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Fall Anna – Jugendamtsmitarbeiterin glaubte Pflegemutter

Fall Anna – Jugendamtsmitarbeiterin glaubte Pflegemutter

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Foto: Volker Lannert
Zweiter Tag im Verfahren gegen die für das getötete Pflegekind zuständige Sozialpädagogin. Petra W. war der Fachfrau vom Jugendamt nicht sympathisch. Aber sie galt als kompetent. Und auch Annas leibliche Mutter war mit der Lösung einverstanden.

Bonn. 

In der zweiten Augustwoche 2010 – Anna ist da 14 Tage tot – bekommt Susanne G. eine SMS von einer Kollegin: „…auch Sie können den Menschen nur vor den Kopf schauen“. Doch trösten kann sie das nicht. Die Sozialpädagogin aus Königswinter macht sich bitterste Vorwürfe, ist suizidgefährdet. Sie soll in eine Klinik eingewiesen werden, schließlich schaffen es Ärzte, sie mit Hilfe von Tabletten zu stabilisieren. Bis zum Sommer 2012 bleibt Susanne G. in therapeutischer Behandlung.

Jetzt ist der zweite Tag des Prozesses vor dem Bonner Landgericht wegen Körperverletzung im Amt gegen die Jugendamtsmitarbeiterin. Sie war zuständig für die Betreuung jener Pflegefamilie, in der die achtjährige Anna von der Pflegemutter in der Badewanne ertränkt wurde.

Es ist der Tag, an dem Susanne G. aussagt – besser: aussagen lässt. Über eine Stunde liest ihre Rechtsanwältin vor, was sich aus Sicht der 46-jährigen Angeklagten in den zwei Jahren, in denen Anna bei der Familie W. lebte, ereignete.

Hätte Susanne G. Anna retten können?

Über allem steht die Frage, ob Susanne G. etwas versäumt hat, was die fatale Entwicklung hätte aufhalten, Anna retten können. Hätte sie die Signale des Kindes anders deuten müssen? Hätte sie mehr auf den Bauch und weniger auf ihren Kopf hören müssen?

Das jedoch ist unprofessionell, und Susanne G. ist eine hochprofessionelle Fachfrau. Sie stammt aus Süddeutschland, hat für den Job den Wohnort gewechselt, sich weitergebildet: Heilpraktikerin, Coach, Therapeutin. Sie hat im SOS-Kinderdorf gearbeitet, in Neukirchen-Vluyn ein Heim geleitet, ist spezialisiert auf Essstörungen und den Umgang mit Missbrauchsopfern.

Gemeinsame Lösung finden

Im Jugendamt Königswinter übernimmt sie den Pflegekinderdienst und Anna gehört zu ihren schwierigen Fällen. Die Mutter des kleinen Mädchens, eine Altenpflegerin, trinkt, und ist bei aller Zuneigung für Anna ein unsicherer Faktor. Gleichwohl, weiß Susanne G., gehört sie mit ins Boot, um eine gemeinsame Lösung für Anna zu finden, die später zu ihr zurückzukehren soll.

Die leibliche Mutter und die als erfahren geltende Pflegemutter Petra W. kennen sich oberflächlich. Annas Mutter setzt sich vehement für die Aufnahme Annas bei den W.s ein, eine andere Lösung will sie nicht. Der Sozialarbeiterin ist die herrische Petra W. eher „unsympathisch“. Doch Sympathie oder Antipathie hätten in ihrem Beruf nichts zu suchen. Und der Rest habe gestimmt, so schien es jedenfalls.

In den folgenden Monaten nehmen Anna, Petra W. und die leibliche Mutter Susanne G. so in Anspruch, dass sie einen Betreuer der Diakonie mit in den Fall nimmt. Susanne G. arbeitet nur in Teilzeit beim Jugendamt, ist nebenberuflich in der Weiterbildung tätig.

Frühkindliches Trauma festgestellt

Trotzdem hält der Fall Anna Susanne G. auf Trab, es gibt viele Gesprächsrunden mit vielen Beteiligten, fachliche, vermittelnde, begleitende. Die Pflegemutter scheint kooperativ – beklagt, dass Anna sich selbst verletze, nicht essen wolle, sich vor Wasser fürchte. Susanne G., ganz Profi, glaubt Petra W. und einer Psychologin, die bei Anna ein „frühkindliches Trauma“ feststellt.

Sie lässt sich täuschen, weil Anna anfängt zu weinen und sich eng an Petra W. klammert, wenn die Rede von ihrer leiblichen Mutter ist. Und schließlich findet die Sozialarbeiterin selbst, dass es das Beste sei, den Kontakt zwischen Anna und ihrer Mutter zu unterbinden.

Erst im Mordprozess habe Susanne G. erfahren, dass Petra W. Anna ihrer Mutter bewusst entzogen hat. Dass Anna mit Gewalt „gefügig gemacht wurde. Hätte sie das vorher gewusst, „wäre das Kind dort sofort herausgenommen worden“.