. Die synthetische Cannabinoide könne eine „krasse Wirkung“ entfalten, warnt er. Auch das Suchtpotenzial sei ungleich höher.
Ein Drittel von untersuchtem Cannabis synthetisch
Seit 2016 stellt das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) synthetische Cannabinoide unter Strafe. Das Bundesministerium für Gesundheit fördert seither die Seite www.legal-high-inhaltsstoffe.de. Dort wird unter anderem angeboten, bei Verdacht synthetische Cannabinoide zu einer Laboranalyse einzureichen. Das Ergebnis der letzten Monate: bei mehr als einem Drittel bestätigte sich der Verdacht. Es war chemisches Gras.