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Ist Deniz Yücel wirklich ein Volksverhetzer und Deutschenhasser?

Ist Deniz Yücel wirklich ein Volksverhetzer und Deutschenhasser?

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ARCHIV - HANDOUT - Die undatierte Aufnahme zeigt den deutschen Journalisten Deniz Yücel, Türkei-Korrespondent der „Welt“, in Istanbul. (zu dpa "Auswärtiges Amt bestätigt Freilassung von Deniz Yücel" vom 16.02.2018) Foto: Privat/Deniz Yücel/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Privat/Deniz Yücel/dpa

Essen. 

Deniz Yücel ist frei. Eine gute Nachricht: Ein Jahr lang saß der Journalist in einem türkischen Gefängnis. Unschuldig. Inzwischen ist der Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ wieder in Deutschland.

Es gibt Menschen, die finden das gar nicht gut. In den sozialen Netzwerken geistern jetzt wieder die Memes und Visuals durch die Timelines und Kommentarspalten.

Yücel? Der soll mal lieber im Gefängnis verrotten

Yücel sei ein Volksverhetzer, liest man. Der hätte mal lieber im Gefängnis verrotten sollen – ja das wünschen manche Zeitgenossen allen Ernstes einem offenkundig zu Unrecht inhaftierten Journalisten.

Wie kommt es dazu?

„Der Deutschland-Hasser im Türken-Knast“

Schon kurz nach der Verhaftung Yücels in der Türkei berichteten rechtslastige Medien voller Häme. „Der Deutschland-Hasser im Türken-Knast“ schrieb etwa das „Contra-Magazin“, sei schon „ein Geschichtchen“.

Dass der Journalist Deutschland hasst, machen die, die jetzt ihre virtuellen Mistgabeln auspacken, an diesem Zitat fest: „Der baldige Abgang der Deutschen ist Völkersterben von seiner schönsten Seite. Mit den Deutschen gehen nur Dinge verloren, die keiner vermissen wird.“

Immer wieder wird dieses eine Zitat wie ein Mantra wiederholt. Von manchen bewusst, als Mittel für zweifelhafte politische Ziele. Von anderen aus Unwissenheit – wie das in den sozialen Medien halt bisweilen so passiert: Erst mal teilen, und sich dann erst mit dem Thema auseinandersetzen. Oder auch lieber gar nicht.

Es fehlt: der Kontext

Das Zitat stammt in der Tat von Deniz Yücel. Was bei all den Memes und Bildchen fehlt, ist der Kontext. Und den sollte man kennen, bevor man sich eine Meinung zu dem Thema bildet.

Yücel hat den Satz 2011 geschrieben. In einer Kolumne für die „Taz“. Es geht dabei um Klischees von vermeintlich oder nicht vermeintlich schlechten deutschen Eigenschaften – die Klassiker: das ewige Meckern, die harte Sprache, die bar jeder Erotik ist und so weiter.

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Dieser Text ist so offenkundig ironisch-satirisch, dass es jeder Leser sofort erkennen muss: Ein Text, der „totalen Krieg“ semantisch mit „Vollkornbrot“ verquickt, wie soll der todernst gemeint sein?

Reaktion auf Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“

Was man wissen muss: Yücel reagiert mit dieser Satire auf das Buch „Deutschland schafft sich ab“, das damals für hitzige Diskussionen in Deutschland gesorgt hat. Autor Thilo Sarrazin will seine Thesen in dem Buch unter anderem anhand von Geburtenstatistiken belegen: Etwa, dass Inzest bei „türkischen Clans“ eine lange Tradition habe, was zu den vielen Behinderungen innerhalb der Migrantenfamilien führe.

Yücel greift eben diese Idee mit den Geburtenstatistiken auf und bastelt daraus seine Kolumne. Die ist in der Tat provokativ, ja bisweilen grenzwertig und polemisch. Er ist aber eben eine Satire, die bewusst polarisiert – und kein Beleg dafür, dass der Mann ein Deutschenhasser ist. Und sicher nur schlecht geeignet, ihm eine lange Haft in einem türkischen Gefängnis zu wünschen.

Klar, man kann den Text immer noch scheiße finden und Deniz Yücel doof: Aber man muss bitte bitte bitte fünf Minuten Zeit investieren, um den Kontext kennenzulernen. Und dann die digitale Mistgabel wieder ganz langsam in den digitalen Misthaufen zurückstecken, wo sie hingehört.