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Krefeld: Historischer Fund – „Zeitkapsel“ nach 78 Jahren aufgetaucht

In einem Krefelder Haus ist ein Mann durch Zufall auf einen historischen Brief von 1946 gestoßen. Der Inhalt rührt zu Tränen.

© Alexander Keßel / DER WESTEN

So sah Duisburg vor 1945 aus

„Wenn nach vielen Jahren einer dieses Blatt findet, so mag es ihm Kunde geben, von der bewegten Zeit, wo das alte Haus zerstört und das neue Haus erbaut wurde.“

Mit diesen Worten leitet die damals 32-jährige Marie Agnes Rolfes (geborene Ramrath) im Jahr 1946 einen Brief ein, der im Jahre 2024 in einem Haus in Krefeld gefunden werden sollte – in einer Zeitkapsel, die die Verfasserin eigens in einem Versteck deponiert hatte. Durch welchen Zufall der Brief ans Tageslicht kam und was sich noch in der Zeitkapsel befand, kannst du hier nachlesen >>>

In ihren Zeilen widmet sich Marie Agnes Rolfes ihrer Familiengeschichte, der Schreckensherrschaft Adolf Hitlers, der Flucht vor dem Bombenhagel in Krefeld und dem Wiederaufbau des Ramrath-Hauses. Der Inhalt des Briefes hält uns dieser Tage den Spiegel vor.

„Ich denke, sein Name wird einem Napoleon als Diktator und einem Robespierre an Gewalttat gleich in die Geschichte eingehen. Vielleicht kann der Leser dieses schon bestätigen.“

Marie Agnes Rolfes über Adolf Hitler

Krefeld: „Lebt ihr noch?“

Als die Engländer Krefeld am 22. Juni 1943 bombardierten und große Teile der Stadt „in ein einziges Flammenmeer“ verwandelten, sollte die Familie Ramrath ihr Haus noch erhalten. Doch der Krieg tobte immer weiter, die Front bewegte sich immer weiter von Osten nach Westen. Am 14. Oktober 1944 passierte es. Tiefflieger dröhnten am Himmel, feuerten auf die Stadt.

„Doch trotz Alarm fanden wir uns nach dem Abendbrot mit einer Flasche Wein zu einem gemütlichen Abend zusammen. Es sollte die letzte sein.“ Als die Familie einen Großangriff über Duisburg vernahm, verschanzte man sich im Keller. „Wie von unsichtbarer Hand geleitet, setzten wir uns an die hintere Hauptmauer des Kellers. Für mich der Platz, den ich in den vergangenen Jahren noch keine 20 Mal benutzte. Aber wäre es anders gewesen, es hätte mir sicher den Tod gebracht. Denn Maschinenköpfe, die dort lagen, waren alle zerschlagen. So wie wir saßen, hörten wir das Sausen der Bomben, empfanden von dem Luftdruck 3 Mal einen Schlag auf den Kopf.“ Das Licht erlosch, „dann nur noch heruntergestürztes Gestein, Staub, Erstickungsgefahr. Bewusstlosigkeit“, schildert die Krefelderin die Bombardierung ihres Hauses.

Seite 1 des versteckten Briefes von 1946. Foto: privat

„Lebt ihr noch?“, hallten die Stimmen der Nachbarn durch die Trümmer. Wie durch ein Wunder lautete die Antwort darauf „ja“. Man kroch durch die freigeschaufelten Durchbrüche nach draußen. Sofort wurde klar: Das gesamte Haus war komplett zerstört. „In einer Sekunde der Fleiß und Aufbauwille eines Lebens.“ Der Familie blieb nichts als die Flucht in ein kleines Dorf im Sauerland. Monate später war der Krieg endlich vorbei.

Und der, welcher alles bis zum letzten zerstören ließ, richtete sich selbst. Ein lächerlich Großer trat von der Lebensbühne ab und ließ hinter sich das Chaos.“

Marie Agnes Rolfes über den Selbstmord Adolf Hitlers
Die zweite Seite des Briefes. Foto: privat

„Die Bäume werden wieder blühen“

Nach dem Ende des Krieges kehrte man auf beschwerlichem Wege wieder zurück nach Krefeld: „Noch keine Bahn fuhr, und so ging es mit dem rumpelnden Lkw der Heimat entgegen.“

„Wir müssen wöchentlich mit 100 Gramm Fleisch, 4 Pfund Kartoffeln, 50 Gramm Butter und zweieinhalb Pfund Brot auskommen. 1 Pfund Butter kostet normal 1,80 Mark. Jetzt ist es nur auf Umwegen zu bekommen und kostet im sogenannten Schwarzhandel 140 Mark.“

Marie Agnes Rolfes über die Nachkriegszeit

Trotz der Knappheit an Lebensmitteln und Baumaterialien sollte die Familie es 1946 als eine der ersten schaffen, das Ramrath-Haus am Westwall 54 neu zu errichten. „Der Herr hat es genommen und wiedergegeben, der Name des Herrn sei gebenedeit“, zeigte sich die gläubige Krefelderin dankbar für das geschenkte zweite Leben.

Der Abschluss der Krefelder Zeitkapsel. Foto: privat

Am Ende richtete sich die Verfasserin direkt an den Entdecker der Zeilen in der Zukunft: „Du aber Leser, der dieses Pergament vielleicht auffandest, in welchem Jahre? Die Bäume werden wieder blühen, die Vögel wieder singen. Die Menschen werden ihr Lachen haben und ihre Tränen. Versunken wird unser pulsendes Lebens sein, mit seinem großen Kampf, als nur ein kleiner Tropfen im Meer der Ewigkeit.“

Das wiedererrichtete Ramrath-Haus im Jahr 1998. Foto: Axel Brunner

Es sind Worte, die Mut machen. Eine Botschaft der Hoffnung, die Jahrzehnte überdauerte und am Ende im Jahr 2024 wiederentdeckt wurde. In einer Zeit, in der die Welt durch Krisen und Kriege aus den Fugen geraten zu sein scheint. Für die Entdecker des Briefes ein Wink dazu, sich an Werte des Miteinanders zu erinnern – und das hohe Gut von Demokratie und Freiheit wertzuschätzen.