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So lief das Attentat auf Siegfried Buback am 7. April 1977

So lief das Attentat auf Siegfried Buback am 7. April 1977

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Polizeibeamte am Dienstwagen von Generalbundesanwalt Siegfried Buback (GER) nach dem tödlichen Attentat der RAF in Karlsruhe Police officers at Staff cars from Office of the Attorney General Siegfried Buback ger after the fatal Attack the RAF in Karlsruhe Foto: imago/Sven Simon
Vor 40 Jahren wurde Generalbundesanwalt Buback bei einem Anschlag der RAF in Karlsruhe erschossen. Viele Fragen sind bis heute offen.

Berlin. 

Gründonnerstag, 7. April 1977. Seit sieben Jahren bombt der linke Terror in der alten Bundesrepublik. Was mit Brandsätzen gegen Kaufhäuser angefangen hat, ist eskaliert: In eine tödliche Auseinandersetzung mit der Polizei bis zur blutigen Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm, begleitet von Banküberfällen, von Hungerstreiks und Selbstmorden. Aber die Terror-Führer der ersten Stunde sind, wie Ulrike Meinhof, tot. Oder ihnen wird, wie Andreas Baader und Gudrun Ensslin, in Stammheim der Prozess gemacht. Die letzten Monate waren ruhiger. Bleibt es so?

Kurz nach neun Uhr früh fallen auf der Linkenheimer Straße in Karlsruhe fünfzehn Schüsse aus einer HK 47. Ziel ist der schwarze Mercedes, der an der Ampel Moltkestraße aufs Grünlicht wartet. Die vermummten Täter hocken auf einer Suzuki 750, dem schnellsten Serienmotorrad der Welt. In dem Mercedes stirbt Baaders Feindbild Nr.1, der Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Auch Fahrer Wolfgang Göbel und der Chef der Fahrbereitschaft, Georg Wurster, überleben nicht.

Die RAF und ihre neue Chefin

Was die Ermittler zu diesem Zeitpunkt nur ahnen: Eine zweite, im Untergrund lebende Generation der alten Baader-Meinhof-Bande ist am Werk. Sie wirkt als Baaders Vollstrecker. Die „Rote Armee Fraktion“(RAF) hat eine neue Chefin: Brigitte Mohnhaupt aus Rheinberg, Deckname „Hilde“. Monhaupt hat „draußen“ das Sagen. Offenbar auf Befehl der einsitzenden Kumpane plant sie, durch Morde und Entführungen die „Gefangenen“ in Stammheim freizupressen und den Staat des Kanzlers Helmut Schmidt mit der „Big Raushole“ vorzuführen.

An diesem April-Tag beginnt im Südwesten, was als „deutscher Herbst“ in die Nachkriegsgeschichte geschrieben wird. Jürgen Ponto, der Chef der Dresdner Bank, und Hans-Martin Schleyer, der Arbeitgeberchef, werden seine Opfer sein. Flugkapitän Jürgen Schumann und auch Polizisten werden sterben und die Passagiere der Lufthansa-Maschine „Landshut“ bis zu ihrer spektakulären Befreiung durch eine bis dahin recht unbekannte Truppe namens GSG 9 die schlimmste Woche ihres Daseins erleben. Die Stammheim-Häftlinge Baader, Ensslin und Jan Carl Raspe, die im gleichen Sommer zu lebenslanger Haft verurteilt werden, bringen sich noch in der Nacht der „Landshut“-Befreiung in ihren Zellen um.

Die Mörder leben wahrscheinlich unter uns

Haben die Sicherheitskräfte des Staates den Terror damals wirklich überwunden? Ist diese Ära der Nachkriegsgeschichte in ihren Details aufgeklärt? Es ist anders.

