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„Off Road Kids“- Wo Dortmunds Straßenkinder Hilfe finden

„Off Road Kids“- Wo Dortmunds Straßenkinder Hilfe finden

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Foto: Funke Foto Services
20. 000 junge Menschen fallen durch das soziale Netz. In Dortmund kümmert sich die Hilfsorganistation Off Road Kids um Jugendliche auf der Straße.

Dortmund. 

„Entkoppelte Jugendliche“ nennt man sie. Junge Menschen, die weder in die Schule gehen, noch eine Ausbildung absolvieren oder Geld verdienen. Viele von ihnen sind obdachlos. Zehntausende schlagen sich in Deutschland auf den Straßen durch, nach einer Studie der Vodafone Stiftung sind es allein in NRW rund 2300.

Die Kinder haben in ihren Familien oft Missbrauch, Sucht und Verwahrlosung erlebt. Sie wurden in Heimen oder bei Pflegeeltern groß, ergriffen irgendwann die Flucht. Sie betteln und stehlen oder prostituieren sich. Sie erleben das, was sie hinter sich lassen wollten: Gewalt und Missbrauch. ,,Die meisten haben eine Jugendhilfekarriere hinter sich“, sagt Jens Elberfeld, Leiter der Off-Road-Kids-Station Dortmund.

Off Road Kids ist die einzige Hilfsorganisation für Straßenkinder in Deutschland, die überregional tätig ist. Auch in Dortmund schickt sie ihre Mitarbeiter ins Bahnhofsumfeld, um mit den Kindern und jungen Erwachsenen ins Gespräch zu kommen. ,,Allein im Juni haben wir 89 Jugendliche betreut, viele von ihnen waren minderjährig“, berichtet Elberfeld.

Ein Winter auf der Straße

Einer davon ist Andreas (20), der bei Off Road Kids in Dortmund gelandet ist und von seiner trost- und lieblosen Kindheit in einer Kleinstadt bei Dortmund erzählt. Andreas wächst bei seiner Mutter und seinem Stiefvater auf. Er ist das Jüngste von fünf Geschwisterkindern. Doch das Nesthäkchen wird vernachlässigt und geschlagen. Keiner nimmt ihn in den Arm, niemand träumt mit ihm oder entdeckt die Welt. ,,Ich war immer allein zu Hause. Ich wurde mir selbst überlassen“, sagt der hagere Mann. Während seine Mutter eine Boutique für Kindermoden eröffnet und sein Stiefvater eine Spielhalle betreibt, beginnt der kleine Andreas zu rebellieren.

Wenn er morgens das Haus verlässt, um zur Grundschule zu gehen, dann hat er sich alleine fertig gemacht, Frühstück kennt er nicht. Es besteht aus Zigaretten, die er seinem Stiefvater stiehlt. Er schlägt seine Mitschüler, schwänzt die Schule und erhält den ersten Schulverweis. Die Prügel, die er dafür zu Hause kassiert, nimmt er in Kauf. Inzwischen ist er hart im Nehmen. Auf der Hauptschule beginnt er, härtere Drogen zu nehmen. ,,Das war mein einziger Spaß“, sagt er.

Heim, Wohngruppen, Straße

Um an das Geld für Koks, Pep und Cannabis zu kommen, wird er zum Kriminellen. Er bricht die Schule ab, kommt ins Heim, dann auf eine Lernbehindertenschule. Es folgen Heimwechsel, betreute Wohngruppen. Mit 18 schließlich soll er plötzlich erwachsen sein, alleine leben, wie es die Jugendhilfe vorgesehen hat. Doch Andreas ist völlig überfordert. Er hat seine Lehre abgebrochen.

Die Termine beim Jobcenter sind mit Auflagen verbunden. ,,Immer wieder sollte ich Papiere mitbringen. Immer wieder hat man mir gedroht.“ Irgendwann geht er gar nicht mehr hin. Seine Leistungen werden gekürzt. Er bekommt 190 Euro im Monat und wird obdachlos. Den letzten Winter hat Andreas auf der Straße verbracht. Wie er das überlebt hat? ,,Ich habe mich jeden Tag zugedröhnt. Ich habe geklaut oder war in Suppenküchen“, sagt er.

Sie alle suchen eine Familie, Geborgenheit

„Am Anfang, wenn sich solche Kinder auf den Weg machen, finden sie das neue Leben noch lustig: Freiheit, Party, bunte Haare“, weiß Jens Elberfeld. Doch dann zeige sich, dass ein Straßenleben sehr gefährlich ist. Die Jugendlichen, die sich den Streetworkern anvertrauen, wollen zurück ins normale Leben. Ein Leben ohne Drogen, eine Familie, Arbeit, eine Wohnung und vor allem Geborgenheit. 80 Stunden investiert die Kinderhilfsorganisation in einen Jugendlichen, dann steht zumindest das Korsett für ein normaleres Leben. Darin enthalten sind die Organisation ei­nes Therapieplatzes für einen Drogenentzug, Behördengänge und ein Wohnplatz.

,,Es kann nicht sein, dass diejenigen in unserer Gesellschaft, die am meisten mitgemacht haben, am stärksten sanktioniert werden“, sagt Jens Elberfeld. Der Erzieher und Diplom-Sozialarbeiter appelliert an die Städte, nicht bei der Jugendhilfe zu sparen. Er verweist auf die Studie des Deutschen Jugendinstituts, wonach für jeden für die Jugendhilfe ausgegebenen Euro im weiteren Lebensverlauf das Dreifache an staatlichen Ausgaben gespart werde.