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Das Büdchen als Kulturgut

Das Büdchen als Kulturgut

Mit seinen weißen Kacheln und dem großen Dach versprüht die ehemalige Bushaltestelle am Dortmunder U-Turm den soliden Charme der Wiederaufbaujahre. Wenn sich nachmittags Kunden an dem Büdchen am Hohen Wall einfinden, erhalten sie dort ein spezielles Getränk: In dem aufwendig restaurierten Unterstand ist das Dortmunder Bergmann Bier (DBB) zu bekommen.

Dortmund (dapd-nrw). Mit seinen weißen Kacheln und dem großen Dach versprüht die ehemalige Bushaltestelle am Dortmunder U-Turm den soliden Charme der Wiederaufbaujahre. Wenn sich nachmittags Kunden an dem Büdchen am Hohen Wall einfinden, erhalten sie dort ein spezielles Getränk: In dem aufwendig restaurierten Unterstand ist das Dortmunder Bergmann Bier (DBB) zu bekommen – ein Getränk mit großer lokaler Tradition, das von 1796 bis 1972 in Dortmund gebraut wurde.

„Ab und zu kaufe ich ein Bier hier. Das schmeckt echt lecker“, sagt Kurt Wettengl und blickt mit einer gewissen Rührung auf den Kiosk. Der 58-Jährige hat eine doppelte Verbindung zu dem Büdchen. Er arbeitet als Direktor im Museum Ostwall und ist zugleich Gründungsmitglieder des ersten Kioskclubs Deutschlands.

Dortmund und das Ruhrgebiet gelten als Hochburg in Sachen Kioskkultur. „Das Thema ‚Kiosk‘ hat viele Facetten. Die Büdchen dienen der alltäglichen Grundversorgung mit allem, was die Bürger so brauchen. Zudem erfüllen sie eine soziale Dimension, sind sie doch der kommunikativer Treffpunkt für die Leute“, erklärt Wettengl. Überdies seien sie ein Beispiel dafür, wie der Einzelhandel vor Ort auf die Vorlieben im jeweiligen Quartier reagiere. „Da gibt es dann Kioske, die Handykarten anbieten oder Sekt verkaufen. Und im Frankfurter Westend steht ein Büdchen, in dem Banker ihre Hemden bügeln lassen können.

Projekt entstand während der Fußball-WM

Die Idee zur Gründung des Kioskclubs war bei Wettengl und seinen Mitstreitern 2006 während der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland gereift. „Wir wollten ein Projekt starten, bei dem auswärtigen Besuchern die Spezialitäten des Ruhrgebiets vermittelt werden“, erklärt er. Anlässlich einer Ausstellung wurde der Verein dann gegründet – mittlerweile hat er rund 35 Mitglieder. Der Verein will mit Vorträgen, Workshops und Führungen die Bedeutung der Kioske bei Architektur und Stadtentwicklung deutlich machen. Dabei arbeitet er eng mit wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen zusammen.

Zu der kulturellen Bedeutung des Kiosks im Wandel der Zeit machen sich an diesem Tag die Besucher des Bergmann-Kiosks wohl eher wenig Gedanken. Sie treffen sich nachmittags am Verkaufsstand und decken sich mit Bier ein. Christian Bochynek kommt mit seinem Rad aus dem Stadtteil Marten angeradelt. Er hat gerade drei Flaschen Schwarzbier erstanden, die er in seinen Gepäcktaschen verstaut. „Das Angebot hier ist so ungewöhnlich. Das muss man unterstützen“, sagt er.

Dass das Kiosk am Dortmunder U als Getränkehalle fungiert, entspricht nicht unbedingt dem Ursprungsgedanken der Kioskkultur. „Ursprünglich war das Kiosk im 19. Jahrhundert geschaffen worden, um die Leute weg vom Bier- und hin zum Wassertrinken zu bringen“, berichtet Wettengl. Der Begriff Kiosk komme aus dem Türkischen und verweise auf Pavillons, die in türkischen Gartenanlagen standen. In den Pavillons konnten die Besucher sich „wie aus der Zeit herausgenommen“ fühlen. Die Gäste konnten abschalten vom Alltagstrott.

Wobei der heutige Kioskbetrieb eine solche Idylle nicht ohne weiteres garantieren kann, setzt ihm doch die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten und der Ausbau von Tankstellen zu Verkaufsmärkten zu. „In den 70er Jahren gab es in Dortmund etwa 600 Kioske – jetzt sind es vermutlich nicht mehr als 350“, erklärt der Museumsdirektor. Die Vereinsarbeit hat damit auch einen bewahrenden Charakter.

Auch beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) beobachtet man die Probleme in der Büdchenszene. „Früher gab’s keine Tankstellen mit einem so breiten Angebot, auch die Läden waren noch nicht so lange geöffnet“, berichtet der Sprecher des Dehoga-Landesverbandes NRW, Thorsten Hellwig. Um langfristig zu überleben, müssten die Kioske ihre „soziale Funktion“ im Viertel kultivieren und auf eine Stammkundschaft setzen.

Brauerei als „überzeugter Kioskbetreiber“

Und es braucht engagierte Unterstützer wie Thomas Raphael. Der Mikrobiologe der Lebensmittelindustrie hat das Bergmann Bier als „Ruhrgebietsprojekt“ wiederbelebt – aus Tradition und als Erinnerung daran, dass Dortmund einmal die größte Bierstadt Europas gewesen war. Im Dortmunder Hafen wird das Bier nun gebraut, in dem Kiosk am U-Turm findet es seine Kunden. „Wir sind überzeugte Kioskbetreiber“, betont Raphael, der Geschäftsführer bei der Bergmann Brauerei ist.

Wobei Fachmann Wettengl davor warnt, die Tätigkeit der Kioskmitarbeiter zu romantisieren: „Das ist ein echt hartes Geschäft. Da verdienen die Leute echt wenig.“ Manche arbeiteten bis zu 16 Stunden pro Tag in ihren Läden. Dieses Arbeitsethos passt denn auch zum Motto, mit dem das Bergmann Bier für sich und seine Produkte wirbt: „Harte Arbeit, ehrlicher Lohn!“ Dieser soliden Einschätzung dürfte wohl auch die Mehrheit der Kioskbesucher im Ruhrgebiet zustimmen.

dapd

2013-01-07 13:19:26.0