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Die zwei Welten von Bad Godesberg

Die zwei Welten von Bad Godesberg

Bad Godesberg. 

Die Blumen am Rondell Rheinallee Ecke Rüngsdorfer Straße in Bad Godesberg sind verwelkt, Hunderte Grablichter voll Wasser gelaufen. Die Unwetter der letzten Tage haben ganze Arbeit geleistet. Die Straßenreinigung biegt um die Ecke, klaubt Äste auf, doch die provisorische Gedenkstätte für den 17-jährigen Niklas, der nach einem Konzertbesuch in den Rheinauen vor drei Wochen durch eine sinnlose Prügelattacke jugendlicher Angreifer tödlich verletzt wurde, lassen sie unberührt. Immer noch bleiben Passanten stehen, lesen Texte von Schulklassen, Sportvereinen, den „iranischen Menschen von Bad Godesberg“. „Der Himmel hat jetzt einen Engel mehr“ lauten sie oder: „Nik, für immer in unseren Herzen“; aber auch „NoGodesberg, wie lange noch“ oder „Todesstrafe für die Mörder“. Der Tod des jungen Mannes, mutmaßlich durch eine Jugendgang, hat die Menschen tief erschüttert in dem Stadtteil. Erstaunt hat es sie nicht.

Dabei blieben die Godesberger bislang in ihrer Trauer besonnen. Rechte Demonstranten, die Niklas Tod politisch ausschlachten wollten, wurden ausgebuht. Auch die Mutter des Jungen verbat sich jedwede politische Meinungsäußerung bei der Trauerfeier.

Sprecher vieler Trauernder hier ist Dechant Dr. Wolfgang Picken. 1300 Teilnehmer, so viel wie noch nie, nahmen an der Fronleichnamsprozession vor einer Woche teil, die er am Tatort vorbeiführte. In seiner Predigt sagte er: „Wir müssen den Finger in der Wunde lassen. Der tragische Tod von Niklas hätte nicht passieren dürfen. Es hat an diesem Ort, an dem er starb, schon so viele Vorfälle gegeben, da hätte man reagieren müssen.“

Kurpark, Fußgängerzone, vor allem die Bahnhofsumgebung seien „unsichere Orte“, bestätigt die junge Frau, die jeden Tag mit dem Bus fährt, der gegenüber des Tatortes hält: „Spät abends, wenn keine Leute mehr unterwegs sind, geht man da nicht mehr alleine her!“

Dechant Picken, der die Opferfamilie betreut, hat öffentlich betont, dass er den Frieden in seiner Gemeinde bedroht sieht und Hilfe seitens der Landesregierung eingefordert: „Ob Schulministerium oder Innenministerium – die Politik kann hier doch nicht unbeteiligt bleiben.“ Überhaupt fühlen viele Menschen so, wie es die erfolgreiche bürgerliche Wählervereinigung „Die Godesberger“ auf ihrer Internetseite beschreibt: „Die Lebensqualität in Bad Godesberg hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert.“

Dabei war Bad Godesberg der Inbegriff des beschaulichen Kur- und Diplomatenstädtchens, Polizeipräsenz inklusive. Doch mit dem Regierungsumzug nach Berlin wandelte sich der Bonner Stadtbezirk in ein zumindest stellenweise problematisches Pflaster.

Fast die Hälfte der rund 72 000 Einwohner sind entweder Zuwanderer oder Bürger mit Migrationshintergrund. Das haben Stadtbezirke in Essen, Köln oder Duisburg auch. „Aber“, so Wolfgang Picken, „Wohl an keinem anderen Ort ist die Spanne zwischen Arm und Reich auf so wenigen Quadratmetern so fühlbar zu spüren!“

Vom Rondell aus die Rheinallee Richtung Rhein entlang läuft man mitten durch das immer noch prachtvolle Villenviertel mit seinem morbid-eleganten Charme, kommt an Stiftungen und Verbänden wie der „Deutschen Gesellschaft für Privatbesitz“ vorbei, passiert Privatschulen wie die katholische „Clara-Fey-Schule“ oder die Otto-Kühne-Schule, das berühmte „Päda“. Cabrios und Minis halten und spucken Schüler aus, die freundlich grüßen und ihre teuren Pullis und Schulrucksäcke mit der Lässigkeit junger Leute tragen, die sich keine Sorgen machen müssen.

Läuft man umgekehrt vom Tatort ein paar Meter durch die – einzige – Unterführung Richtung Innenstadt, beherrschen Döner-Imbisse und Spielhallen das Straßenbild. Die Cafes heißen Al Jasaf oder Casablanca, die Speisekarten sind auf arabisch.

Halal-Märkte und Shisha-Läden

Entlang der Bonner Straße wechseln sich Shisha-Läden und Internet-Cafes ab, Halal-Supermärkte bieten frisches Rind, tief verschleierte Frauen schieben Kinderwagen über die Straßen, und das letzte einheimische Lampengeschäft auf der Ecke hat gerade dicht gemacht. Jugendliche, teils Kinder noch, stehen herum, schubsen sich, albern.

Die arabischen Straßenzüge, Läden, Friseure, Cafes sind quasi als Nebeneffekt des Medizintourismus aus arabischen Ländern entstanden. Deren Bürger lassen sich im Bonner Klinikum behandeln, wohnen in Bad Godesberg und sorgen lediglich für überhöhte Mieten und ein verändertes Straßenbild.

Die Gewaltkriminalität von Jugendlichen aus deutschen wie Migrantenfamilien sorgt dagegen in Bad Godesberg seit Jahren für Schlagzeilen. 2009 veröffentlichte die Bonner Journalistin Ingrid Müller-Münch ihre Dokumentation über die „Zwei Welten“ von Bad Godesberg: Migrantenkinder gegen Bürgersöhne und -töchter. Und die Polizei kämpft seit Jahren gegen immer neue Straßengangs, die sich Bandana, Black-Jackets oder BadGo Mafia nennen und die im Internet im wüsten Ghetto-Slang Bad Godesberg als „schlimmer als Frankfurt“ rühmen.

Und auch wenn die Statistik 2015 einen leichten Rückgang der Gesamtkriminalität in Bad Godesberg verzeichnet, so ist es für Dechant Picken signifikant, dass „ausgerechnet am Ort der Nahtstelle zwischen Arm und Reich“, dem Rondell am Bahnhof, die Gewalt eskaliert. Allein drei Fälle brutaler Exzesse kennt Picken aus den letzten Monaten. Einem jungen Mann wurde ein Messer in den Hals gestochen, ein Jugendlicher erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma. Sie überlebten. Niklas nicht.