Veröffentlicht inPolitik

Warum eine Cannabis-Freigabe in Deutschland kaum Chancen hat

Warum eine Cannabis-Freigabe in Deutschland kaum Chancen hat

Drogen Marihuana Olpe Prozess Verkauf Jugendliche.jpg
Marihuana Konsum Foto: dpa
Cannabis ist weltweit auf dem Weg raus aus der Schmuddelecke. Doch die Bundesregierung erteilt allen Freigabe-Wünschen eine Absage.

Essen/Berlin. 

Der Staat bleibt hart. Die schwarz-rote Bundesregierung lehnt jede Lockerung der Strafbestimmungen für Drogenmissbrauch ab, wie sie Linke und Grüne im Bundestag und viele Verbände fordern. Sie erteilt damit indirekt auch dem Votum von 122 Strafrechtsexperten eine Absage, die offizielle Drogenpolitik auf den Prüfstand zu stellen.

Unter Experten ist eine heftige Debatte über die Notwendigkeit der Strafbarkeit im Gang – angefeuert durch Vorgänge wie in der letzten Woche in Meerbusch. Dort hatte die Schülersprecherin einer Realschule vor dem Stadtrat mit der Feststellung Aufsehen erregt, schon Fünftklässler kifften regelmäßig.

„Der Schutz der Gesellschaft, vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, macht es unverzichtbar, den unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln unter Strafe zu stellen“, heißt es jetzt in der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Linkspartei. „Eine allgemeine Freigabe von Cannabis und anderen illegalen psychoaktiven Substanzen ist nicht der richtige Weg zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und des Einzelnen“. Die Haltung stärke auch den Rechtsstaat.

Heute gehandeltes Haschisch macht viel stärker abhängig

Ein Hintergrund für das Regierungs-Nein: Das heute gehandelte Haschisch macht viel stärker abhängig. Suchtmediziner des Landschaftsverbandes Westfalen (LWL) haben bestätigt, dass der Gehalt des zentralen Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) nicht mehr bei sieben Prozent wie auf dem Höhepunkt der Konsumwelle, in manchen Fällen sogar bis zu 50 Prozent wie bei der stärksten Cannabis-Ware Hace ausmacht. Folge für Süchtige: Schlaflosigkeit, Muskelzittern, aber auch Verfolgungswahn.

Die Bundesregierung warnt, beim Mischkonsum mit den so genannten künstlichen Drogen „Legal Highs“ könne es zudem zu schweren Vergiftungen „bis hin zu Todesfällen“ kommen. Sie kündigt an, auch künftig neu entwickelte Legal High-Produkte in die Verbotsliste des Betäubungsmittelgesetzes zu stellen.

Grüne und Linke hatten in einem der seltenen gemeinsamen Bundestags-Anträge festgestellt, selbst in den USA werde der „Krieg gegen die Drogen“ in Frage gestellt. Portugal habe mit einer Entkriminalisierung „vollen Erfolg“ gehabt, die Zahl der Drogentoten sinke. Sie drängen auf eine Kurskorrektur.

Mehr Erstkonsumenten in Bayern als in NRW 

Auch in Deutschland gehe der Drogenkonsum zurück, betont dagegen das Bundesgesundheitsministerium – als Ergebnis der Strafandrohung. Nach seinen Angaben haben 4,9 Prozent der Jugendlichen in den letzten zwölf Monaten eine illegale Droge eingenommen. Bei 4,6 Prozent war das Cannabis. Die Zahl der Erstkonsumenten harter Drogen pendelt in NRW seit zehn Jahren um 3000. Bayern weist mit 4000 bis 5000 erheblich mehr auf.

Handel oder Genuss von Mengen von 75 Gramm Marihuana oder Haschisch können schon zu Haftstrafen führen. Bei „nicht geringen“ Mengen droht Haft bis fünf Jahre.

Für junge Cannabis-Konsumenten gilt: Kiffen ist kein Bagatell-Delikt

Früher war Cannabis im Gerede, heute ist es in der Diskussion. Ganze (Bundes-)Staaten wie Colorado und Uruguay haben ihre Gesetze gelockert. In Dutzenden Ländern darf Cannabis mittlerweile Kranken verschrieben werden. Hanf hat eine Lobby, längst auch in Deutschland, und mancher Glücksritter wittert schon das große Zukunftsgeschäft mit „Gras“ im Drogerie-Regal.

Die Wirklichkeit sieht (noch) ganz anders aus: Wer hierzulande beim Konsum erwischt wird, der macht sich strafbar, spätestens beim zweiten Mal. Für junge Menschen unter 18 gibt es keine Bagatellgrenze für den Eigenbedarf. Wenn sie auffallen, folgen eine Anzeige, dann ein Verfahren oder eine „Erziehungsmaßnahme“.

Überall im Revier werden Nachwuchskiffer zu Kursen verpflichtet, die ihnen die staatliche Botschaft ins Gehirn pflanzen sollen: Vorsicht bei Cannabis.

Acht junge Männer hat das Kifferschicksal in einem kargen Raum der „Suchthilfe direkt“ in Essen zusammengeführt. Sie sind hier, weil sie etwas über Cannabis lernen müssen. Vier mal zwei Stunden zu Risiken, Nebenwirkungen und Hilfsangeboten. Der Lohn ist, dass sich die Staatsanwaltschaft nach dem Kurs nicht mehr mit ihnen beschäftigt. „Das“, sagt ein schmaler Typ mit Brille, „ist das Wichtigste.“

Sie wissen, was „knallt“ und wieviel es kostet

Mehrere in der Runde glänzen mit Expertenwissen. Sie wissen, wie man sich mit einem Filmdöschen und Tabak ganz fix ein provisorisches Pfeifchen bauen kann. Dass die „Bong“ (Wasserpfeife ohne Schlauch) besser „knallt“ als eine mit Schlauch. Oder wie viel Rabatt für „Baggys“ (Plastiktütchen) auf der Straße drin ist: „Zehn Euro pro Gramm, bei größeren Mengen sechs Euro fünfzig; ein Gramm gibt zwei bis drei Joints.“ Eigentlich ist der ganze Raum eine einzige Warnung. Tagsüber treffen sich hier Männer und Frauen mit Erfahrungen weit jenseits von Cannabis. „In der Methadonvergabe sind zwei Plätze frei“, wirbt ein Plakat. Ein Flyer nennt „Entgiftungsmöglichkeiten“ in Essen.

