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Ukraine: Keiner meldet sich mehr für die Front – „Warum soll ich mein Leben opfern?“

Ukraine: Keiner will freiwillig an die Front und sterben: Die Stimmungslage in der Ukraine ist erstaunlich. Zwischen Normalität und Aufopferung.

Keiner will mehr freiwillig an die Front in der Ukraine.
© IMAGO / NurPhoto, IMAGO / ITAR-TASS (Fotomontage DerWesten.de)

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Wie ist die Stimmungslage in der Ukraine zwei Jahre nach dem Überfall von Putin-Russland? „Spiegel“-Reporter Christoph Reuter war zum fünften Mal in der Ost-Ukraine, auch an der Front bei Torezk und berichtet über Verdrängungstaktiken im Land.

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Seine Eindrücke sind überraschend und ernüchternd. Und sie werfen die Frage auf, ob die Ukraine noch in der Lage ist, dauerhaft dem Druck der russischen Streitkräfte standzuhalten.

In Kiew geht das normale Leben weiter: „Selbstbetrug“

Im „Spiegel“-Talkformat „Spitzengespräch“ mit Markus Feldenkirchen berichtet Reuter über die Lage in der Ukraine: „Es melden sich immer weniger Ukrainer freiwillig zur Armee. Oder kaum noch. In Kiew, in den großen Städten, im Rest des Landes, wird Normalität aufrecht erhalten. Und dann fragen sich die Leute: ‚Ja, aber warum soll ich denn mein Leben opfern, wenn das normale Leben weitergeht?'“

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Die Menschen in Kiew hätten sich an gelegentliche und auch zunehmende russische Drohnen- und Raketenangriffe gewöhnt. Restaurant und Supermärkte seien voll, neue Lokale hätten aufgemacht. Reuter erkennt die Gefahr eines „Selbstbetrugs“. Die Menschen könnten an die Illusion glauben, dass es irgendwie so weitergehen werde, weil sich die Frontverläufe bislang kaum verändert hätten.

Auch Linke-Politiker Gregor Gysi, ebenfalls zu Gast in der „Spiegel“-Runde, bestätigt den Eindruck. Als er in Kiew war, habe er sich ebenfalls gewundert „wie gelassen die Leute sind, sogar gut gelaunt.“

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Frontsoldaten in Ukraine: „Alte Freunde verstehen uns nicht mehr“

Dann erzählt der „Spiegel“-Journalist von seinen Gesprächen von der Front. Die Soldaten seien dagegen „stoisch“ und „zynisch“ drauf. „Die sagen: ‚Wir machen hier weiter, wir geben nicht auf! Aber mit meinen Freunden von früher rede ich nicht mehr. Die verstehen mich nicht mehr, ich verstehe die nicht. Wir sterben hier für die und die schicken mal ein Instagram-Like.'“ Die Gesellschaft in der Ukraine gleite auseinander, analyisiert Reporter Reuter.

Er könne jeden verstehen, der nicht in den Krieg ziehen wolle. An der Front sei es „absolut furchtbar“ und es würden sehr viele sterben. Dennoch müsse sich die Ukraine frage, welche Opfer man bereit sei zu bringen.


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