40 Jahre nach den aufwühlenden Ereignissen von 1977 mit Verfolgungsjagden und Straßensperren, mit Kontaktsperregesetz, Bekennerschreiben und abstrusen Plänen zur Wiedereinführung der Todesstrafe, nach 62 Toten und 250 Millionen Euro Schaden ist klar: Nicht nur, dass eine bis heute geheimnisumwitterte „dritte“ RAF-Generation über 15 Jahre weiter morden konnte. Die Behörden haben auch die Täter der spektakulären Attentate nie identifiziert. Sie wissen nicht, wer wann geschossen hat, welche Strukturen genutzt wurden, kurz: Was die RAF wirklich war. Elf Millionen Seiten Ermittlerakten stecken voll weißer Flecken. Top-Fahnder wie Rainer Griesbaum und Klaus Pflieger, beide längst im Ruhestand, sind sich einig: Unbekannte Terror-Mörder leben wahrscheinlich mitten unter uns. Als nette Reihenhaus-Nachbarn, Kollegen, Familienväter und -mütter, als brave Steuerzahler. Sie sind Omas und Opas und nutzen die Bahncard. Sie sind in den Alltag abgetaucht.

Wer tötete Siegfried Buback?

Die Mörder des 7.April 1977 umkurven mit ihrer Suzuki erst noch das Fahrzeug der Opfer, als wollten sie sich vom Tod der Insassen überzeugen. Dann geben sie Gas. Obwohl Helme und Motorraddress keine Wiederkennung möglich machen, reicht die Zeit für vier Zeugen, die schießende Person auf dem Rücksitz als klein und zierlich zu beschreiben, als Silhouette einer Frau. Ermittler und Richter überzeugt das nicht. Sie haben sich auf Christian Klar oder Knut Folkerts als Täter festgelegt und auf Günter Sonnenberg als den, der das Motorrad fuhr. Beweise? Gibt es nicht, zumal das Bundeskriminalamt davon ausgeht, dass viel mehr Personen, etwa „15 bis 20“, zur Vorbereitung und Durchführung der RAF-Operation „Margarine“ nötig waren.

Man stochert im Nebel – bis heute. Bei Verena Becker wird später die Tatwaffe gefunden und ihre Speichelspuren auf dem Bekennerbrief. War sie die Frau auf dem Soziussitz? Das wird ausgeschlossen. Becker wird nur wegen „psychischer Beihilfe“ verurteilt. Der Staat schütze hier eine heimliche Zuarbeiterin seiner Behörden, glaubt Buback-Sohn Michael. Die Morde bleiben ungeahndet.

Wie starb Hans-Martin Schleyer?

Am 19. Oktober 1977 wird eine Leiche im Kofferraum eines grünen Audi in der Rue Charles Peguy im elsässischen Mühlhausen gefunden. Es ist Hans-Martin Schleyer. Er ist sechs Wochen nach seiner dramatischen Entführung in Köln und keine zwölf Stunden nach der „Landshut“-Befreiung in Mogadischu durch drei Schüsse in den Hinterkopf getötet worden. Den Befehl hat Brigitte Mohnhaupt aus Paris gegeben. Ihr Codesatz:„Die Ware ist verdorben“.

Am Tatort anwesende Terroristen können später zwar identifiziert werden. Doch: War Stefan Wisniewski der Mörder? Oder war es Rolf Heißler? Hat Rolf Clemens Wagner geschossen? Wieder so eine ungeklärte Sache. Wisniewski und Heißler sind heute, nach langjähriger Haft, frei. Sie folgen seither dem Omerta-Gelübde der RAF – und schweigen. Wagner ist verstorben. Doch so wichtig wie die Frage nach dem Mörder ist, im Fall Schleyer gibt auch die offene nach dem Versagen der Verfolger. Der Entführte musste nicht sterben. Pleiten und Pannen haben die sechswöchige, größte Fahndung der deutschen Geschichte begleitet. Die schwerste: Den Fahnder liegt, zwei Tage nach der Entführung, die Adresse des ersten Verstecks auf dem Tisch: Zum Renngraben 8, Wohnung 104, Erfststadt-Liblar. Aber die Info des Polizeiobermeisters Schmitt versandet.

Wie arbeitete die dritte Generation?

