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Wahlkampf mit Busenfoto: Du sollst nicht langweilen!

Wahlkampf mit Busenfoto: Du sollst nicht langweilen!

Das Bild des Anstoßes. Und alle gucken hin. Foto: ap
Das Bild des Anstoßes. Und alle gucken hin. Foto: ap Foto: Foto: AP

Essen. Warum das tiefe Dekolleté einer Politikerin meistens mehr Aufsehen erregt als jede Programmatik und warum es vermutlich keinen Sinn hat, sich über Sex und andere Wahlkampf-Mätzchen aufzuregen – die Wähler wollen es ja anscheindend so.

„Nehmt uns endlich ernst!”, brüllte die Frankfurter Allgemeine am Sonntag per Schlagzeile die Politiker an und geißelte im Kulturteil (!) den inhaltsleeren Wahlkampf. Tags darauf gab die frühere DDR-Bürgerrechtlerin und CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld eine aus Sicht der FAZ eher unpassende Antwort: Sie ließ 750 Foto-Plakate mit den tief ausgeschnittenen Dekollete´s von Angela Merkel und ihr selbst drucken und in ihrem Berliner Wahlkreis flächendeckend anbringen. Weiß Frau Lengsfeld womöglich besser, was die Wähler wünschen? Besser wohl gar als das Fachblatt für den CDU-nahen Intellektuellen?

Pfiffig? Sexistisch? Inhaltsleer?

Die Internetseite der 57-Jährigen, die nicht zu den Angepassten in der Union gehört, zeigt jedenfalls ein heftig debattierendes Volk. Die einen werfen Lengsfeld Sexismus und Inhaltsleere vor, andere sehen eine pfiffige Idee. Natürlich fehlen auch die Schlüpfrigen und die Hundsgemeinen nicht. Die politische Konkurrenz sieht es sportlich: „So viel Humor hätte ich Ihnen nicht zugetraut”, kommentierte die linke Gegenkandidatin den Körpereinsatz. Ein ungewohntes Lob für die Frau, die in der CDU als eine der härtesten Linken-Gegner gilt.

Hauptsache irgendeine Reaktion

Lengsfeld ist die Art der Reaktion offenkundig egal – Hauptsache es gibt eine. Zeitungen, Online-Portale, Nachrichtensendungen stürzten sich auf den Fall. Dass die Kanzlerin nichts wusste von der Verwendung ihres offenherzigsten Fotos – entstanden bei der Einweihung der Osloer Oper –, gibt der Sache noch das Rüchlein des Rebellischen. Lengsfeld ist jedenfalls selig. Sie hat das knappste Gut errungen, das es in der Mediengesellschaft gibt: Aufmerksamkeit. Dass dabei der Faktor Erotik hilfreich ist, darf als Binsenweisheit gelten. Sex sells, wie der Werber sagt. Mit Sex verkauft sich alles besser – und sofern es nicht zu ordinär wird, sogar Politikerinnen.

Schmaler Grat zum Albernen

Was denn an zwei Damen im Abendkleid sexistisch sei, fragte Lengsfeld mit unschuldigem Augenaufschlag. Nichts natürlich. Aber in der Politik gilt nach wie vor der politisch korrekte Grundsatz, dass es um die Sache zu gehen hat, nicht um Dekollete´s oder ähnlichen Firlefanz. Selbstverständlich ist das reine Theorie aus dem Pflichtenheft der Politikwissenschaft. Mit der Realität hat es kaum noch etwas zu tun. Die entfesselte Mediengesellschaft kennt vor allem ein Gebot: Du sollst nicht langweilen! Und in dieser Disziplin war Lengsfeld, man gibt es ungern zu, nicht so schlecht.

Sicher, der Grat ist schmal. Es hat auch schon Politiker gegeben, die abgestützt sind. Man denkt an Guido Westerwelles Schuh mit der „18” und dem Etikett der Spaßpartei, an dem die FDP lange litt. Alles in allem aber wollen wir es wohl so. Wenn Politiker mit dem Verlesen und Debattieren von staubtrockenen Parteiprogrammen Aufmerksamkeit bekämen, würden sie vermutlich auch das tun. An ihnen allein kann es also nicht liegen. Politische Kommunikation spielt sich im Dreieck von Politik, Medien und Bürgern ab. Wer da Huhn ist und wer Ei, wer am Ende Schuld hat an der Inhaltsleere, ist schwer zu sagen.

Wer ist Huhn, wer Ei?

Wenn SPD-Kandidat Frank-Walter Steinmeier gestern behauptete: „Die Menschen wollen keine Casting-Show”, ist das jedenfalls kühn, In Umfragen mag sich das ja zu 90 Prozent erhärten lassen. Wo die Menschen dann im wirklichen Leben hingucken – auf die Inhalte der Parteiprogramme oder den Ausschnitt von Frau Lengsfeld – ist dann aber eine andere Frage.

Man kann es auch positiv und weniger puritanisch sehen: Solange Politik, Medien und viele Bürger noch an Mätzchen Gefallen finden, geht’s uns noch ganz gut. Wenn wir anfangen die Parteiprogramme zu studieren – dann wird’s ernst.