Axel (Name v. d. Red. geändert) ist 21 und blickt auf neun Jahre Cannabis-Konsum zurück, in Spitzenzeiten bis zu fünf Gramm täglich. Ein großer Junge mit Bart und Tattoo, ein entspannter Plauderer. Dass alle Welt über die Freigabe von Cannabis diskutiert, ist ihm und den anderen nicht entgangen. Im Gegenteil, es beflügelt ihre Phantasie. „Die Überwachung kostet den Staat viel Geld“, meint Axel. Und er fragt, ob es nicht besser wäre, der Bevölkerung legal den Zugang zu einwandfreiem „Gras“ zu bieten. „Wir haben nichts gegen teurere Ware. Hauptsache, die Qualität stimmt“, behauptet Axel.

Stephan Kopp von der Suchthilfe direkt Essen leitet diesen „FreD-Kurs“. „FreD“ heißt „Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten“. Ein ehrgeiziges Projekt, denn: „Das Unrechtsbewusstsein mancher Teilnehmer ist eher gering“, weiß Kopp. Dafür kämen sie immer leichter an die Droge heran. „Cannabis ist heute viel besser verfügbar als vor zwanzig Jahren“, erklärt der Experte.

„Cannabis ist keine leichte Droge mehr“ 

Das Landeskriminalamt (LKA) nennt einen weiteren, Besorgnis erregenden Trend: „Cannabis ist keine leichte Droge mehr, sondern eine harte“, warnt LKA-Sprecher Frank Scheulen. Er beruft sich auf Laborbefunde seiner Behörde. Der THC-Gehalt, der Cannabis zur Droge macht, habe noch bis zur Jahrtausendwende „im einstelligen Prozentbereich“ gelegen. „Inzwischen geht es rauf bis achtzehn Prozent“, so Scheulen. In manchen Fällen, haben Experten des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe herausgefunden, liegen die THC-Werte noch weit höher.

Immer mehr Produzenten investieren laut LKA im Ruhrgebiet und im Rheinland in Profi-Indoor-Plantagen mit gen-optimiertem Hanf, optimaler Temperatur, Beleuchtung und Luftfeuchtigkeit. Erntezeit für das heimische Produkt in Bio-Qualität: bis zu dreimal im Jahr. Für die Polizei sind diese Plantagen schwer aufzuspüren. Manchmal hilft der Zufall, weil die illegalen Hanf-Bauern bei der Stromversorgung pfuschen. So brannte im April eine Plantage im rheinischen Uedem nieder. 2013 führte in Siegburg eine Überlastung der Transformatoren zum Brand einer Lagerhalle mit Hanfpflanzen.

Überall verfügbar

Für Axel, den jungen Mann im „FreD-Kurs“, ist Cannabis etwas absolut Alltägliches: „In der Berufsschule hat von sechsunddreißig in meiner Gruppe nur einer nicht geraucht. Manche rauchen das zusammen mit ihren Eltern.“ Sein Vater, meint er, könne ihm dazu nichts sagen. „Der soll erstmal mit dem Trinken aufhören.“

Axels Verhältnis zu Cannabis ist zwiespältig. Das Zeug hat ihn Führerschein und Job gekostet und ihm in der Folge Schulden eingebrockt. Andererseits habe es ihn, der früher ein Hitzkopf mit lockeren Fäusten gewesen sei, „doch sehr beruhigt“. Verfügbar sei Cannabis praktisch überall und jederzeit, versichern die acht Jungs. Und der Ehrgeiz der Polizei, Kiffer zu erwischen, sei nicht wirklich ausgeprägt. „Man muss da schon echt auffallen“, versichern die, die dann doch irgendwann aufgefallen sind.

45 Kurse für erstauffällige Konsumenten seit 2008 allein in Essen

Allein in Essen wurden seit 2008 45 Kurse für erstauffällige Drogenkonsumenten durchgeführt. „Mit 350 erfolgreichen Teilnehmern“, so Stephan Kopp. Erfolgreich heißt: Alle Termine wurden wahrgenommen.

Diese „FreD-Kurse“ sidn ein Projekt der Jugendgerichtshilfe und der Suchthilfe direkt Essen. Sie sind auf Cannabiskonsumenten im Alter zwischen 14 und 21 Jahren ausgerichtet, die zum Teil strafrechtlich auffällig geworden sind.

Was viele junge Cannabis-Konsumenten gar nicht wissen: Ihr Führerschein ist auch dann in Gefahr, wenn sie gar nicht unter Cannabis-Einfluss gefahren sind.

Laut der Drogenbeauftragten der Bundesregierung „weisen rund 600.000 Deutsche einen missbräuchlichen oder abhängigen Cannabiskonsum auf“. Annähernd jeder zweite Deutsche hat Cannabis schon mindestens einmal probiert.

Das Landeskriminalamt NRW stellt für das Jahr 2013 fest: „Junge Menschen konsumieren Cannabis wieder häufiger. Der Anteil der unter 21-Jährigen an allen erfassten Cannabiskonsumenten stieg 2013 im dritten Jahr in Folge an – auf 39 Prozent.“