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„NRW-Richter urteilen nicht nachsichtiger als anderswo“

„NRW-Richter urteilen nicht nachsichtiger als anderswo“

An Rhein und Ruhr. 

Seit Thomas Kutschaty (48) vor sechs Jahren zum NRW-Justizminister ernannt wurde, verfolgt ihn das Gerede über einen angeblich zu milden Rechtsstaat. Der SPD-Politiker aus Essen tritt dem mit Statistiken. Andreas Tyrock und Tobias Blasius trafen ihn.

Bin Ladens Ex-Leibwächter darf nicht abgeschoben werden, Einbrecher lässt man laufen – urteilt die NRW-Justiz zu lasch?

Kutschaty: Dieser Eindruck wäre völlig falsch. Die Gerichte unterliegen einer bundesweit einheitlichen Überprüfung durch den Bundesgerichtshof, die Richter in Nordrhein-Westfalen urteilen nicht nachsichtiger oder härter als anderswo. Die Verurteilungsquote in NRW entspricht unserem Bevölkerungsanteil, die Zahl der verhängten Freiheitsstrafen liegt sogar über dem Schnitt. Bei uns werden 35 Prozent aller Heranwachsenden nach Erwachsenen-Strafrecht verurteilt, in Bayern nur 25,6 Prozent. Die Justiz ist aber kein Rechtsprechungsautomat, bei dem man einen Angeklagten vorne reinschiebt und hinten kommt ein Urteil raus.

Sie gelten als Befürworter einer Wohnsitzauflage für Flüchtlinge. Warum?

Der Bundestag will den Ländern mit dem neuen Integrationsgesetz die Möglichkeit eröffnen, durch eine Verordnung anerkannte Flüchtlinge für die Dauer von drei Jahren gleichmäßiger regional zu verteilen. Ich halte das für ein wichtiges Instrument, damit Integration gelingen kann.

In NRW sitzen täglich gut 1000 Menschen wegen Bagatelldelikten in Haft oder weil sie eine Geldstrafe nicht zahlen können. Wann steuern Sie gegen?

Wir tun eine Menge und haben das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ deutlich ausgebaut. Aber der Abbau der sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen geht mir nicht schnell genug, denn damit straft sich der Staat in erster Linie selbst. Jeder Häftling kostet das Land pro Tag 133,55 Euro, die Geldstrafe bekommen wir trotzdem nicht und die Resozialisierung wird erschwert. Ich glaube, wir brauchen eine bundesgesetzliche Regelung.

Was bedeutet das?

Den vermögenden Straftäter schmerzt gemeinnützige Arbeit oder ein Fahrverbot oft mehr als die Geldstrafe. Beim mittellosen Straftäter muss es hingegen möglich werden, dass die Justizkasse auch mal 10 oder 20 Euro monatlich von den Hartz IV-Leistungen abzweigt. Wir lassen gerade prüfen, welche gesetzlichen Voraussetzungen wir für solche alternative Strafformen brauchen.

Nach dem schlimmen Unfall bei einem illegalen Autorennen in Hagen vor drei Wochen haben Sie einen neuen Straftatbestand gefordert. Warum?

Es ist erschreckend, dass immer wieder Menschen Opfer des Modesports Raserei werden. Ich bin der Meinung, dass wir unsere Sanktionsmöglichkeiten deutlich nachschärfen müssen. Ein illegales Autorennen ohne Unfallfolge kann derzeit nur als Ordnungswidrigkeit mit 400 Euro Geldstrafe, zwei Punkten in Flensburg und einem Monat Fahrverbot bestraft werden. Das schreckt die Raser-Szene nicht ab.

Was fordern Sie?

Ich werde dem Bundesrat einen eigenen Straftatbestand vorschlagen, um schon die Veranstaltung und Teilnahme an illegalen Autorennen bestrafen zu können, selbst wenn kein Unfall daraus hervorgeht. Dafür soll künftig eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verhängt werden können. Ich möchte, dass der komplette Entzug des Führerscheins droht und ein Auto auch mal beschlagnahmt werden kann. Kommt jemand bei einem illegalen Autorennen zu Tode, sollen bis zu zehn Jahre Haft drohen.

Wie groß ist die Chance, dass die Loveparade-Katastrophe doch noch in einem Gerichtsprozess verhandelt wird?

Ich weiß, wie groß der Wunsch der Angehörigen nach einer gerichtlichen Klärung ist. Ich kann nur sagen: Die Anklageschrift ist nicht leichtfertig erstellt worden, die Nichtzulassung der Hauptverhandlung durch das Landgericht Duisburg haben wir zu respektieren. Das Oberlandesgericht wird sich nun dazu verhalten. Es ist verständlich, dass die Betroffenen eine Antwort auf die Schuldfrage ersehnen. Doch es ist leider immer wieder vorgekommen, dass schlimmste Tragödien durch die Justiz nicht zu klären waren.