Das weiß niemand. Es ist vielleicht das dunkelste Kapitel der RAF-Geschichte, im wahrsten Wortsinn – und das schlimmste für die Angehörigen der Opfer. Der Tatzeitraum reicht von 1984 bis 1993. Am Anfang steht ein Strategiewechsel bislang Unbekannter, das Mai-Papier: Keine Geiselnahmen mehr. Es wird gezielt getötet!

1985 ist Ernst Zimmermann das erste Opfer, der Chef des Rüstungskonzerns MTU. Sie richten ihn in seiner Wohnung hin, angebunden an einen Stuhl. Drei Tote gibt es beim Anschlag auf die amerikanische Rhein-Main-AirBase in Frankfurt. Durch eine Autobombe sterben Siemens-Vorstand Beckurts und sein Fahrer Groppler. Gerold von Braunmühl, der politische Direktor des Auswärtigen Amtes, wird vor seinem Bonner Privathaus erschossen. Der Präsident der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, verblutet in Düsseldorf in seinem Schlafzimmer, getroffen von einem Scharfschützen durchs Fenster. Alfred Herrhausen, der Chef der Deutschen Bank, fliegt mit seinem gepanzerten Auto in die Luft. Eine Sprengfalle, die vermeintliche Bauarbeiter in Bad Homburg gelegt haben. Dazu ist ein „hohes technisches Know-How erforderlich“, erkennen die Ermittler an. Aber: Woher das kam? Wo es erprobt wurden? Wer die Helfer waren? Überall Fehlanzeige.

Die Bilanz: Neun Morde. Vage Verdachtsmomente. Wenige Namen. Kaum Urteile. Und eine Kapitulationsurkunde am 28. April 1998. „Heute beenden wir das Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte“. Angehängt sind eine Art Todesanzeige mit 26 Namen toter Terroristen und ein Geleitwort: „Die Revolution sagt: Ich war. Ich bin. Ich werde sein“.

Wo sind die Täter abgeblieben?

Die „verschwundene Dritte“ lässt die Bundesanwaltschaft nicht ruhen. Noch laufen drei Ermittlungsverfahren, und Mord verjährt nicht. Sie könnte zwanzig Personen umfasst haben. Von Eva Haule und Birgit Hogefeld weiß man, Wolfgang Grams, dessen Haar im Schrebergarten vor Rohwedders Haus gefunden wurde, stirbt nach einem Schusswechsel mit der Bundespolizei auf dem Bahnhof von Bad Kleinen durch eigene Hand. Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg sind noch heute unterwegs – als Räuber, die Geldtransporter in Duisburg und Norddeutschland überfallen haben, was durch DNA-Tests erwiesen ist.

Damit will der Generalbundesanwalt nichts zu tun haben. Sie gelten als Kleinkriminelle, die für ihre Rente anschaffen gehen. „Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über eine etwaige Organisationsstruktur der flüchtigen Ex-Mitglieder der RAF vor“, sagt das Bundesinnenministerium beruhigend. Im Klartext: Das Terror-Kapitel ist beendet.

Die Erbschaft der RAF

Ist es das wirklich? Irgendwo in Waldböden könnten seine Reste verborgen sein. Schon zu Zeiten der aktiven RAF waren 15 Erddepots aufgeflogen, in denen die Terroristen Waffen, Nahrung, gefälschte Ausweise und die Millionen verstauten, die sie bei Banküberfällen erbeutet hatten. Die Polizei ortete welche nördlich von Hamburg, dann konzentriert in NRW im Raum Hagen, in Hessen und das größte im Ausland, im niederländischen Utrecht. Dort tauchten sogar Tonbänder mit den „Verhören“ von Schleyer auf. Unerklärlich: Die Depots konnten der zweiten Generation zugeordnet werden. Wo und was die Nachfolger horteten – oder horten? Der Staat ist ahnungslos. Manches, glaubt der Verfassungsschutz, könnte „Gebrauchswert“ haben: Funktionsfähige Waffen. Das Beutegut D-Mark-Scheine eher nicht.