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Südeuropäer sind empört über Merkels Äußerungen

Südeuropäer sind empört über Merkels Äußerungen

Vermeintlich faule Südeuropäer ereifern sich über die Klischees, die Kanzlerin Merkel bei ihrem Auftritt in Meschede verbreitete. Und haben die Zahlen auf ihrer Seite: Spanier arbeiten mehr als Deutsche.

Madrid/Paris. 

Die Gewerkschaften schäumen, die Regierungen schweigen betreten, das Volk ist empört: Die Kritik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die Bewohner der Schuldenländer Spanien und Portugal aufforderte, mehr zu arbeiten und weniger Urlaub zu machen, erzürnt Südeuropa.

„Frau Merkels Bemerkungen sind eine Provokation, beleidigend, unbegründet und demagogisch gegenüber Ländern, die mit einer sehr schweren Wirtschaftskrise zu kämpfen haben“, sagte die portugiesische Europa-Abgeordnete Elisa Ferreira. „Skandalös und realitätsfern“ nannte der spanische Abgeordnete Alejandro Cercas die Äußerungen – „anstatt uns zu helfen, wirft sie uns Knüppel zwischen die Beine“. Sein griechischer Kollege Michalis Tremopoulos sieht die europäische Zusammenarbeit bedroht. „Was wir brauchen, ist ein Europa, das Solidarität und Verantwortung ins Gleichgewicht bringt“, sagte er – stellte aber fest, dass Merkel dieser Vision den Rücken gekehrt habe.

Tiefe Ignoranz

Merkels Pauschalschelte „zeigt eine tiefe Ignoranz“ der Kanzlerin, schimpft der Boss der portugiesischen Gewerkschaft UGT, Joao Proenca, und spricht damit seinen Kollegen beim großen Nachbarn Spanien aus der Seele.

„Frau Merkel hat bewiesen“, fährt Gewerkschaftschef Proenca fort, „dass sie nicht sehr besorgt um die europäische Einheit ist“. Vor allem, weil sie mit falschen Informationen Zwietracht streue, befinden die Arbeitnehmervertreter. Tatsache ist, studiert man die Statistiken von Eurostat und OECD, dass weder Spanier noch Portugiesen weniger schuften als die Deutschen, sondern ganz im Gegenteil. Zudem machen die Menschen auf der iberischen Halbinsel weniger Ferien als die Deutschen, verdienen laut der spanischen Gewerkschaft CCOO „40 Prozent weniger“ und „arbeiten mehr Stunden“ als ihre deutschen Kollegen.

Deutsche Lehrmeister

Die Regierungen in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon und in der spanischen Metropole Madrid hielten sich am Donnerstag mit offiziellen Äußerungen zu Merkels Attacke zurück. Portugals sozialistischer Übergangs-Regierungschef Jose Socrates begnügte sich mit dem knappen Satz: „Ich bin nicht einverstanden.“

Spaniens Ministerpräsident Jose Luis Zapatero zog es vor, besser nichts zu sagen. Zapatero hat sich in der Vergangenheit schon öfter über Merkels lehrmeisterliche Töne geärgert, die in Madrid zuweilen als deutsche Überheblichkeit ankommen.

Ein Standard-Kommentar, den man dieser Tage auf den Straßen Spaniens oft hört, lautet: „Ich möchte gerne Deutscher sein.“ Vor allem, weil in „Alemania“ der Lebensstandard, der sich unter anderem in Löhnen, Pensionen und sozialer Sicherheit ausdrückt, sehr viel höher sei.

Mehr arbeiten, die Hälfte verdienen

Ein paar Beispiele: Der gesetzliche Regelurlaubsanspruch in Spanien beträgt nur 22 Arbeitstage, in Deutschland 24. Die Spanier arbeiten laut der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) 1653 Stunden im Jahr, die Deutschen nur 1389. Der mittlere Jahres-Bruttolohn liegt südlich der Pyrenäen bei 23 200 Euro, im Merkel-Land bei 42 400 Euro.

Viele Spanier würden übrigens gerne mehr arbeiten, können aber mangels Jobs nicht: Die Arbeitslosigkeit im Königreich liegt bei horrenden 21 Prozent, in Deutschland nur bei etwas über sieben Prozent. Deutsche gehen im Schnitt übrigens mit 61,5 Lebensjahren in den Ruhestand, die Spanier mit 62,8 und müssen sich zudem mit deutlich niedrigeren Renten begnügen.

Dass Spanien trotz mehr Arbeitsstunden und weniger Urlaubstagen in Sachen Wirtschaft nicht mit Europas Wirtschafts-Lokomotive Deutschland mithalten kann, hat vor allem einen Grund, den der spanische Gewerkschaftsführer Ignacio Fernandez Toxo so definiert: „Wir haben ein Problem der Produktivität.“

Französische Ruhe

Merkels Forderung nach Angleichung des Renteneintrittsalters dürfte denn auch eher die Franzosen treffen. Sie gehen im Schnitt sogar mit unter 60 Jahren in Rente, also erheblich früher als Spanier, Portugiesen oder auch Griechen. Da es in Merkels Rede in Meschede aber um die Zukunft des Euro und daher um die Probleme der größten Schuldenmacher ging, mussten sich die Franzosen diesmal nicht angesprochen fühlen – und taten es auch nicht. „Ein paar Merkel-freundliche Kommentare auf der Internetseite des Figaro“, meldete unser Korrespondent aus Paris. „Ansonsten nichts.“