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Norbert Röttgen kritisiert Angriffe der Türkei auf Kurden

Norbert Röttgen kritisiert Angriffe der Türkei auf Kurden

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Foto: imago/Jürgen Heinrich
Die Türkei schwächt mit ihren Angriffen auf Kurden Verbündete im Kampf gegen die IS-Terrormiliz, kritisiert Norbert Röttgen im Interview.

Berlin. 

Die türkische Luftwaffe greift kurdische Stellungen im Nord-Irak und offenbar selbst in Syrien an. Die Türkei schwächt damit Verbündete im Kampf gegen die IS-Terrormiliz. Der Kampf gegen den Terror sollte nach Ansicht des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), aber „oberste Priorität“ haben. Im Gespräch mit unserem Redakteur Miguel Sanches verurteilte er das türkische Vorgehen.

Herr Röttgen, ist der Kampf gegen den IS ein Vorwand? In seinem Schatten geht die Türkei gegen die Kurden vor.

Norbert Röttgen:

Nein. In der Wahrnehmung der Türkei gibt es mehrere Gegner: Das Assad-Regime in Syrien, der IS und auch kurdische Gruppierungen, von denen sie ihre staatliche und territoriale Einheit bedroht sieht.

Wie soll das funktionieren, den IS und gleichzeitig dessen Gegner bekämpfen?

Röttgen: Das ist das Problem. Zumal die Gegner der Türkei auch noch untereinander verfeindet sind.

Was ist das deutsche Interesse?

Röttgen: Wir werben dafür, dass der Kampf gegen den Islamischen Staat oberste Priorität hat. Diese Terrororganisation ist ein Instabilitätsfaktor für die gesamte Region und darüber hinaus für Europa.

Rein praktisch gefragt: Wer, wenn nicht die Kurden soll eine IS-freie Zone verteidigen? Weder die USA noch die Türkei wollen mit Bodentruppen in Syrien vorgehen.

Röttgen: Die Kurden sind die besten Bodenkämpfer gegen den IS, insbesondere in Syrien. Deshalb brauchen wir unbedingt eine politische Lösung. Die Türkei darf nicht in alte militärische Auseinandersetzungen zurückfallen.

Macht es Sie stutzig, dass Präsident Erdogan militärisch eingreift, nachdem die türkische Partei HDP bei der jüngsten Parlamentswahl wieder erstarkt ist?

Röttgen: Er ist in einer Zwangslage. Die Mehrheitsverhältnisse sind ungeklärt. Innenpolitisch macht die Türkei eine Hängepartie durch. Vom harten Kurs gegenüber den Kurden erhofft Erdogan sich eine Welle der Solidarisierung. Über die Außenpolitik versucht er, innenpolitische Geländegewinne zu erzielen. Das ist ein Zusammenhang, den man nicht verschweigen kann. Er hat sich in eine Konfrontation mit den Kurden verrannt. Der lachende Dritte ist der IS.

Warum findet die Nato keine geschlossene Antwort darauf? Die USA lassen Erdogan gewähren.

Röttgen: Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Amerikaner die Lage genauso beurteilen wie wir. Sie sind die Führungsnation im Kampf gegen den IS. Um ihre Luftschläge ausführen zu können, sind sie darauf angewiesen, dass die Türkei ihnen geeignete Militärbasen zur Verfügung stellt. Zum Gesamtbild gehört, dass die USA eine andere Interessenlage haben. Deswegen auch die andere Tonlage.

Warum ist Deutschland nicht so frei, setzt ein Signal und zieht die an der türkisch-syrischen Grenze stationierten Patriot-Luftabwehrraketen der Bundeswehr ab, so lange die Türke­i Krieg gegen die Kurden führt?

Röttgen: Ich bin dagegen. Wir haben Meinungsverschiedenheiten. Trotzdem dürfen wir keine Zweifel aufkommen lassen, dass wir an der Seite der Türkei stehen und ihre Sicherheitsinteressen sehen. Es ist auch aus geopolitischen Gründen von enormer Bedeutung, dass die Türkei sich nicht abwendet und einen eigenen unberechenbaren Weg geht. Es gibt zu Diplomatie und politischem Druck keine überzeugende Alternative.

Haben Sie die Sorge, dass der Kurdenkonflikt in Deutschland ausgetragen wird?

Röttgen: Dafür sehe ich keine Anzeichen. Das Verhältnis der Volksgruppen, die alle in Deutschland vertreten sind, hat sich gut entwickelt. Die kurdische Seite ist sehr besonnen. Die Kurden wissen, dass nur die Verständigung mit der Türkei ihnen weiterhilft.